StartseiteMagazinKulturGlasmalerei – eine seltene Kunst

Glasmalerei – eine seltene Kunst

Schon in den Kirchen des Mittelalters brachten farbige Fenster den Raum zum Leuchten.

Wer hat das nicht schon erlebt: An einem sonnigen Vormittag treten wir in eine alte Kirche und obwohl keine Lampe brennt, leuchtet der Raum im warmen Licht der Sonne, denn sie scheint direkt auf eines der grossen farbigen Fenster und schafft damit diese besondere Atmosphäre, die wir in einer stillen, alten Kirche schätzen. «Soli Deo Gloria – die spirituelle Absicht hinter dem Bau eines gotischen Gotteshauses wird neben der in die Höhe strebenden Architektur und den ausdrucksvollen Skulpturen durch seine kunstvollen Fenster ausgedrückt. Hoch- und Spätgotik sind denn auch die Blütezeit der Kunst der Glasmalerei.

Apokalypse, West-Rosette der Sainte-Chapelle  © Didier B / commons.wikimedia.org

La Sainte-Chapelle in Paris gilt unter Experten als Geburtsort der Glasmalerei: Ihre Fenster sind 12 Meter hoch und erstrecken sich auf 600 m² Fläche, zwei Drittel stammen noch aus dem 13. Jahrhundert, ein Drittel sind Erneuerungen des 19. Jahrhunderts. Auch Chartres ist berühmt für seine Fenster, in der Schweiz besitzen die Kathedrale von Lausanne und nicht zuletzt das Berner Münster hervorragende Beispiele der Kunst, farbige Fenster in den Dienst der christlichen Theologie zu stellen. Wir müssen uns nämlich bewusst machen, dass Lesen und Schreiben im Mittelalter kein Allgemeingut waren. In den farbigen Darstellungen der Kirchenfenster konnten die Kirchgänger sich ganz konkret einzelne Personen oder Szenen aus der Bibel bzw. Kirchengeschichte anschauen.

Ausschnitt aus der Rosette der Kathedrale von Lausanne, Replikat von M. Halter

Die alte Kunst der Glasmalerei und der Herstellung von bleigefassten Glasbildern wird heute noch praktiziert. Es ist ein Kunst-Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes: Diese Arbeit erfordert künstlerisches Talent für die Entwürfe, eine geschickte Hand für die feinen Malereien auf dem Glas und gute handwerkliche Fertigkeiten, um die Ideen umzusetzen. Die Lehre zum Kunstglaser und Glasmaler dauert heute vier Jahre, zu kurz, sagt der langjährige Lehrer und erfahrener Praktiker Martin Halter, um alle Feinheiten dieses Berufes zu erlernen. – Wir konnten kürzlich sein Atelier in Bern besuchen und Einblick in seine Tätigkeit nehmen. Die Werkstatt, lauschig an der Aare gelegen, wurde 1916 vom Grossvater Halter gegründet, der einige Jahre zuvor aus dem Elsass eingewandert war.

Seit dem 7. Jahrhundert sind Zeugnisse einfacher Glaskunstfenster erhalten. Die ersten farbigen Scheiben waren von Weidenruten umflochten. Später entwickelten die Handwerker in Analogie zum Goldschmuck die Bleifassung. Seitdem sind Blei und Glasmalerei untrennbar miteinander verbunden. Die Glasmalerei folgte in ihren Darstellungen den Fortschritten der Maler, die mit der Perspektive experimentierten. Ungefähr um die Wende zum 15. Jahrhundert versuchte man Tiefe auch auf Fenstern darzustellen. Mit der Reformation endete diese blühende Zeit brüsk. Alle bildlichen Darstellungen in der Kirche sollten verschwinden, also wurden nicht nur Skulpturen zerstört, sondern auch Glasfenster. Da Fenster aber notwendig waren, um Kälte und Regen abzuhalten, wurden viele verschont. Gerade in Bern sind also einige der kurz vor der Reformation entstandenen Fenster erhalten geblieben.

Kugellampe konzipiert und gefertigt von Martin Halters Grossvater

Danach geriet die Glasmalkunst fast in Vergessenheit. Für Kabinett- und Wappenscheiben entwickelten die Kunsthandwerker im 17. Jahrhundert ein neues Verfahren: Auf die Rückseite des Glases wurden Emailfarben aufgebrannt. Das ging allerdings auf Kosten der Lichtdurchlässigkeit und damit der Leuchtkraft. Später schuf man mit Schliffscheiben, d.h. das Bild wurde ins Glas geschliffen. Wappenscheiben oder ähnlich gestaltete Scheiben erfreuten sich im 20. Jahrhundert noch als Dienstaltergeschenke anstelle von Zinnbechern.

