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Zu Besuch beim Musiker Armin Brunner

Wer Pierre Boulez würdigt, sollte auch Armin Brunners Meinung einholen, den einiges mit dem Jahrhundertmusiker verbindet. Wir haben ihn zum Interview gebeten.

Joseph Auchter: Herr Brunner, der Tod des 90-jährigen Pierre Boulez, der als Komponist, Dirigent, Musikpädagoge und wegweisenden Förderer der klassischen Moderne in allen Zeitungsspalten und Kultursendungen gewürdigt wird, führt mich zur Frage, was er Ihnen bedeutet hat.

Armin Brunner: Das kann ich nicht in ein paar Sätzen ausdrücken. Die Jahrhundertfigur Pierre Boulez ist als Komponist, Dirigent, Autor, Provokateur u.v.m. derart komplex, dass ich nicht wüsste, wo beginnen, wo enden. Erstaunlich vielleicht, dass mir seine zahlreichen Essays, Werkstatt-Texte und Gespräche, überhaupt sein Denken, das weit über die Welt der Partituren hinausging, zeitweise mehr bedeuteten als seine musikalischen Werke.

Als Dirigent war Boulez für mich eine singuläre Erscheinung. Er hatte eine Dirigier- d.h. Schlagtechnik, die in krassem Gegensatz stand zu den Pultvirtuosen, die meist mehr das Publikum als das Orchester dirigieren. Die geschlossenen Augen Karajans und Bernsteins „Lenny-Leap“ müssen ihm ein Gräuel gewesen sein. Ohne Taktstock, nur mit den Augen, Händen und Armen hat er die Orchestermusiker pannenfrei durch die komplexesten Partituren manövriert. Dass er damit im durchritualisierten Konzertbetrieb der Musikmetropolen Fuss fassen konnte, grenzt für mich an ein Wunder.

Wo Licht, ist bekanntlich der Schatten nicht weit.

Problematisch fand ich jedoch stets sein ziemlich arroganter Umgang mit „Andersgläubigen“. Als Komponist hat er ein diktatorisches Regime errichtet in den damaligen Zentren der Neuen Musik (Baden-Baden, Darmstadt, Köln). Wer nicht auf die Dogmen der Avantgarde einschwenkte, wurde belächelt, verspottet. Dabei muss man – aus der Distanz – doch einsehen, dass die damalige „tonangebende“ Musikszene die kognitiven Fähigkeiten auch der willigen und interessierten Zuhörer überforderte, und zwar gehörig.

Als scharfzüngiger Provokateur hatte er grossen Erfolg, das Feuilleton lag ihm zu Füssen. Noch heute wird mit absoluter Sicherheit sein Ausspruch über die Opernhäuser, die man alle in die Luft sprengen sollte, zitiert, wenn von Boulez die Rede ist. Dabei vergisst man das Umfeld zu erwähnen, in welchem dieses Verdikt eine gewisse Berechtigung hatte.

Was mich wiederum sehr erstaunte: seine Umgänglichkeit. Als er im Rahmen meines „Frankfurter Sonoptikums“ in der dortige Alten Oper mit der Jungen Deutschen Philharmonie in einem extrem schwierigen Programm (Boulez, Varèse) auftrat, bat ich ihn kurz vor Konzertbeginn, einige erläuternde Worte an das Publikum zu richten – er tat es kurzentschlossen, aus dem Stegreif. Auch zu Radio- und Fernsehinterviews war er jeweils ohne Wenn und Aber bereit.

Ich erkenne mehr als eine Parallele in Ihrem Werdegang, die mich an den Franzosen erinnert: Er ist sich auch unter widrigen Umständen immer selber treu geblieben wie Sie, hat Kompromissen getrotzt, wo sie nur wohlfeile Komplimente gebracht hätten, hat an einem künstlerischen Credo festgehalten, das kommerziell völlig unattraktiv war. Woher die Kraft?

Diese Frage kann ich ganz lapidar beantworten: Man hat sie oder man hat sie nicht. Niederlagen, selbst Demütigungen können viel bewirken, können in bestem Sinne anspornend wirken – auch wenn man zunächst am Boden liegt.  

Auch Sie haben in der Avantgarde und jenseits des Mainstreams in zahlreichen Funktionen jahrzehntelang beharrliche Pionierarbeit geleistet und oft um Unterstützung ringen müssen. Ist wahre Kunst letztlich brotlos?

Wahre Kunst ist nicht a priori brotlos. Dennoch: Mit anspruchsvoller Kunst, insbesondere Musik, ist es nicht ganz einfach, einen gewissen Wohlstand zu erreichen. Um zu Boulez zurückzukehren: Als Dirigent wird er beträchtlich mehr Einkünfte erzielt haben denn als Komponist.

Ihre Musikproduktionen beim Schweizer Fernsehen haben Ihnen vor allem bei ausländischen Stationen und an internationalen Messen jenes Renommee eingebracht, das die Redensart vom „kulturellen Holzboden Schweiz“ bestätigt. Was ist davon geblieben bei SF, wo nach mehrheitsfähiger Massenware verlangt wird? Wie ist diesem Zeichen der Zeit noch zu trotzen?

Da hilft kein Trotz und kein Widerstand, die Zeiten haben sich geändert, und zwar gründlich. Wenn ich an meine Fernsehjahre denke, erfüllt mich eine grosse Dankbarkeit. Den Freiraum, den ich und meine Partner in der Musikredaktion in Anspruch nehmen konnten, war schlicht einzigartig. Ich hatte das Glück, eine gute Zeit zu erwischen. Das Fernsehen wurde damals noch nicht von allen Seiten zusammengestaucht und es verfügte über ein gewisses Selbstbewusstsein. Nischen (wie die klassische Musik) waren zugelassen, die Quote hatte nicht alles und jedes im Würgegriff. Und noch etwas: Als ich die Fernsehredaktion Musik übernahm, hiess es in der Musikszene: Ein seriöser Musiker geht nicht zum Fernsehen, bestenfalls zum Radio.

Ihre unverkennbare persönliche Handschrift ist nach wie vor mit zahlreichen Projekten verbunden, die u.a. in der Kulturschiene Herrliberg und im Theater Rigiblick zu erleben sind. Ein Rückzug in die Stille in einer immer lauteren, marktschreierischen Welt?

In der Kulturschiene Herrliberg und teilweise auch im Theater Rigiblick pflege ich eine Art musikszenische Kleinkunst, und zwar in der Form einer „Klang- und Weltchronik“. Mit andern Worten: das musikalische Werk eingebettet in die Zeit seiner Entstehung.

Herr Brunner, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Zur Person:

Nur schon die wichtigsten Stationen des Musikwissenschaftlers und Dr. h.c. Armin Brunner, des Dirigenten (auch bedeutender Uraufführungen), des Initiators unzähliger Pionierprojekte, des Redaktionsleiters Musik und Ballett beim Schweizer Fernsehen, zu denen massgeblich die Meditationen mit dem Dalai Lama, Drewermann, Hildesheimer, Biermann, Muschg, Bichsel, Hohler zählen, sprengte den Rahmen dieser Rubrik.

Wer sich näher informieren will und Interesse hat an seiner „musikszenischen Kleinkunst“, findet im Internet ein ganzes Palmàres an Lebensstationen, Formaten, Ehrungen und aktuellen Projekten, die 2016 in der Kulturschiene Herrliberg von Bessie Smith über Fanny und Felix Mendelssohn, Bernstein, Hohler (eine musikalische Meditation) bis zu Bachs Generalbass reichen.

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