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Was auch gesagt werden müsste

Mit Recht wird am Ersten August die Schweiz in den höchsten Tönen gelobt. Sie ist ein wunderbares Land. Dennoch kann man sich selber belügen, wenn man über sie eine Rede hält.

Ich bin ein Patriot. Ich möchte nirgends sonst auf der Welt leben, obwohl es überall schöne Landschaften, reiche Kulturstädte und interessantes Brauchtum. Aber ich bin nun mal ein Schweizer. Am Nationalfeiertag der Schweiz habe ich aus voller Brust die Nationalhymne gesungen. Die Gemeinde hatte auf der Einladung die vier Strophen des Schweizerpsalms gedruckt. Die erste Strophe konnte ich auswendig singen. Aber nachher wäre meine Stimme ohne das Blatt verstummt und ich hätte nur noch die Lippen bewegt.

Überall in der Schweiz wurde die Freiheit und die Eigenständigkeit des Landes gepriesen, und ich nehme an, dass Bruder Klaus und Wilhelm Tell auch gebührend zu Ehren gekommen sind. Wir Schweizer haben uns daran gewöhnt, dass wir einmalig sind und zur Weltspitze gehören. Schon in der vierten Klasse der Volksschule wurde ich mit dieser Meinung imprägniert, hatten doch unsere Vorfahren am Morgarten gegen das mächtige Habsburg gesiegt. In dieses Selbstverständnis haben wir uns eingenistet. In 1. Augustreden und Inseraten warnten Blocher & Co vor einem schleichenden EU-Beitritt. Es wurde eine Drohkulisse aufgebaut gegen ein mögliches Rahmenabkommen mit der EU und gegen fremde Richter. Bundesrat Didier Burkhalter konterte seelenruhig, es bestehe kein Zeitdruck, darüber mit der EU zu verhandeln. Inzwischen ist klar, dass das Schweizer Volk in seiner überwältigenden Mehrheit einen Beitritt zur EU ablehnen würde. Es besteht keine Gefahr, dass es so schnell zu einem Meinungswechsel kommt, obwohl oder weil unsere Wirtschaft mit den europäischen Staaten dicht verwoben ist. Wir täten gut, die reale Situation unseres Landes angesichts der Welt ein wenig ehrlicher zu betrachten. Darum habe ich mir erlaubt, daran zu erinnern, wie nützlich für die Schweiz die EU ist. Mein Leserbrief mit dem Titel: „Was auch gesagt werden müsste“, erschien am 7. August in der „Zuger Zeitung“.

„Was uns froh macht: Die Schweiz ist ein selbständiger Rechtsstaat, den es zu loben gilt. Was aber auch gesagt werden müsste: Sie steht im Schutz der EU. Gute Nachrichten: Der Eurokurs ist auf 1.15 gestiegen, weil Europa sich wirtschaftlich positiv entwickelt. Das gibt dem früher viel und oft gescholtenen SNB Direktor Thomas Jordan für die Aufhebung des Mindestkurses recht und entlastet die Exportwirtschaft. Macron möchte in Nordafrika Auffanglager für Flüchtlinge bauen. Das möchten auch einige Schweizer Politiker. Aber was hätte dies für einen Sinn ohne die Zusammenarbeit mit der EU. Die Bundespräsidentin jubelt. Das Verhalten zur EU habe sich entkrampft. Plötzlich fallen technische Handelshemmnisse weg, weil die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) europatauglich umgesetzt worden sei. Nun ärgern sich viele Firmen über den Inländervorrang und vergessen, dass dies die harmloseste Folge der unsinnigen MEI ist. Die EU versage in der Flüchtlingspolitik. Wie erst würde sie die Schweiz belasten, wenn es den Schengen-Vertrag mit der EU nicht gäbe und die Nationalstaaten im Sinne von Orban die Flüchtlinge weiter Richtung Schweiz lenken würden? Bauten wir dann einen Stacheldraht um die Schweiz? Die EU wehrt sich gegen den Protektionismus. Ohne sie stünde die Schweiz schutzloser da. Das Loblied auf die Freiheit würde ziemlich hohl klingen, wenn es die EU nicht gäbe. Das müsste auch einmal gesagt werden.“

Mich ärgert es, wenn dauernd über die Europäische Union geschimpft wird und ich zynische Bemerkungen zu lesen und zu hören bekomme, die EU würde bald als gigantischer Koloss in sich zusammenfallen. Schlechte Nachrichten aus Brüssel werden genüsslich herum geboten und noch immer wird über das unselige Gurkenmass gespottet. Wir sollten endlich zu einer positiven Einstellung über unser Verhältnis zu Europa zurückkehren. Darin spielt die EU eine wichtige Rolle. Bleibt die EU der Sündenbock und der Hassgegner der Schweizer, dann wird unser Land in eine schlechte Stimmung hinein geredet. Das tut dem Land nicht gut, denn es ist umgeben von uns freundlich gesinnten Nachbarn. Es handelt sich um Staaten, die ihre eigenen Probleme haben, die sie nicht der EU anlasten können und wollen. Warum müssen wir denn die Union immer wieder schlecht reden? Gewiss ist es in Ordnung, dass wir aus fundamentalen direktdemokratischen Gründen der EU nicht beigetreten sind. Die Schweizerische Politik hat sich nach der Ablehnung des EWR in mühsamen Schritten mit bilateralen Verträgen der Union angenähert. Dass dies gelungen ist, sollten wir dankbar anerkennen. Die Schweiz ist in Europa aufgehoben. Der wirtschaftliche Austausch funktioniert ohne schwerwiegende Handelshemmnisse. Die EU anerkennt, was die Schweiz im Interesse Europas leistet. Und dies nicht allein mit dem neuen Gotthardtunnel. Wir tun also gut, wenn wir ein offenes und ehrlicheres Verhältnis zur Europäischen Union pflegen.

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