StartseiteMagazinKultur"Ein goldenes Herz"

«Ein goldenes Herz»

Korrupte Schicksalsgemeinschaft im abgewirtschafteten Hotel Zur schönen Aussicht: eine bitterböse Satire

Er habe ein goldenes Herz, wiederholt der schmierige Hoteldirektor Strasser dreimal, während er bei der Vernichtung seiner früheren Geliebten im Kreis eines herzlosen und egoistischen Männerrudels mitmacht. Schauspielhaus-Intendatin Barbara Freys neue Regiearbeit widmet sich Ödön von Horvaths früher Gesellschaftskomödie Zur schönen Aussicht.

Ein heruntergekommenes Hotel ohne Charme. Die Concierge-Loge in der Hotelhalle mit dem Leuchtglobus auf dem Tresen erinnert an bessere Zeiten, während das abgenutzte Mobiliar unordentlich herumsteht. Von den Wänden blättert die Farbe, in der Telefonkabine stapeln sich Sektflaschen, leer natürlich, irgendwie zusammengewürfelte Tische sind mit irgendwelchen Tischtüchern bedeckt und mit Aschenbechern bestückt. Links und rechts führen Treppen auf die Galerie, wo Bühnenbildnerin Bettina Meyer hinter einer wandfüllenden Kopie der Schlacht von Pharsalos von Apollonio di Giovanni aus dem 15. Jahrhundert die Hotelzimmertüren mit den Nummern neun bis fünfzehn aufgereiht hat.

Das Macho-Rudel mit (von links) Edmund Telgenkämper, Nicolas Rosat, Markus Scheumann, Hans Kremer und Michael Maertens. Foto © Matthias Horn

Max (Edmund Telgenkämper) in weissem Hemd und schwarzer Hose schlurft barfüssig durch den Raum und begibt sich in die Concierge-Loge, wo der speckige Frack über dem Tresen liegt, und bereitet sich eine Tasse Tee zu. Karl, der bullige und tätowierte Chauffeur (Nicolas Rosat), wirft sich vor dem Fernseher in einen Sessel und hört sich an, wie schmerzhaft das Schächten für Tiere sei – Hinweis auf das spätere Opfer. Nach und nach stellen sich die weiteren Figuren in diesem bösen und zugleich tänzerisch vorgeführten Spiel um Macht und Geld ein. Direktion und Angestellte sind vom einzigen Gast, der exzentrischen und reichlich verblühten Baronin Ada von Stetten (Friederike Wagner) abhängig. Sie nutzt ihre finanzielle Überlegenheit diktatorisch für ihre sexuellen und emotionalen Bedürfnisse aus, kommandiert die Belegschaft herum, eine eiserne Lady, die keinen Widerspruch duldet, sich am Ende trotzdem anhören muss, dass sie eine alte Frau und zu nichts mehr nütze sei. Selbst ihre resignierte Annäherung an Christine, in der eine empathische Ada aufscheint, hilft nicht: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“

Ihre Untertanen sind der leicht scmuddeliger Hoteldirektor, einst Offizier und Filmstar, dessen Hotel ohne die Baronin längst bankrott wäre, der Kleinkriminelle Kellner Max, der einst Plakate malte, der Chauffeur Karl, der wegen Totschlags im Zuchthaus sass, der Vertreter Müller, dessen Fassade als korrekter Geschäftsmann bald Risse bekommt, und Adas spielsüchtiger Zwillingsbruder (Hans Kremer), der sie larmoyant um die Bezahlung seiner Spielschulden angeht. Diese morbide Gesellschaft gerät in Aufruhr, als Christine (Carolin Conrad), das süsse Mädel der Wiener Komödie erscheint und sich dem Hoteldirektor an den Hals wirft, obwohl er leugnet, ihre Briefe, in denen sie ihn als Vater ihres Kindes um Unterstützung bat, erhalten zu haben.

Auch Ada (Friederike Wagner) wird ausgegrenzt von den Männern auf der Galerie (Rosat, Telgenkämper, Maertens, Kremer). Foto © Matthias Horn

Der Machoclub – die nymphomane Ada eingeschlossen – solidarisiert sich und heckt eine Show aus, wie der Direktor um Unterhaltszahlungen herumkäme: Reihum erniedrigen und beschimpfen sie Christine als Hure, die mit jedem etwas hatte, bis diese verzweifelt und zugleich im Triumph erklärt, dass sie 10‘000 Mark in der Schweiz geerbt habe, in inflationären Zeiten ein gigantisches Vermögen. Sogleich drehen die Herren den Spiess um, die Solidarität zerbröselt in Egoismen. Jeder will die reiche Christine gewinnen, aber am Ende verlässt sie die geldgierige Mannschaft. Allein, obwohl sie ihren Strasser immer noch liebt. Befreit hat sie sich trotz aller Erniedrigung und Demütigung, die sie erleidet nicht wirklich. „Du kannst doch nicht verlangen, daß ich dich ewig liebe, nur weil du ein Kind von mir hast,“ sagt Strasser , dennoch kann sie ihn nicht ohne endgültigen Abschied verlassen, sondern deutet ein Wiedersehen an, nachdem sie die bösartige Gesellschaft dem grellen Tageslicht ausgesetzt hat. Blackout.

Kaltherzige Fertigmacher (Telgenkämper, Kremer, Maertens, Rosat, Scheumann) mimen Entsetzen vor der gefallenen Christine (Carolin Conrad). Foto © Matthias Horn

Barbara Frey inszeniert ein zeitloses und vor allem in der ersten Hälfte packendes Stück über eine zerfallende Sozietät, in der Lüge zum zentralen Kommunikationsmittel wird, Solidarität nur zweckgebunden im Einsatz steht, Geld der Anker jeder Handlung ist. Die Männerfiguren sind allesamt Charakterlumpen. Grossartig Michael Mertens als Hoteldirektor Strasser, der neben aller Härte vor Selbstmitleid trieft, oder Markus Scheumann, der aus dem anfänglich korrekt wirkenden Vertreter Müller den übergriffigen Macho herausholt und dem man die Gefühlskälte als Prägung aus dem ersten Weltkrieg sofort glaubt. Zugleich ist das Stück in seiner Zeit zu verstehen, wer nicht mitdenkt, kann beispielsweise den Reichtum der Christine nicht entschlüsseln. Oder die Behandlung des Adels als Gewinner – Kriegsgewinnler, Regenten über den Plebs, Vordenker für jede Lebenslage: Baron von Stetten, Adas alter Ego, erfindet das zerstörerische Machotheater gegen Christine und gewinnt Adas Bewunderung, als sich das Blatt wendet, alle an Christines Erbe wollen, gibt er sich grosszügig partnerschaftlich: „Wir leben doch nicht im finsteren Mittelalter, wir Modernen haben gelernt, auch im Weibe den Menschen zu achten. Nur der Mensch zählt!

Wer nicht präzis hinhört, wird die Feinheiten der Inszenierung, den Musikeinsatz oder auch die diskreten Nebenhandlungen, schlicht verpassen. Barbara Frey nimmt sich den als Komödie camouflierten Text über eine kaputte Gesellschaft vor, liest ihn genau und setzt ihn um. Hier fragt sich allenfalls, ob der Verlust an Tiefe im zweiten Teil im Stück liege. Oder ob eine Fortführung der Langsamkeit und Wortkargheit samt der diskreten Choreographie des ersten Teils die Dimension eines Theaterabends gesprengt hätte.

Nächste Aufführungen: 19., 20. 25. 28. Februar. Weitere Daten und Angaben finden Sie hier.

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