StartseiteMagazinKulturLenin bleibt – auch im Kopf

Lenin bleibt – auch im Kopf

In der Ukraine gab es einst 5500 Leninstatuen. Fotograf Niels Ackermann und Journalist Sébastien Gobert gingen auf Spurensuche. Eine Ausstellung in Winterthur

Schon der Flyer mit der Nase auf blauem Grund irritiert. Sie gehörte zur grössten Lenin-Skulptur in der Ukraine und kam als Teil der Kunstinstallation von Yevgenia Beloruset Let’s Put Lenin’s Head Back Together in Kiew zu neuen Ehren, fotografiert von Niels Ackermann. Anderthalb Jahre suchte der Fotograf nach Metall, Beton und Stein, die einst als Lenin-Statuen aus Guss oder Stein die bolschewistische Herrschaft in der Ukraine markierten, während Journalist Gobert das Verhältnis der Sammler oder Zerstörer oder Bewunderer des früheren Übervaters erkundete. Nun ist die Dokumentation Looking for Lenin in Winterthur zu sehen. Niels Ackermann und Sébastien Gobert leben und arbeiten seit Jahren vorwiegend in der Ukraine.

Slowjansk, Ukraine, 15. September 2015. © Niels Ackermann | lundi13

Winterthur, die Stadt mit dem Fotozentrum an der Peripherie, hat mit dem ehemaligen Kohlekeller des Volkarthauses nah beim Bahnhof noch einen Ausstellungsort für Fotografie: In der Coalmine empfängt ein Café mit Bühne und deckenhohen Bücherregalen voller Suhrkamp-Literatur und anderem Lesestoff kulturaffine und an regionalen Spezialitäten interessierte Besucher. Die Coalmine beherbergt auch einen Raum für zeitgenössische Fotografie und das Forum für Dokumentarfotografie. Dort gibt‘s zur Zeit drei Dutzend grossformatige Fotografien von gestürzten Lenin-Statuen – ganz, zerlegt, zertrümmert.

Dnipropetrovsk, Ukraine, November 2015. © Niels Ackermann | lundi13

Als Kontrapunkt eine Wand mit Archiv-Postkarten von Lenindenkmälern, wie sie einst in der Ukraine standen, und Aussagen von Ukrainerinnen und Ukrainern, die der französische Journalist Sébastien Gobert aufgezeichnet hat, während sein Schweizer Kollege die Lenins ins Licht setzte: „Entkommunisierung ist Angst. Sie geschieht aus Angst. Die Menschen sind erschrocken über ihre Vergangenheit, unzufrieden mit ihrer Gegenwart und haben Angst vor ihrer Zukunft. Also bauen sie Denkmäler ab,“ kommentiert Ljudmila den Bildersturm. Sie leitet die Stiftung des Historischen Museums Kiew. Verunsichert und zweifelnd wollen die einen den Lenin möglichst intakt und integral vom Sockel heben, um ihn beispielsweise wie in Horbani im Wald zu verstecken – man weiss ja nie, ob man ihn nach einem Herrschaftswechsel wieder braucht – nutzen andere ihn als gigantischen Gartenzwerg oder verwandeln ihn in eine Figur aus dem Fantasy-Arsenal, konkret in Darth Vader.

Der ukrainische Künstler Alexander Milov verwandelte die Leninstatue in die Star-Wars-Figur Darth Vader. Sie steht im Hof einer Fabrik am Stadtrand von Odessa, 21. November 2015. © Niels Ackermann | lundi13

Aber vor allem liegen unzählige Lenin-Bruchstücke von weither sichtbar auf Schrottplätzen und Deponien, während Köpfe in Wohnstuben und Nebenräumen gehortet werden. So leicht lässt sich ein Lenin nicht entsorgen, wenn er über fünftausend Mal prominent auf Plätzen und von Fabriken stand, und noch prominenter in den Köpfen der Bevölkerung bis heute seine Präsenz markiert: „Lenin ist immer mit dir.“ Beispielsweise mit der älteren Frau aus Schabo, die jeden 1. Mai Blumen bei der Statue – heute fehlt der Kopf – niederlegte und sich an das planbare Leben mit sicheren Arbeitsstellen nach dem Schulabschluss erinnert. Sie leidet am mangelnden Respekt und dem Chaos im Land. Wenigstens wurde der Kopf der Statue von einem Mitglied des Dorfrats gerettet, „sonst hätten sie ihn zerstört. Ich habe ihn mitgenommen, weil es wichtig ist, diese Dinge zu beschützen.“

Geköpfte Leninstatue in Schabo, Region Odessa. © Niels Ackermann | lundi13

Oder der Lenin, der das Grundstück einer Wohnsiedlung in Pylypets als liegender Gargantua ziert, den einen ein Unglücksbringer, den Kindern ein Robinsonspielplatz, der Hauseigentümerin eine Art Anziehungspunkt für Touristen. Die Suche nach der Kommunismus-Heldenfigur hat sich aus einer guten, mitunter witzigen Dokumentationsidee zu einer aufschlussreichen Reportage ins Innere einer gespaltenen Bevölkerung entwickelt, die zwar mit dem alten System tabula rasa gemacht hat, aber nicht überzeugt ist, ob es im Postkommunismus besser werde. Oder mit den Worten von Ausstellungsmacher Sascha Renner: „Lenin ist tot, Lenin ist nicht mehr mit den Ukrainern. Doch sein Name lastet schwer auf der Gegenwart und Zukunft des Landes.“

Der Ausstellungskatalog Looking for Lenin ist in einer französischen (Verlag Noir sur Blanc,ISBN 978-2-88250-472-2) und in einer englischen Ausgabe (Fuel Publishing, ISBN 978-0-9931911-7-6) im Coalmine Café für 34.90 Franken erhältlich.

Bis 23. Dezember 2017
Teaserbild: © Niels Ackermann | lundi13

Mehr über das Projekt erfahren Sie hier, auf der Homepage von Niels Ackermann.

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