Johann Heinrich Füssli (1741 bis 1825), berühmter Zürcher Expat in London, malte Literatur von Homer bis Milton
Das Kunstmuseum Basel zeigt fast siebzig Gemälde des schweizerisch-englischen Malers unter dem Titel Füssli. Drama und Theater. Ausser sich die Figur auf dem Plakat, eine verstörte Frau mit wirrem Haar und entsetzt aufgerissenen Augen, die mit einer brennenden Kerze (oder ist es eine Fackel?) durch einen Flur läuft, beobachtet von einem Mann und einer Frau. Es ist Lady Macbeth schlafwandelnd, in den Wahnsinn getrieben durch Gewissensbisse über die schrecklichen Taten, die sie und Macbeth begingen. Arzt und Zofe kommentieren den Auftritt.
Lady Macbeth, schlafwandelnd, um 1783. Louvre, Paris. Foto © RMN-Grand Palais, Hervé Lewandowski
Johann Heinrich Füssli hat das Bild um 1783 gemalt, als eine von mehreren Tafeln, zu denen ihnMacbeth und andere Stücke des damals schon anerkannten englischen Nationalautors Shakespeareangeregt hatten. Illustrationen zu den literarischen oder dramatischen Vorlagen sind Füsslis Werke nie: sein Ziel war die malerische Zuspitzung des dramatischen Stoffs zu packenden Bildern, welche den Höhepunkt der Krise oder den Gipfel der Erhabenheit mit ergriffenen oder verzweifelten Protagonisten darstellten. Füssli war auch begeisterter Theatergänger und freute sich besonders, in London Shakespeares Dramen in Originalsprache sehen zu können.
Dido, 1781. Ausstellungsansicht. Foto © Julian Salinas
Wahrgenommen werden, war Füssli sehr wichtig, mit den Bildern und von der Gesellschaft – Füssli hätte perfekt ins 21. Jahrhundert der Harry-Potter-Romane und Blockbuster-Serien gepasst mit seinen Aufsehen erregenden Stories als Bild. So malte er die Szene in der Dido auf dem Scheiterhaufen im Todeskampf liegt, ein blutiges Schwert an ihrer Seite, eine Verzweifelte zu ihren Füssen, und reichte das Grossformat als Newcomer bei der Jahresausstellung der Royal Academy ein, weil er wusste, dass deren Präsident Joshua Reynolds dasselbe Motiv zeigen würde. Klar, dass der Newcomer mit dieser Herausforderung des Doyens schlagartig bekannt wurde in der Londoner Szene.
Autodidakt mit humanistischer Bildung
Der Autodidakt – ein hochgebildeter und sprachgewandter Spross einer Künstlerfamilie, der bei Bodmer und Breitinger, den bedeutenden Zürcher Aufklärern ausgebildet worden war – wurde mit dem ikonischen Gemälde Der Nachtmahr, rätselhaft, unheimlich und zugleich aktuell im Zeitgeist, in London schnell bekannt. Es ist in einer Version von 1810 im letzten Raum der Ausstellung zu sehen.Dem Kunstmuseum ging es bei dieser Präsentation nicht um eine weitere Retrospektive dieses Malers der schwarzen Romantik, sondern dem Maler von antiker und zeitgenössischer Literatur.
Titania liebkost Zettel, 1793/94. © Kunsthaus Zürich
Da Füssli Wirkung anstrebte, setzte er seine klassischen Motive und Szenen oft in Grossformate um.Viel nackte Haut gibt es da, von Schönheiten kurz vor dem Tod, viel Muskelmänner – auch mal in der Rolle des Teufels, der als Kröte ins Paradies gelangt, um die Idylle zu zerstören, jedoch enttarnt und zurückverwandelt wird – viel ausserordentliche Momente und Zustände von Menschen, Monstern und Geistern aus Romanen und Dramen tummeln sich an den Wänden. Die Gesichtszüge der Protagonisten in Öl sind eher stereotyp, Füssli ging es um die Emotion, nicht um die Identität, und die Körperdarstellungen waren ihm mitunter auch eher gleichgültig, so lange die Dynamik stimmte: „Nicht auf Anatomie achten,“ warnt Kuratorin Eva Reifert augenzwinkernd ( so schaue ich erst recht hin und finde mal auch mehr als fünf Zehen an einem Fuss oder eine Wade, die irgendwie nicht zur oberhalb des Faltenwurfs dargestellten Person passen kann), denn Füssli ging es um das Helldunkel, um die Dynamik, die Komposition. Und der Londoner Kunstszene ging es um ein Gegengewicht zur klassischen Malerei Frankreichs.
