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Zu Besuch bei Schwester Hildegard

Seniorweb besuchte Schwester Hildegard im Kloster Baldegg und befragte sie nach ihrem Leben und ihrer Tätigkeit in der Schwestern-Gemeinschaft.

Judith Stamm: Schwester Hildegard, Sie sind Mitglied der Baldegger-Schwestern, die ihr Mutterhaus hier in Baldegg, im Kanton Luzern, haben. Was sind die Schwerpunkte dieser Gemeinschaft?

Schwester Hildegard: Unsere Gemeinschaft wurde 1830 gegründet. Der tragende Gedanke war, den Frauen auf dem Lande Bildung zugänglich zu machen. Damit wurde im alten Schloss Baldegg begonnen. Sieben leibliche Schwestern der Familie Hartmann aus dem Bauernbetrieb Hilty bei Hohenrain konnten von Kaplan Blum für diese Aufgabe gewonnen werden. Ihnen schlossen sich bald weitere junge Frauen an. Um der Idee Dauer zu geben, entwickelte sich eine religiöse Gemeinschaft nach der Ordensregel des heiligen Franziskus von Assisi.

Im Laufe der Zeit entstand in Baldegg eine Klostergemeinschaft, die an verschiedenen Orten der Schweiz und im Ausland, in Tansania, Äthiopien, Papua-Neuguinea und Bosnien wirkte.

Heute leben von den insgesamt 270 Baldegger Schwestern rund 200 in Baldegg selber, denn unsere Aufgaben auswärts sind uns abhanden gekommen im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen und auch mangels Nachwuchs.

Unsere frühere Ausstrahlung in die Dritte Welt strahlt jetzt auf uns zurück. Während der Semesterferien weilen jeweils ein gutes Dutzend junge Schwestern aus Afrika, die vor allem in Rom an verschiedenen Fakultäten studieren, bei uns im Mutterhaus. Sie bringen Farbe und lebendige Heiterkeit. In dieser Unterstützung dauert unser Gründungscharisma „Bildung“ auf andere Weise weiter.

Ein grosses Projekt bleibt uns als Gemeinschaft: miteinander gut alt zu werden. Das ist eine vornehme Bildungsaufgabe, lebenslänglich. Ein zeitgemässes Apostolat! Meine ich.

Wie reagierte Ihr Umfeld, als Sie seinerzeit Ihren Entschluss bekannt gaben, ins Kloster zu gehen?

Mit einem Wort: irritiert. Ich hatte ja das Lehrerinnenseminar in Baldegg besucht, unterrichtete vier Jahre in meinem Heimatdorf Ettiswil, war lebensfroh und unternehmungslustig, gerne dabei wenn es gemütlich zuging.

1963 trat ich ins Kloster Baldegg ein. In den kommenden Jahren bereitete ich mich auf das Klosterleben vor und studierte dann in Fribourg Philosophische Anthropologie, Psychologie und Pädagogik. Nach dem Studienabschluss in der Schweiz ermöglichte mir das Kloster je ein Semester in England und Hamburg. Besonders in Hamburg bekam ich die Revolution der 68er Jahre hautnah mit.

1972 trat ich meine Lehrtätigkeit an der Schule Baldegg an und leitete bis 1995 unser Primarlehrerinnenseminar. Das war eine sehr gute und reiche Zeit.

 

 

Gibt es eine Phase Ihres Lebens, die Sie als besonders gelungen und intensiv bezeichnen würden?

Mir gefiel meine Tätigkeit am Seminar Baldegg gut. Als ich aber 1995 die Gelegenheit hatte, zusammen mit Werner Hegglin, der zuvor das Lehrerseminar St. Michael in Zug geleitet hatte, das Bildungshaus Stella Matutina in Hertenstein aufzubauen und zu leiten, ging ich voll in dieser Aufgabe auf.

Wenn ich an die Angebote von Stella Matutina zurückdenke, erinnere ich mich, dass Sie immer wieder auch Naturwissenschafter als Referenten hatten.

Wir verstanden uns von allem Anfang an als „kirchliches Bildungshaus“; Kirche als kulturelles Phänomen, an dem Kunst, Wissenschaft und religiöses Zeugnis zusammenwirken. Ja, uns war die Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaften wichtig. Unsere Referenten der Naturwissenschaften waren solche, denen „das Messen, Zählen und Wägen“ nicht genügte. Sie suchten die philosophische Ausweitung und Vertiefung ihres Weltbildes. Ebenso wichtig war uns die Kunst, die wir durch Lyrik, musikalische Veranstaltungen und Kunstausstellungen einbezogen. Bildung bedeutet doch: „die Welt lesen lernen“. Dazu ist Literatur hilfreich, ja notwendig.

Die Welt ändert sich. Wie ändert sich die Lebenseinstellung einer Klosterfrau durch die Jahre hindurch?

