StartseiteMagazinKolumnenFür einen „Plattform-Rat Schweiz"

Für einen „Plattform-Rat Schweiz»

Wie der situativen Aufgeregtheit zu begegnen ist, die Medien zu schützen sind.

Es sind meistens Denker, Philosophen, die jeweils vorweg denken, was auf uns zukommen kann. Der deutsche Philosoph Hermann Lübbe (92), der von 1971-1991 an der Universität Zürch Philosophie lehrte, prägte den Begriff „Gegenwartsschrumpfung“: „Weil sich die Welt rasant verändere, werde der Zeitraum, den wir als konstant und überschaubar betrachten, immer kleiner“, hielt er bereits während seiner Lehrtätigkeit fest. Und die Politik, aber auch und gerade die Medien helfen heute dabei wacker mit. Statt gründlicher Recherchen, abgestützt auf geschichtlichen Rückschlüssen, bestimmt zunehmend eine situative Aufgeregtheit die Berichterstattung in den Medien. Marshall McLuhan (1911-1980), der kanadische Philosoph und Begründer der modernen Medientheorie, schrieb schon 1966: „Wir sind von den Nerven der gesamten Menschheit umgeben. Sie sind nach aussen gewandert und bilden eine elektrische Umwelt.“

Ja, heute sind wir soweit. Wie der Medientheoretiker Bernhard Pörksen, Professor an der Universität Tübingen, in seinem Buch „Die grosse Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregtheit“ resümiert, erreiche „alles, was das Nervenkostüm anderer Menschen reizt, was sie bewegt, verstört, verängstigt über das Internet auch uns.“ Und alle, die online seien, würden das Kommunikationsklima verändern und letztlich mittels Kommentaren und Klickzahlen entscheiden, was als relevant und interessant erscheine. Die einen nennen das die Demokratisierung der Medien, anderen ist es ein Graus, weil verloren geht, was sich in den letzten Jahrhunderten herausgebildet hat: ein Qualitätsjournalismus, der von den grossen Zeitungstiteln im westlichen In- und Ausland und auch von den öffentlichen Radio- und Fensehsendern heute noch praktiziert wird.

Zum Kampf gegen die Qualitätsmedien ist nicht erst seit der No-Billag-Initiative, über die wir am 4. März abstimmen, von den verschiedensten Seiten geblasen worden, sondern schon seit Jahren. Es war zuerst ein schleichender und zudem ein verschleierter Kampf, ausgelöst durch die Boulevardisierung der Printmedien, durch den steten Kampf um die Zuschauer-Quoten bei den Radio- und TV-Sendern, durch die Absicht der herrschenden Parteien und Interessenvertreter, direkten Einfluss auf die unabhängigen Medien zu erlangen. Durch das Aufkommen stramm rechtsbürgerlicher Parteien, insbesondere durch die AfD, die Alternative für Deutschland, den Front National FN in Frankreich, ist es zu weit offener Aktionen gegen die unabhängigen Medien gekommen. „Lügenpresse“ ist das Stichwort dazu, geprägt insbesondere von den Anhängern der Pediga-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) im Osten Deutschlands.

Aber nicht nur im Ausland: Auch in der Schweiz ist es zu einem Kampf um den Einfluss in der Medienlandschaft gekommen. Christoph Blocher ist auf Einkaufstournee. Er versucht mit Markus Somm, dem Verleger und Chefredaktor der Basler Zeitung, einer breiteren Bevölkerung seine Politik direkter zu vermitteln, mit dem Kauf der Gratis-Zeitungen der Zehnder AG auch breiter im Mittelland anzukommen. Und mit Roger Köppel hat er nicht nur einen Parteikollegen an der Spitze der „Weltwoche“, sondern auch einen aktiven Mitstreiter auf dem Weg zu mehr Medieneinfluss.

Und mit der Non-Billag-Initiative versuchen insbesondere rechtsbürgerliche SRG-Gegner, das unabhängige Schweizer Radio- und TV-Schaffen zu privatisieren, dem freien Markt auszusetzen. Statt ein starkes schweizerisches Mediensystem nicht nur zu belassen, um gegenüber dem Ausland die Unabhängigkeit zu sichern und zu stärken, wollen sie die Tür zum Ausland noch weit bereiter öffnen, als sie schon ist. Sie, die sich sonst so vehement für die Unabhängigkeit der Schweiz einsetzen, riskieren damit, dass der Einfluss aus dem Ausland auf die Schweiz medial noch weit stärker wird. Wahrlich: unverständlich, gar eine verkehrte Welt.

Was ist zu tun, um aus diesen Fängen gerade noch rechtzeitig herauszukommen. Bernhard Pörksen setzt auf Bildung und auf die daraus resultierende Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger. Er schlägt aber auch einen „Plattform-Rat“ vor, der Presseräte ablösen müsste und für alle Medien zuständig wäre. Die neue Institution hätte als Schiedsrichterin zu fungieren, sie müsste Transparenzpflichten einfordern, Formen der Desinformation und des Missbrauchs offenlegen und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung dokumentieren, wie er in einem Essay in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu seinem Buch schreibt. Und die öffentlich-rechtlichen Radio- und TV-Sender müssten sich selbst straffe Ethikvorschriften geben, müssten aktiv den Dialog mit den Nutzerinnen und Nutzern pflegen.

Die Erkenntnisse Pörksen lassen sich zweifellos auch auf die Schweiz übertragen. Im neuen Mediengesetz, das Bundesrätin Doris Leuthard noch in diesem Jahr vorstellen will, wäre ein solcher „Plattform-Rat“ vorzusehen. Quasi ein Medien-Ethik-Rat, der im Interesse unserer liberalen Demokratie auf eine unabhängige, aber auch kritisierbare Medienwelt achtet, sie schützt und beschützt. Und eines immer wieder in Erinnerung ruft: Die direktdemokratisch verfasste Schweiz braucht zum Funktionieren zweierlei: Qualitätsmedien, die unabhängig im Interesse der Bürgerinnen und Bürger agieren. Und Bürgerinnen und Bürger, die mit den neuen demokratisierten Medien mündig umgehen können.

Es ist also in die Bildung, genauer in die Medienbildung und in die unabhängigen Medien zu investieren: Geist und Geld.

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