Das Musée Rath in Genf zeigt eine Fülle von Schätzen der byzantinischen Kulturgeschichte aus der Schweiz
Byzanz mag für viele nicht entsprechend fachlich versierte Besucherinnen und Besucher einen geheimnisvollen Klang ausstrahlen. Es tönt nach „..weit hinten in der Türkei…“ so gut wie nach den ersten Anzeichen des Ostchristentums und der verschiedenen historischen Epochen vom Byzantinischen über das Ostgotische bis zum Osmanischen Reich. Am Bosporus, so könnte man denken, liegt auch die Wiege des Christlichen Europas – auch wenn es auf der Grenze zum Morgenland, zum Nahen Osten seine geografische Heimat hat. Der legendäre Konstantin der Grosse war es, der das griechische Byzanz zu Konstantinopel umbenannte und zur Hauptstadt des von ihm gegründeten oströmischen Reichs machte. Bald wurde er zum Christen, und die christliche Religion wurde zum Bestandteil des kulturellen und gesellschaftlichen Oströmischen Reichs.
Der Reformation im Europa des 16. Jh. mit ihrem Drang zurück auf die schriftlichen Wurzeln des Christentums, gaben abendländischen Forschern, darunter auch denjenigen aus der heutigen Schweiz, einen ersten Anstoss für ihre Suche nach ausserbiblischen christlichen Zeugnissen der Anfänge des Christentums.
Was diese Forscher, von der Reformationszeit bis zur Gegenwart, auch nach dem Untergang des osmanischen Reichs, zurück in die Schweiz brachten, ist in Schweizer Museen gehütet. Darunter sind auch zahlreiche Gegenstände und Fragmente aus schweizerischen Landesteilen. Viel davon befindet sich in den Sammlungen der Genfer Musées d’art et d’histoire. Sie alle, auch die zahlreichen Leihgaben, werden bis am 13. März des kommenden Jahres im Musée Rath gezeigt.
Gläserne Schale, Ende 3. Bis anfangs 4. Jahrhundert, mit Jagdszene, Fundort Rheintal, © Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen
Reichtum und Vielseitigkeit
Marielle Martiniani-Reber, seit 1995 Konservatorin der Kunstgewerbesammlungen sowie der byzantinischen und postbyzantinischen Sammlungen an diesen beiden Genfer Museen, zeichnet für die umfangreiche Schau die Verantwortung als Kuratorin. Selbst Autorin verschiedener einschlägiger wissenschaftlicher Publikationen, konnte sie sich auch auf die Beratung und Mitwirkung einiger namhafter Wissenschaftler verlassen. So ist eine Ausstellung entstanden, die unzählige grosse und kleine Schätze sammelt, erschöpfend dokumentiert mit deutsch-französische Informationstafeln und einem Audioguide, der auch auf das persönliche Smartphone geladen werden kann. Deutsch, französisch oder englisch kann man sich durch die Gänge der Präsentation führen lassen. Das ist für die Übersicht und das Verständnis gerade wegen der Vielfalt und Reichhaltigkeit der Schau recht hilfreich. Es erleichtert die visuelle und gedankliche Auseinandersetzung mit Zeugnissen aus einer Kultur, die in mancherlei Hinsicht für die gesamte Entwicklung vor allem auch Westeuropas von einer Bedeutung war, die man nur zu leicht übersehen könnte.
Einige Kostbarkeiten
Das Liber Praefecti ist eines der ältesten gezeigten Dokumente. Redigiert wurde es zwischen September 911 und Mai 912 auf Weisung des Kaisers Leon VI. Es liegt in einer handschriftlichen Kopie aus dem 14. Jahrhundert vor und enthält Weisungen und Vorschriften aus den Fachgebieten der Stadtverwaltung, der Rechtspflege, des Handels und des Gewerbes. Zweifellos eine der ältesten bekannten Rechtsdruckschriften des Alten Europas! Es gelangte im 18. Jahrhundert als Schenkung in den Besitz der Bibliothèque de Genève.
Liber Praefecti. 911-912, kopiert 14. Jh. © Bibliothèque de Genève
Seidenbörse aus dem 10. bis 11. Jahrhundert.
© Chorherrenstift St. Michael, Beromünster, Foto: Abegg-Stiftung, Anne Javor.
Weltliche und sakrale Schätze
Das byzantinische Erbe ist auch ein kulturelles Erbe. Von Bedeutung war jederzeit die Vielfalt der Religionen in den von der Hauptstadt am Bosporus, die seit dem Osmanischen Weltreich Istanbul heisst, verwalteten Reichen. So vermitteln denn einige präsentierte Funde aus der Schweiz auch davon Kostbarkeiten als Zeichen reicher, zwar streng verwalteter, aber doch, wie man an manchem Ausstellungsgut zu ahnen glaubt, auch lebensfreudiger, aufgeschlossener, ja vielleicht sogar toleranter Lebensgestaltung. Die vor allem im Untergeschoss vereinten Ausstellungsgegenstände berichten von der religiösen Vielfalt und den liturgischen Gepflogenheiten. Im Erdgeschoss, sind vor allem die feinen Zeichnungen der Tessiner Gebrüder Fossati im Zusammenhang mit der Restauration der Hagia Sophia (1847) eindrücklich. Auch die Fotodokumentation (1917) bemerkenswerter Architektur von Fred Boissonnas findet grosses Interesse.
Bucheinband. Konstantinopel (?), 6. Jh.
© Collection George Ortitz, Schweiz. Foto: Yoram Lehmann, Jerusalem
Als Frontseite des Katalogs von 614 grossformatigen Seiten (Apparat inklusive) dient ein vermutlich in Konstantinopel angefertigter Bucheinband aus dem 6. Jahrhundert. Er ist aus teilweise vergoldetem Silber und stellt den in einer Kapelle thronenden Christus dar, mit einem Buch in der linken und der erhobenen rechten Hand.
Noch manches wäre es wert, beschrieben zu werden. Es lohnt sich, viel Zeit diesen kulturell einmaligen Schätzen im Genfer Musée Rath zu widmen.
Noch bis am 13. März 2016