Selbstverständlich müssen auch wir uns weiter entwickeln. Ich wurde immer wieder neu herausgefordert und liess mich herausfordern. Wir wachsen an den Aufgaben, die uns gestellt sind und auch an jenen, die wir uns selber stellen – ein Leben lang. Heute ist es meine psychologische Beratung. Das heutige Leben mutet Menschen einiges zu: beruflich und privat: Umorientierungen, Beziehungsbrüche, Arbeits- und Orientierungsverlust, gesundheitliche Einbrüche, Unglücke und vieles mehr. All das kann existenziell verunsichern und verlangt zum Klären und Ordnen ein unabhängiges Gegenüber. Das ist der Sinn meines Beratungsangebotes, also eine urechte Form von Bildung. Dabei kommen mir alle meine Erfahrungen zu gute. Und ich bin meinen Vorgesetzten im Kloster dankbar, dass ich mich seit meinem Studium immer weiterbilden konnte, wie es Zeit und Aufgaben verlangten. Und das weiss ich bis heute zu nützen und zu schätzen.

Wir erleben eine digitale Revolution. Hält sie auch im Kloster Einzug?

Wir gehen mit unserer Zeit. Wer immer in seiner Berufsausübung den PC benötigt, wird am Arbeitsplatz damit ausgestattet. Zudem gibt es einen Raum, der allen Zugang zu elektronischen Medien ermöglicht. Allerdings wird niemand forciert, nicht alle wollen diese Entwicklung noch mitmachen. Auch Schwestern kommunizieren heute übers Handy, denn das Telefon gehört nicht zur Ausstattung der Klosterzelle.

Baldegg beherbergt in einem Gästehaus Flüchtlinge. In Amden wird der Orden das Kurhaus „Bergruh“ aufgeben. Auch dort sollen Flüchtlinge einziehen. Es gab Reaktionen in der Bevölkerung. Wie gehen Sie damit um?

In unserem Gästehaus in Baldegg wohnen seit Januar 15 zwei syrische Familien, eine mit fünf, die andere mit sieben Kindern. Die Kinder gehen in die öffentliche Schule und lernen recht rasch deutsch. Die Eltern dürfen bis jetzt nicht arbeiten, was sie als schwierig erleben. Sie haben auch immer wieder Termine, die mit dem Verfahren der Asylgewährung zu tun haben.

Amden ist ein ganz anderer Fall. Um die hundert Flüchtlinge sollen ab Januar die „Bergruh“ bewohnen. Das kann schon Angst auslösen in einem Bergdorf mit 1400 Einheimischen. Der Protest galt vor allem den Baldeggerschwestern, genauer dem Verlust der „Bergruh“ als Baldegger Kurhaus. Die Ammler fühlten sich vom Entscheid überrumpelt, ob zu Recht oder zu Unrecht. Dorf und „Bergruh“ waren immer gut miteinander ausgekommen. Ein solcher Abschied bewegt immer.

Ich bin zuversichtlich, dass sich auch in Amden das Zusammenleben zwischen einheimischer Bevölkerung und Flüchtlingen gut einspielen wird. Wie wir es ja auch von anderen Orten kennen. Solches Umdenken braucht Zeit.

In gut einem Monat sind die Wahlen ins eidgenössische Parlament. Wie bereiten Sie sich im Kloster auf Wahlen und Abstimmungen vor? Wird die Meinungsbildung den einzelnen überlassen? Oder laden Sie z.B. Kandidierende in die Gemeinschaft ein, um sich vorzustellen?

Wir überlassen es den einzelnen, sich eine Meinung zu bilden. Informationen durch Fernsehen, Radio, Zeitungen gibt es ja zuhauf. Aber wir pflegen natürlich auch das politische Gespräch untereinander und mit Menschen „draussen“.

Was würden Sie heute einem jungen Menschen zu bedenken geben, der sich mit dem Gedanken befasst, in eine klösterliche Gemeinschaft einzutreten?

Zunächst würde ich mich über diesen jungen Menschen freuen, denn die klösterliche Lebensform als solche ist zeitlos gültig. Dann würde ich ihm oder ihr raten: sich Zeit zu lassen für diese Entscheid, die persönlichen Beweggründe gründlich zu klären, verschiedene Klöster kennen zu lernen und mit konkreten klösterlichen Menschen klärende Gespräche zu führen. Das Leben in Kontemplation eines geschlossenen Kloster ist anders als das Leben einer Baldegger Schwester, die immer balancieren muss, zwischen dem klösterlichen Leben und den Anforderungen der Lebens- und Berufswelt ausserhalb des Klosters. Das eine wie das andere will geliebt sein, damit es gelingt.

Schwester Hildegard, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Bilder: Josef Ritler

Vor 52 Jahren trat Schwester Hildegard ins Kloster Baldegg ein.

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