Markus Raetz, Urs Lüthi, Rosina Kuhn, Franz Gertsch sind heute klingende Namen. Damals waren sie jung und suchten sich von den Übervätern der Konkreten Kunst abzugrenzen. Man malte wieder figurativ, ausgehend nicht von der Natur, aber von Fotos, Werbeplakaten, oder der Zeitung, man produzierte Collagen, erprobte neue Techniken und neue Themen, banale Alltagsgegenstände, die prosperierende Zivilisation der Hochkonjunktur und deren zentrales Symbol Auto wurden verhandelt.
Blick auf den riesigen Autopneu samt Spur von Peter Stämpfli. Foto René Rötheli, Baden
51 Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Schweiz sind mit 270 Werken – Malerei, Fotografie, Collagen, Objekte – in der Ausstellung Swiss Pop Art. Formen und Tendenzen der Pop Art in der Schweiz vertreten. Museumsdirektorin Madeleine Schuppli freut sich, dass die Pop Art mit Schweizer Urhebern noch rechtzeitig untersucht und gezeigt werden kann, denn viele der Protagonisten können sich über damals äussern. Die Pop Art will die Welt so darstellen, wie sie ist, also die Zivilisation abbilden. Aber irgendwann war für die Künstler damals das Kapitel abgeschlossen, sichtbar an der Entwicklung der heute noch aktiven Künstlerinnen und Künstler.
Anton Bruhin: Stillleben Bazooka, um 1965. Leihgabe des Künstlers. Foto: Brigitt Lattmann
Wer die Ausstellung betritt, ist mit einer Plakatwand konfrontiert: Sinalco, Fogal, De Sede und andere führen einen gleich in medias res. So steht der zerfliessende Schoko-Stuhl vom De Sede Plakat gleich ums Eck als Objekt von Trix und Robert Haussmann, flankiert von Peter Stämpflis Pudding und Tomate, deren Ursprung nicht ein Pudding oder eine Tomate, sondern eine zweidimensionale Darstellung aus der Werbegrafik ist. Viele der jungen Künstler waren Grafiker, die Werbung wurde nicht abgelehnt, sondern als Inspirationsquelle benutzt.
Swiss Pop Art mit Tomate, Pudding und Schoggistuhlobjekt. Foto René Rötheli, Baden
Unverfroren wurde zu plakativen Formen gegriffen, selbst wenn das Kunstwerk direkt als Werbung hätte genutzt werden können wie das Bild Lahco von Markus Müller. Die aufregende Kunst aus der Metropole New York fand zügig ihre Swissness, so wandten sich die Künstler den Ikonen der eigenen Umgebung zu, setzten sich mit der von Weltkonflikten verschonten Heimat, mit Schmelzkäse und moderner Zersiederung dank dem Automobil auseinander.
Max Matter: Hungerberg, 1968. Aargauer Kunsthaus Aarau
Max Matters Hungerberg aber auch die Rekonstruktion von Peter Stämpflis riesigem Pneu mit Spur oder Barbara Davatz‘ kolorierte Fotos aus dem beschaulichen Appenzellerland zeugen von diesem Diskurs. Verfremdung war damals ein geläufiger Begriff, sichtbar hier in der Auseinandersetzung der Künstlerinnen und Künstler mit der Schweiz. Pop Art war aber nicht nur ein Lebensgefühl in materiell sorgloser Zeit, die Mittel der Pop Art eigneten sich auch für politische Aussagen. Das Gerberkäseschächteli von Hugo Schuhmacher beispielsweise schwebt vor einem düstergrauen Hintergrund mit Kriegsmaterial, die Verknüpfung von Auto und Frau wie beispielsweise bei dem zu entdeckenden Tessiner Künstler Fernando Bordoni oder bei Hugo Schuhmacher sind nicht nur Hommage an die Ikone Frau und den Fetisch Auto. Das Luxusgefährt ist erschwinglich geworden, es steht für ein neuen Lebensgefühl von Freiheit und Tempo – bis zur Ölkrise 1973.
Emilienne Farny, Sans titre, 1965. Privatsammlung. Foto: Brigitt Lattmann
Während Stämpfli oder Müller mit den Grundfarben auffällige Effekte erzielen wollen, arbeiten Urs Lüthi, Markus Raetz oder Max Matter mit einer Pastellskala, was ihre Malerei wiederum von der Konkreten Kunst abgrenzt. Knallig dagegen Franz Gertsch mit seinen Grossformaten aus der Popmusik: Dylan und Joan Baez, damals die bekanntesten Protestsänger, oder die Rolling Stones, konstruiert aus Farbfeldern. Mit der Kultband setzte sich auch Bendicht Vivian auseinander, eines seiner oszillierenden Grau-Porträts ist seine Imagination von Lady Jane.
Die junge Kunst entwickelte sich in den 60er Jahren vor einem Hintergrund von kaltem Krieg inklusive Vietnamkrieg, Drogenexperimenten, Flower Power oder schöne neue Warenwelt.
Max Matter: Fulvia, um 1968. Aargauer Kunsthaus Aarau. Foto: Brigitt Lattmann
Der Gang durch die Ausstellung bringt Überraschendes, aber auch ein ganzes Stück Retrowelt, ein geeigneter Teppich für das Erinnern eigener Geschichten jener unruhigen Zeit. In der eigens konstruierten Lounge gibt es nicht nur Film und Bücher, sondern auch eine regelrechte Jukebox, mit der das Erinnern erweitert werden kann.
Hugo Schuhmacher: Käseschachtel Neutrale Schweiz, 1969. Privatsammlung Zürich. Foto: Brigitt Lattmann
Mit der Ausstellung ist ein Buch zur Pop Art in der Schweiz erschienen, welches dank reichem Bildmaterial und fundierten wissenschaftlichen Beiträgen erschienen, welches einen Überblick über die in politischer, gesellschaftlicher und künstlerischer Hinsicht ereignisreiche Periode bietet und als Standardwerk gelten soll.
Wieder zurück im Zürcher Hauptbahnhof fällt mein Blick auf die Plakatreihe eines Möbelladens in schönsten Popfarben, banale Werbung, aber nah an einigen Exponaten in Aarau, als Reklame noch spannend war.
Teaserbild: Samuel Buri, Käseschachtel
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bis 1. Oktober