Dass Gewalt aus unterschiedlicher Wahrnehmung oft nicht als solche wahrgenommen wird, aus linker oder rechter, männlicher oder weiblicher Sicht oft relativiert wird, ist aktueller denn je.
Dass Gewalt immer nur Gegengewalt provoziert, das machten uns Schiller und Kleist in ihren bewegenden Dramen und Novellen schon klar. Darum sollte die Aufklärung ja die Vernunft über die Gewalt triumphieren lassen. Das tat sie auch, mit unterschiedlichen Erfolgen zwar, doch der Mensch jeder Couleur fällt leider immer wieder in die alten Muster und glaubt/hofft/behauptet, seine Gewalt legitimieren zu müssen.
Das jüngste Beispiel einer Vergewaltigung an der Eliteschule Stanford in den USA zeigt, wie grotesk damit umgegangen wird. Da vergewaltigte ein Vorzeigestudent sturzbetrunken eine ebenso sturzbetrunkene Kommilitonin. Die Richter zeigten wie meistens in solchen Fällen Milde und verpassten ihm lediglich eine bedingte Strafe mit dem Argument, der Täter sei durch die Ermittlungen schon genug bestraft. Und sein Vater wehklagte, eine „20-Minuten-Aktion“ dürfe sein hoffnungsvolles Leben nicht ruinieren. Der Aufschrei schlägt Wellen – bis zur nächsten Verharmlosung, Alkohol und Drogen schränkten halt das Urteilsvermögen ein, Nachsicht sei geboten. Und das Opfer? Selber schuld, weil es auch alkoholisiert war? Die männliche Sichtweise ist intolerabel, wird aber immer noch unter dem Stichwort Kavaliersdelikt abgehakt.
Nun berichtet allerdings die jüngste Ausgabe des Migros Magazins auch von Männern, die immer häufiger Opfer von weiblichen Übergriffen werden. Laut Kriminalstatistik wurden 2013 25% der Männer das Opfer von häuslicher Gewalt, wobei die Dunkelziffer hoch sei, weil sich Männer darüber schämen und selten Hilfe suchen. Da ist von Messerattacken die Rede, von sexueller Nötigung und rabiaten Drohkulissen. Doch wird diese Erkenntnis heute von weiblicher Seite genau so tabuisiert, wie es Männer in ihrer Selbstherrlichkeit den Frauen gegenüber zu tun pflegen.
Die Verharmlosung der Gewalt zieht aber weitere Kreise. Obwohl ein Vermummungsverbot besteht, nutzen feige Krawallanten jedes Fussballspiel – und erst recht, wenn der FC Zürich absteigt – um auf den Putz zu hauen, die Polizisten tätlich anzugreifen und neuerdings gezielt zu verletzen. Wenn sich die Hooliganszene in England und Deutschland weitgehend beruhigt hat, dann nicht, weil man die Augen davor verschliesst, sondern ganz klare Grenzen setzt und mit Sanktionen nicht zurück hält. Der Kantönligeist bei uns ist diesbezüglich aber eine Lachnummer. Wir halten’s lieber mit den drei Affen: nichts gesehen, nichts gehört und lieber geschwiegen. Chaoten der Berner Reitschule veranstalten regelmässig Saubannerzüge und fordern rechtsfreie Räume. Und das hilflose Gestammel der Politik ermutigt sie weiterhin, ihren Freiheitsbegriff zu strapazieren und das Katz- und Mausspiel auf die Spitze zu treiben.
Es ist auch interessant zu beobachten, wie rechte Gewalt von linker Seite ganz anders beurteilt wird und umgekehrt. Hier Dramatisierung, dort Verharmlosung. Dabei bleibt Gewalt doch immer Gewalt. Wir haben in Zürich auch einen „Wolff im Schafspelz“, der als Stadtrat seine liebe Mühe damit hat, die Anarcho- und Besetzerszene und den sog. Schwarzen Block in die rechtsgültigen Schranken zu weisen. Das Lavieren um Konsens und die Angst, die Ausschreitungen könnten beim resoluten Eingreifen der Ordnungskräfte aus dem Ruder laufen, führen zu sanftmütiger Verhätschelung und letztlich zu einem fragwürdigen Schutz von Rechtsbrechern. Soll mir mal jemand erklären, weshalb Vermummte toleriert und nicht belangt werden. Wer Gewalt, in welcher Form auch immer, verharmlost und nicht resolut ahndet, wird nichts als Gewalt ernten.