StartseiteMagazinKulturIns Innere des Irans

Ins Innere des Irans

Mit dem Roadmovie «Three Faces» lotet der persische Meister Jafar Panahi den Zustand seines Landes aus, in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Entstanden ist eine Ode an die Freiheit.

Der bekannten iranischen Schauspielerin Behnaz Jafari wird eine Videobotschaft zugespielt, in der eine junge Schauspielerin bei ihrer Flucht vor ihrer konservativen Familie verzweifelt um Hilfe bittet. Davon berührt, macht sie sich mit ihrem Freund, dem Regisseur Jafar Panahi, auf die Suche. Die Reise führt sie in die Berge des Nordwestens von Iran, wo Traditionen das Leben noch weitgehend bestimmen. Nach «Taxi Teheran» nimmt uns Panahi in seinem Roadmovie «Three Faces» erneut auf eine Reise mit. Die sympathische, pointenreiche Fahrt wird zu einem Plädoyer für Freiheit und Menschlichkeit, das aktueller und globaler nicht sein könnte. Ein intelligentes Kinovergnügen, das in Cannes die Palme für das Beste Drehbuch gewonnen hat.

Marziyeh Rezaei, das Hilfe suchende Mädchen

Aus dem Untergrund auf die Strassen

Soziale Netzwerke sind im Iran populär. Immer wieder versuchen Menschen, über soziale Medien mit andern Kontakt aufzunehmen. Normalerweise löscht Panahi solche Anfragen, doch diesmal trifft ihn die Story, da zur gleichen Zeit die Zeitungen von einem jungen Mädchen berichteten, das Suizid begangen hatte, weil ihr verboten wurde, Filme zu machen. Dabei entstand die Idee für den Film.

Doch zusätzlich zur aktuellen Story wollte der Regisseur mit seinem Film die iranische Kinogeschichte erkunden und aufzeigen, wie Künstlern auf vielfältige Weise der Weg versperrt wurde. Daraus entwickelte sich die Idee für die drei Gesichter, also «Three Faces», mit Schauspielerinnen aus drei Generationen, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und daraus tauchte das Bild der schmalen und kurvenreichen Strasse auf, und diese wurde zur Metapher für alle Einschränkungen, die Menschen abhalten, ihren Weg gehen und sich weiter entwickeln zu können.

Der Film wurde in drei Dörfern gedreht: den Geburtsorten von Panahis Mutter, seines Vaters und seiner Grosseltern. Das familiäre und vertraute Umfeld bot die Möglichkeit, ohne Risiko zu drehen. Mit einer hochempfindlichen Kamera, die ihm seine Tochter aus Frankreich geschickt hatte, war es möglich, selbst nachts zu filmen. Wie immer schrieb Jafar Panahi sein Drehbuch selbst. Draussen zu filmen, war ihm willkommen, nachdem seine letzten Filme, «This is not a film», «Closed Curtain» und «Taxi Teheran», in einer Wohnung, einem Haus oder einem Auto spielten.

Behnaz Jafari bekam die Video-Botschaft zugeschickt

Drei Frauen, drei Künstlerinnen, drei Generationen

Für die Hauptrolle lud Panahi die im Land berühmte Behnaz Jafari ein. Als sie zusagte, entschied er sich, die andere Hauptrolle selbst zu übernehmen. Sie widmete sich dem Projekt mit vollem Einsatz und weigerte sich am Schluss, dafür bezahlt zu werden. Die zweite weibliche Hauptrolle wird von Marziyeh Rezaei gespielt, die Panahi zufällig auf der Strasse entdeckt hat. Das dritte Gesicht ist die legendäre iranische Filmschauspielerin Shahrzad. Im Iran kennt sie jedermann. Der Film zeigt, wie Schauspielerinnen im Iran vor und auch nach der Revolution mit Respektlosigkeit behandelt wurden. Eines der Ziele des Regisseurs war es, aufzuklären, inwiefern diese Frauen wahre Künstlerinnen waren und sind. Dafür steht die dritte Frau, Shahrzad, der Star des Mainstream-Kinos vor der Revolution. Diese Schauspielerin ist gleichzeitig als Dichterin bekannt. Nach dem Dreh fuhr Panahi nach Isfahan zu ihr und bat sie um Erlaubnis, ihren Namen zu verwenden. Sie stimmte nicht nur zu, sondern erklärte sich sogar einverstanden, eines ihrer Gedichte im Film zu rezitieren. Wie allen Stars dieser Periode wurde es Shahrzad nach der Revolution verboten, weiter als Schauspielerin zu arbeiten. Im neuen Film spielt sie selbst nicht mit, ihre Anwesenheit wird durch ihre Abwesenheit simuliert, als Figur im Schatten oder von hinten und aus Distanz.