Mit dem neu erwachten Interesse fürs Mittelalter erwachte in der Epoche der Romantik die alte Kunst der Glasmalerei wieder. Viele gotische Kirchen wie der Kölner Dom wurden erst in dieser Zeit fertiggebaut und seine Fenster angefertigt; auch im Berner Münster entstanden einige erst 1862. Was dabei entstand, bezeichnet Martin Halter als «Tafelmalerei auf Glas».

«Kosmos», Werk im Mischstil von M. Halter

Der Jugendstil um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert liess die Glasmalkunst besonders prosperieren. Die damals entstandenen Werke überzeugen noch heute durch neue Formen und Farben. Als Künstler aus dieser Zeit ist Hans Stocker in Basel zu nennen. Später schuf Augusto Giacometti seine auch im stilistischen Sinne moderneren Fenster voller Licht und Farbe in Zürich und andernorts.

In früheren Jahrhunderten standen dem Glasmaler 60 Farbtöne zur Verfügung, heute sind es 50’000, wobei Martin Halter betont, dass niemand je so viele Farbtöne verwenden wird. Er selbst hat 1’200 Farbglasplatten an Lager. Die Farben entstehen aus Metalloxiden, Chromoxid, Kobaltoxid, sogar Oxid aus echtem Gold. – Die Rezeptur wirkt sich auf den Preis des Glases aus. Das Geheimnis eines gelungenen Glasbildes besteht in der genügend grossen Fläche von Weiss, das für Leichtigkeit in der Darstellung sorgt.

Die mittelalterliche Technik der Glasmalerei bezeichnet man als «formbegleitende Technik». Wie der Name sagt, steht der Bildgegenstand am Anfang, die Technik setzt den Entwurf um.

Muster der Arbeit im Atelier von M. Halter

Halters Glas kommt aus dem Bayerischen Wald. Er zeigt ein Doppelgestell mit 700 Farben. Alle Glasplatten sind mundgeblasen, «gefühlsmässig» auf eine Dicke zwischen 0.2 und 0.4 cm. Der Glasbläser bläst zuerst einen Zylinder (einen «Kolben»), dieser wird aufgespitzt, wieder erhitzt und dann geplättet. Für die Herstellung eines Glasbildes zeichnet man zuerst eine Vorlage und zerschneidet die Formen dann mit einer Doppelschneideschere, damit der für das Blei notwendige Platz geschaffen wird. Mit den geeigneten Werkzeugen werden die Formen aus dem Glas herausgeschnitten und die Teile mit Bienenwachs auf Fensterglas geklebt. Als nächstes zeichnet der Glaskünstler, was vorgesehen ist, ein Gesicht zum Beispiel. Manchmal benutzt Halter auch einen Gänsekiel, um Linien herauszukratzen. Dann kommt das Bild in den Brennofen, dazu wird das Ganze auf eine mit feinem Sägemehl bestreute Stahlplatte gelegt. Die Fassung fertigt man heutzutage aus Blei, das zwischen die Glasstücke kommt und Zinn, das mehr Festigkeit gibt. Beides wird an bestimmten Punkten verbunden. Zu allerletzt wird das Glasbild geputzt und mit einem petrolgetränkten Tuch poliert.

Ätzarbeit von Martin Halter

Der Aufwand allein für die Herstellung einer kleineren Scheiben beträgt ca. 10 Arbeitsstunden, Entwurf nicht gerechnet. – Vor allem die Bleifassung bei Bildern aus vielen kleinen Glasstücken kann sehr zeitaufwendig sin, Halter zeigt das Bild eines Vogels, das 130 Stunden Arbeit erforderte. Heutzutage gibt es nach Martin Halters Schätzung noch ungefähr zehn Glasmalkünstler in der Schweiz.

Alle Fotos (ausser Sainte-Chapelle) Maja Petzold

ART IN MARTIN – Atelier für Glasmalkunst | Martin Halter

Rabatt über Seniorweb

Beim Kauf einer Limmex-Notruf-Uhr erhalten Sie CHF 100.—Rabatt.

Verlangen Sie unter info@seniorweb.ch einen Gutschein Code. Diesen können Sie im Limmex-Online-Shop einlösen.

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein