Das Impressionisten-Museum Langmatt in Baden zeigt seine Schätze aus dem Depot
Ein Museumsdepot kann als Gedächtnis verstanden werden. Ein stiller Ort für Werke, die gerade nicht gezeigt werden, weil sie nicht ins Konzept passen, zu unbekannt oder verkannt sind. Und doch die Hoffnung in sich tragen, vielleicht einmal von späteren Generationen entdeckt zu werden. Diese Chance haben nun die Depotbestände des Museums Langmatt, dank der Erneuerung und Erweiterung des Kellers. Statt sie während der Umbauzeit weit weg in Sicherheit zu bringen, hatte der neue Museumsdirektor, Markus Stegmann, die glückliche Idee, sie in einer Sonderausstellung der Öffentlichkeit vorzustellen. Dadurch ergibt sich ein ebenso seltener wie faszinierender Einblick in die Vielfalt des Bestands und die Geschichte der Sammlung. Es sind nicht nur Bilder, Zeichnungen und Skulpturen, sondern auch Kunsthandwerk, Textilien, Bilderrahmen und manch skurrile Objekte. Über viele Werke ist nur wenig, manchmal gar nichts bekannt, es fehlen mitunter Hinweise auf die Künstler. Umso wichtiger ist das laufende Inventarisationsprojekt des Museums Langmatt: Sämtliche Objekte der Sammlung werden digital erfasst.
Das Depot im Ausstellungsraum eröffnet ungewöhnliche Einblicke. Foto: Guido Reichlin
Beim Rundgang durch die Ausstellung erstaunt, was sich im Laufe der Jahre ansammelte.Der erste Ausstellungsraum zeigt wie in einer Wunderkammer die Fülle, so als sei das Depot vom Keller ins erste Obergeschoss verschoben worden: Ein elegantes Spitzenkleid der Dame des Hauses, ein alter Reisekoffer gefüllt mit Musiknoten, antike chinesische Vasen, Bilderrahmen, Skulpturen und unzählige Bilder eingeordnet in Holzregalen. Einzelne Werke am Ende der Regale, wie der Akt von Renoir, können durch die Regalstangen hindurch, wie durch ein Gitter, entdeckt werden, auch ein zartes Blumenstillleben von Max Oppenheimer (1885-1954).
Neben dem Eingang steht ein grossformatiges Gemälde des Münchner Künstlers Julius Exter (1863-1939), auf dem sich die junge Hausherrin Jenny Brown im Profil sitzend mit nachdenklichem Blick vielleicht fragen mag, wo nur die Zeit geblieben sei. Dieses Porträt (1902) stammt aus der Anfangszeit der Sammlung, als das Ehepaar Sidney und Jenny Brown (Mitbegründer der Firma Brown-Boveri, BBC) vor allem Werke der Münchner Schule sammelte und mit einzelnen Künstlern befreundet war. Julius Exter luden sie öfters nach Baden ein, wo er Jenny und die Kinder porträtierte. MOPP, Max Oppenheimer, war auch ein enger Freund, und sie unterstützten ihn finanziell während seiner Emigration in Amerika. Den Hamburger Bildhauer Friedrich Wield (1883-1940), ein Schüler Rodins, förderten sie 1910 in Paris und erwarben die Kauernde (1909) für ihren Garten. Von ihm sind drei unbekannte Charakterköpfe im „Depotraum“ direkt auf dem Holzboden platziert. Eine Postkarte von 1903, ist neben den Regalen an die Wand geheftet mit Grüssen aus Bellinzona an die „lieben Buben“. Abgebildet ist eine Dampflokomotive auf der Fahrt durch den Gotthardtunnel.
Camille Pisarro: Herbst. Kuhhirtin in Eragny. um 1890. © Stiftung Langmatt, Baden
Im mittleren Raum sind vorwiegend Arbeiten auf Papier ausgestellt. Neben Ansichten von Baden in Gouache aus dem 19. Jahrhundert auch drei frühe Tuschzeichnungen von Henri Matisse (1869-1954) mit kräftigem Strich in abstrakter Gestaltung. In der Vitrine werden kleine Federzeichnungen von Camille Pissarro (1830-1903) gezeigt neben Arbeiten von Karl Montag (1880-1956), der das Ehepaar dazu gebrachte hatte, sich nach Paris auszurichten und Impressionisten zu sammeln. Karl Montag war eine Zeitlang Churchills Zeichen- und Mallehrer, wandte sich dann aber zusehends der Vermittlung von Kunstobjekten zu. Dank ihm fanden relativ früh impressionistische Werke den Weg in Schweizer Sammlungen und Museen.
Ausstellungsansicht mit Paravent und Chinoiserien. Foto: Guido Reichlin
Der nächste Raum ist der Familie Brown gewidmet. Ein überragend grosses Ölgemälde „Das Glück der Ehe“ (1901) vom Hausmaler Julius Exter bedeckt eine ganze Wand. Der Maler sowie das Sammlerehepaar hatten eine Familie gegründet und fühlten sich eng verbunden. Nach dem Ideal der Zeit kauert die junge Frau demütig am Boden und blickt auf das vor ihr stehende kleine Kind, das mit erhobenen Ärmchen zum Vater aufschaut. Dieser steht mit Stiefeln, Umhang und Reitgerte neben zwei Pferden und verabschiedet sich mit einem auf das Kind gerichteten strengen Blick. Ein Sittengemälde, dessen Vorstellung Jenny Brown niemals entsprochen hatte. Sie war neben ihrem Ehemann die perfekte Herrin des Hauses, eigenständig und willensstark. Ein weiteres Familienbild von Julius Exter zeigt den kleinen John Brown, der mit langen Haaren und Kleidchen in der Ecke eines Sofas sitzt. Damals war es Mode, kleine Buben wie Mädchen zu kleiden. Erst Fünf bis Siebenjährige wurden mit Hosen und kurzem Haarschnitt richtige Jungs.
Die Veranda beherbergt unter anderem einen Paravant, den Jenny Brown selbst gemalt hatte, er zeigt ihre Eltern auf einer Bank sitzend. Dort sind auch kleine chinesische Figuren zu sehen, darunter Fälschungen sowie kleine weisse Porzellanformen, die Michael Günzburger (*1974) als Sommergast anlässlich seiner Ausstellung 2006 herstellte.
Junges Paar in Landschaft. 2. Hälfte 19. Jh. Kreide auf Karton. © Stiftung Langmatt, Baden
Im Vestibül befindet sich von unbekannt eine grosse Skizze mit einem männlichen Akt und einer halbbekleideten weiblichen Figur. Zwar halten sich beide an den Händen, wenden sich aber auffällig voneinander ab. Über dem Kopf des jungen Mannes sind zwei kleine Flügel angedeutet, was auf Hermes verweisen könnte, die Wendung der weiblichen Figur nach links unten auf Persephone, die von Hermes aus der Unterwelt zurückgeholt wird. Aufgrund der Gegenüberstellung mit einem kleinformatigen Apfelstillleben von Paul Cézanne (1839-1906) ist auch ein anderer Zusammenhang denkbar: Die weibliche Figur kann als Eva gedeutet werden, die gleich mehrere rote Äpfel für ihren Adam zur Verfügung hat. Diese Bildbegegnung zeigt, wie durch überraschende Dialoge Erweiterungen konventioneller Lesarten entstehen können. Die beiden anderen weiblichen Figuren im Vorraum verstärken durch ihre Einsamkeit im Bild, ihre Körperhaltung und Blicke die Melancholie des Raum. Ihre Nachdenklichkeit steht für die Erinnerung an viele, inzwischen vergessene Kunstschaffende, deren Werke in den Depots der Museen in aller Welt darauf warten, eines Tages wieder ans Licht zu treten.
Teaserbild: Paul Cézanne: Äpfel. 1880/82. © Stiftung Langmatt, Baden
bis 4. September
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