StartseiteMagazinKulturMenschen, Landschaften – und Bücher

Menschen, Landschaften – und Bücher

Die Poesie der kargen Landschaft, dazu die feinen, oft seltsamen Beziehungen der Menschen, das zeichnet die Bücher des Isländers Sjón aus.

Eine erdschwarze Füchsin steht am Anfang des ersten auf Deutsch übersetzten Romans «Schattenfuchs» des Schriftstellers und Dichters Sjón. Das aussergewöhnlich seltene Tier verdreht dem Jäger buchstäblich den Kopf. Die Jagd nach dem Fuchs wird zu einem magischen, vielschichtigen Tanz zwischen Mensch und Tier, in dem es um Leben und Tod geht.

Dabei schreibt Sjón eigentlich über Menschen, die von der isländischen Gesellschaft an den Rand geschoben worden sind: Das Mädchen Abba, durch das Down-Syndrom aus der engstirnigen Ordnung der Tradition ausgestossen, wäre jämmerlich zugrunde gegangen, wenn nicht «Pflanzen-Fridrik» sie zu sich auf seinen einsamen Hof genommen hätte. Fridrik, aus Dänemark zurückgekehrt, zieht es vor, ausserhalb der engen bäuerlichen Gesellschaft zu leben. Was dahintersteckt, erahnen wir zwischen den Zeilen des schmalen Buches.

Auch im zweiten Roman «Das Gleissen der Nacht», der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts spielt, sind Landschaft, Meer, Stürme bestimmende Elemente. Der Autor liess sich nach eigenen Angaben von den Schriften eines Gelehrten jener Zeit inspirieren. Anders als in den anderen beiden Büchern hat sich Sjón hier auch Sprache und Stil des 17. Jahrhunderts anverwandelt. Ausufernde Sätze, mäandernde Beschreibungen und lange innere Monologe charakterisieren den Roman im Unterschied zum knappen Stil der anderen beiden.

Jonas Palmason wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, Bücher jedoch gibt es im kleinen Grassodenhaus; der Junge beginnt früh, daraus abzuschreiben und so schreiben und lesen zu lernen. Er wird Heilkundiger, aber auch Magier, lebt immer am Rande des Existenzminimums und wird sowohl um Hilfe gebeten als auch gefürchtet und ausgegrenzt. Die spektakulärste Aktion, die Vertreibung eines böswilligen Dämons, bringt Jonas an den Rand des Todes.

Reykjavík, Blick vom Turm der Hallgrimskirka Richtung Innenstadt und Hafen ©pjt56/ wikicommons

Der Junge, den es nicht gab, im gleichnamigen neuesten Roman ist ein Strichjunge im Jahre der Spanischen Grippe 1918/19, die auch in Island wütete. Mani Steinn lebt bei einer alten Frau am Rande von Reykjavik, der letzten Verwandten, die er noch hat. Auch sie ist ein Sonderling, und der Junge, der weder lesen noch schreiben gelernt hat, muss sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen, wird aber wegen Homosexualität – 1918 ein ehernes Tabu – verurteilt und nach Dänemark ins Gefängnis geschickt. Das Mädchen Sola, aus besseren Kreisen, wird eine ungewöhnliche Freundin für Mani. Sie besitzt ein Motorrad, nimmt ihn auf Fahrten mit und zeigt ihm neue Horizonte. Beide lieben das Kino, ein wichtiges Element in diesem Roman. Gespenstisch, wenn fast niemand mehr zur Vorführung kommt, aus Angst vor Ansteckung, oder weil schon so viele grippekrank im Bett liegen.

Sjón, eigentlich Sigurjón B. Sigurdsson, geboren 1962, dichtet wahrscheinlich, seit er das Schreiben beherrscht, denn seinen ersten Gedichtband veröffentlichte er, als er 15 Jahre alt war. Für seine berühmte Landsmännin Björk hat er verschiedentlich Songtexte verfasst, am Drehbuch für den Film «Dancer in the Dark» von Lars von Trier hat er mitgeschrieben. Sjóns grosse Kunst besteht in der Verknappung der Texte. Dem Schriftsteller gelingen in wenigen Sätzen, die umso mehr aussagen, hochpoetische Schilderungen. Es scheint, als wollte der Autor den tiefgründigen Inhalt seiner Bücher der Kargheit der isländischen Landschaft entgegensetzen. Kein Wunder, dass er zu den herausragenden Schriftstellern im «Land des Lesens» zählt. Die Isländerinnen und Isländer sagen nämlich stolz, dass sie leidenschaftliche Lesende seien, in keinem anderen Land würde so viel gelesen wie bei ihnen.

Nur die folgenden Romane aus Sjóns Werk wurden im deutschsprachigen Raum verlegt: Schattenfuchs; S. Fischer Verlag, 2007
Das Gleissen der Nacht; S. Fischer Verlag 2011
Der Junge, den es nicht gab; S. Fischer Verlag 2015
Alle Bücher wurden übersetzt von Betty Wahl.

Einen mehrteiligen Reisebericht über Island hat Ruth Vuilleumier veröffentlicht.

Titelbild: Mittelalterliches Manuskript Mörðuvallabók / wikimedia.commons.org
Foto des Autors: Wikimedia.commons.org

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