«Three Faces» setzt sich auch mit den Männern kritisch auseinander, indem er weibliche Charaktere in den Mittelpunkt der Geschichte rückt. Ausserdem wird die in der Tradition der Gesellschaft verbreitete Fetischisierung der männlichen Vorhaut infrage gestellt, dessen Sakralisierung sowie die Verehrung eines potenten Bullen, der mehr Wert zu haben scheint als eine Frau, ins Lächerliche gezogen.

Ohne Pass, Dreh-, Reise- und Interviewerlaubnis

Stimmungswandel und die von Jafar Panahis

Anders als bei «Taxi Teheran», in dessen Abspann keine Namensangaben zu finden sind, werden bei «Three Faces» alle Namen der Mitwirkenden genannt: Ein Beweis für den aktuellen Stimmungswandel im Iran. Auch während der Proteste Ende 2017 waren die Aktivitäten offener als zuvor. Das führte zur Mobilisierung der ganzen Filmbranche. Alle Kinoverbände schickten dem iranischen Präsidenten einen Brief mit der Bitte, Panahi die Reise nach Cannes zu erlauben. Dieser begrüsste die Unterstützung, bestand aber vor allem darauf, Filme drehen und in seinem Land zeigen zu dürfen, und forderte, die Freiheit der andern Filmemacher nicht einzuschränken, ihnen die Möglichkeit zu geben, Filme zu drehen, angefangen bei Mohammad Rasoulof, der gemeinsam mit Panahi 2009 verhaftet wurde und heute unter staatlichem Druck steht, nachdem die Behörden seinen Reisepass beschlagnahmt hatten, weil er seinen letzten Film im Ausland gezeigt hatte.

Jafar Panahi gilt als einer der wichtigsten unabhängigen Filmemacher des Irans und wurde bereits mit dem Goldenen Löwen in Venedig, der Goldenen Palme in Cannes sowie dem Silbernen und dem Goldenen Bären in Berlin ausgezeichnet. Aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber den politischen und gesellschaftlichen Umständen in seiner Heimat sind die meisten seiner Filme dort verboten. Bei den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 unterstützte er die oppositionelle Grüne Bewegung gegen Mahmud Ahmadinedschad. Am 1. März 2010 wurden er, seine Frau und seine Tochter von der Polizei festgenommen und ohne Anklage ins Gefängnis gebracht, wo er knapp drei Monate lang inhaftiert blieb. Er trat in den Hungerstreik. Am 25. Mai 2010 kam er, stark abgemagert, gegen eine Kaution von 200.000 US-Dollar, bis zum Beginn des Strafprozesses frei. Im Dezember 2010 wurde er wegen «Propaganda gegen das System» zu sechs Jahren Haft verurteilt und erhielt ein 20-jähriges Berufs-, Ausreise- und Interviewverbot. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, weiterhin Filme zu drehen, in denen er die Situation der Islamischen Republik anklagt, und diese Botschaft in die Welt hinaus versendet. Nach «This is not a Film» (2011), «Closed Curtain» (2013) und «Taxi Teheran (2014) ist «Three Faces» der vierte Film, den Panahi heimlich produziert und zur Präsentation auf internationalen Festivals ausser Landes geschmuggelt und in Cannes den Drehbuchpreis erhalten hat.

Titelbild: Behnaz Jafari und Jafar Panahi, die beiden Suchenden

Regie: Jafar Panahi, Produktion: 2018, Länge: 100 min, Verleih: filmcoopi

 

 

 

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