Die wahnsinnige Kate, 1806/07 © Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum. Foto: Ursula Edelmann
Der Maler Füssli war auch innovativer Schreiber. Als Publizist und Intellektueller verfasste erAphorismen zum Wesen und Wirken von Bildern, gab Vorlesungen zur Malerei heraus, lektorierteWilliam Cowpers Homer-Übersetzung, korrespondierte mit der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft (der Mutter von Mary Shelley), hatte über J.J. Rousseau Texte verfasst und waranfänglich wegen einer Streitschrift als Rebell zusammen mit Caspar Lavater und Felix Hess in Zürich nicht mehr genehm, womit das Expat-Dasein seinen Anfang nahm. Den berühmten Rütlischwur malte er Jahre später bei einem sechsmonatigen Aufenthalt in der Heimat, als er 1778/79 von Italien wieder nach London reiste.
Die Weltliteratur als Drama
Die Basler Schau lässt die malerische Karriere des aus dem zu engen Zürich vertriebenen Johann Heinrich Füssli, in London zum Henry Fuseli mutiert, nachvollziehen. Es beginnt bei der Antike, bei Odysseus und Aeneas (der Maler konnte fliessend griechisch und Latein und verbrachte auch Zeit zum Studium der Renaissancemalerei in Italien), geht über die nordische Mythologie mit der Edda und den Nibelungen und mündet über Shakespeare in das zeitgenössische Versepos Paradise Lost von John Milton.
Johann Heinrich Füssli, porträtiert von James Northcote 1778
Damit erlitt er kommerziell Schiffbruch, dafür kann sich die Nachwelt an dem Zyklus von 40 Bildern freuen, mit dem er seine eigene Milton-Galerie bestückte, analog der erfolgreichen Shakespeare-Galerie von John Boydell, der ihm viele Bilder abnahm. Zehn Jahre arbeitete er amVerlorenen Paradies und geriet in finanzielle Nöte. Aber zum Ende bekam er eine Professur an der Royal Academy und hatte ausgesorgt. Keine malerisch umgesetzte Literatur, sondern eine gemalte Hagiographie in mehreren Bildern schuf Füssli zur Vita des bewunderten John Milton: das von der Mutter unterwiesene Kind, der Jüngling mit Muse, am Ende der alte blinde Dichter, seinen Töchtern Das verlorene Paradies diktierend.
Füsslis Malerei szenisch umgesetzt
Ein Raum in der Ausstellungsmitte, wo Sitzbänke und Füsslis literarische Vorlagen in Reclambändchen oder schönen Büchern zum Lesen einladen, zeigt seine Gemälde szenisch umgesetzt vom Theater Basel: Eine Videoinstallation von Thom Luz, der das Atmosphärische und Rätselhafte von Füsslis Malerei aus der Sicht des Theaters mit einem guten Dutzend Schauspielerinnern und Akteuren nachbaut. Kunsthistorische Bücher über Johann Heinrich Füssli gibt es ganze Regale voll. Aber derBasler Katalog vermittelt wiederum unverzichtbare neue Informationen über diesen frühromantischen Dramatiker mit dem Pinsel und über den Aphoristiker mit dem scharfen Geist. Dabeiwird den Quellen der Kunstanschauung von Füssli nachgespürt, also auch Bodmers und Breitingers Poetologie mit einbezogen. Sehr hilfreich sind auch die sorgfältig gemachten Saaltexte mit Angaben und wenn nötig auch Geschichten zu jedem Bild.
bis 10. Februar 2019
HIer gibt es weitere Informationen