StartseiteMagazinKolumnenLifestyle-Dekadenz ante portas!

Lifestyle-Dekadenz ante portas!

Was gemeinhin unter Lebensführung oder Lebensstil verstanden wird, entlarvt sich in unserer wohlfeil zelebrierten Lifestyle-Eitelkeit immer mehr als dekadente Egomanie. 

Sind Sie noch verheiratet? Wie altmodisch! Sie denken nicht daran, sich für Ihre Schönheit unters Messer zu legen? Verpassen Sie den Anschluss nicht! Vergessen Sie Ihre altmodischen Ansichten und gehen Sie mit der Zeit, sonst werden Sie zur Lachnummer der Postmoderne.

„Trennt Euch!, wenn es nicht mehr rosig läuft“, rät uns der Autor Thomas Meyer in seinem neuen Buch und posaunt seine Erkenntnis im aktuellen M-Magazin unter dem Titel: „Ich lebe nicht, um Mühsames auszusitzen“ in die Welt. Dabei zerfleddert und zertrampt er tattoo-gestylt und zermartert einen Rosenstrauss. Er hat sich offenbar von seiner Partnerin getrennt, als sein Sohn gerade mal vier Monate alt war. Zu unterschiedliche Vorstellungen von einer Beziehung hätten dazu geführt. Und weiter: „Ich habe beispielsweise für mich entschieden, dass ich punkto Respekt absolut keinen Kompromiss eingehen will.“ Es handelt sich beim Schreiberling also nicht um einen Paartherapeuten oder Psychologen mit entsprechend breiter Berufserfahrung, sondern um einen Selbstdarsteller, der das Scheitern seiner Beziehung für roman-tauglich genug hält und uns krude Allerweltsweisheiten auftischt.

Meyer findet die „Ehe light“ eine ideale Lösung, also „eine Ehe auf Zeit, die man erneuern kann, aber nicht muss.“ Nun gibt es für seinen inzwischen 5-jährigen Sohn eine Papa- und eine Mama-Wohnung. Der Vater ist überzeugt, dass der Sprössling „mit dem Thema sehr entspannt wird umgehen können.“ Er findet es feige und egoistisch, wenn Paare wegen der Kinder zusammenbleiben. So einfach ist das. Weshalb muss ich mir diese Seifenoper mit all den albernen Ratschlägen zu Gemüte führen? Natürlich muss ich nicht, aber sie springt mich bereits auf der Titelseite werbewirksam an und bestätigt den Trend, dass etwas Provokation als Marktnische benutzt wird, um sich – stümperhaft wie auch immer – in Szene zu setzen.

Im HB Zürich prangt zum wiederholten Male eine X-Size-Reklame, die mit dem Slogan „Meine Dinger. Mein Ding.“ für 9’800 Franken anpreist, die Brüste zu vergrössern, zu verkleinern oder zu straffen. Die Schönheitschirurgie ist zu einem Riesengeschäft geworden. Urs Kiener von der Stiftung Pro Juventute kritisiert: «Solche Plakate vermitteln den Eindruck, dass die perfekten Brüste ein Konsumgut sind wie eine neue Uhr.» Schon Teenager, die noch in der Wachstumsphase sind, spüren steigenden Druck, um möglichst modekompatibel zu sein. «Für Schönheits-OPs öffentlich Werbung zu machen, ist unverantwortlich», sagt Patientenschützerin Margrit Kessler. Der Wunsch, sich unters Messer zu legen, gehe oft auf Unsicherheiten und psychologische Probleme zurück. Doch die Werbung kümmert dies am Allerwenigsten.

Es ist wohl alles andere als Zufall, dass das Tagesanzeiger-Magazin vom 10. Juni das Gesäss der Vorzeige-Lifestyle-Puppe Kim Kardashian aufs Titelblatt hievt und vorrechnet: „Für den perfekten Po gilt: Die Taille muss im Verhältnis 1:1,6 zum Hintern stehen. Wer verrückt sein will, geht heute auf 1:2 oder sogar 1:2,5.“ Nach den Brüsten nun also der Allerwerteste als öffentliche Zurschaustellung. Da wird also eigenes Fett umverlagert, aber weil sich offenbar schon spindeldürre Frauen ein ausuferndes Füdli wünschen, wird als Füllmaterial „Sculptra“ verwendet, gemischt mit dem Plasma und den Stammzellen der Kundin. So geht das: höher, breiter, weiter oder ausladender – jedem seinen per App designten Po.

Heute ist der Kardashian-Clan in den Social Media omnipräsent. Der Schönheitschirurg Simon Ourians sagt es so: „Wenn die Kardashians, also Kris, Caitlyn, die fünf Töchter und der Sohn Rob an einem Tag zum selben Zeitpunkt dasselbe Bild posten, dann sehen das 700 Millionen Menschen. Das entspricht der gesamten Bevölkerung der USA und der EU zusammen. Kein Medium hat eine solche Macht. Nicht einmal CNN… Es ist die stärkste Kraft, die ich in der ästhetischen Medizin jemals erlebt habe. Social Media hat unsere Branche von ihrem Stigma befreit. Eingriffe wurden von etwas, das man verheimlicht, zu einem Statussymbol.» Kim, die selbsternannte Göttin von Social Media, liess sich während der Behandlung auch filmen und postete das Video online. „Es war ein Segen für mich, dass sie das Video veröffentlichte“, frohlockte der Arzt. Alles klar? Fortsetzung folgt.

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