StartseiteMagazinGesellschaftDas soziale Umfeld und die Gesundheit

Das soziale Umfeld und die Gesundheit

«Sag mir, wer du bist und ich sage dir, wie lange du lebst.» Eine provozierende These, die zum Besuch der diesjährigen Tagung desforumsante.ch animieren sollte.

Die sozioökonomischen Determinanten entscheiden darüber, wie gesund ein Mensch ist und welche Lebenserwartung er hat. Eine weitherum bekannte Tatsache, die zugleich schockiert. Darüber forschen die Referenten der jährlich von forumsante.ch in Bern organsierten Tagung. Es geht dabei nicht um das Individuum, sondern um die Gesundheit der Bevölkerung, dies als Ausgangspunkt für gesundheitspolitische Massnahmen, den Gesundheitsstandard zu verbessern. Aufhorchen lässt die Feststellung, dass die Experten, alle in den Bereichen Ökonomie, Gesundheitswesen oder Medizinische Soziologie tätig, unabhängig voneinander darlegten, dass Bildungsstand und Gesundheit, selbstbestimmtes Arbeiten und gesünderes Leben, Aufwachsen in einem gesundheitsbewussten Umfeld einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung haben.

Das soziale Umfeld geht unter die Haut

Lebensstandard, das soziale Umfeld und die Wohnbedingungen, der Bildungsstand ebenso wie die beruflichen Möglichkeiten bestimmen über die Chancen, in Gesundheit alt zu werden. Thierry Lang, Professor an der Universität Toulouse III und Direktor des Rechercheinstituts Santé Société, fasst zusammen: «Die bestimmenden sozio-ökonomischen Gesundheitsfaktoren haben ihre Ursache einerseits im Gesundheitszustand einer Gesellschaftsschicht, andererseits aber auch in deren Bildungsstand.»

Es wird vermutet, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem sozioökonomischen Umfeld der ersten Lebensjahre und der Gesundheit im Erwachsenenalter: Widrigkeiten in der Kindheit lassen auf eine höhere Rate von Krebserkrankungen und erhöhte Sterblichkeit mit 50 Jahren schliessen. Lang folgert daraus: Innerfamiliäre Ereignisse, die in der unmittelbaren Umgebung des Kindes auftreten und Stress erzeugen, wirken sich nachhaltig auf die Gesundheit und das Wohlbefinden aus.

Szene aus dem Jahr 1915: Lewis Hine, Newsies at Skeeters Branch, St. Louis, Missouri (commons.wikimedia.org)

Thierry Lang forscht in Frankreich, er sieht dort nicht nur ein hohes Mass an sozialer Ungleichheit bei der Gesundheit – starken Tabak- und Alkoholkonsum -, sondern auch ein Bildungssystem, das soziale Ungleichheiten nicht abfedert, sondern verschärft.

Obwohl also Gesundheit und Bildung voneinander abhängen, ist noch nicht eindeutig geklärt, warum das so ist. Auch die Ursache des unterschiedlichen Sterbealters von Mann und Frau sind noch nicht vollkommen verstanden.

Gesundheitliche Ungleichheit in der Arbeitswelt

Aus einer anderen wissenschaftlichen Warte kommt Johannes Siegrist vom Institut für Medizinische Soziologie in Düsseldorf zu Ergebnissen, die Langs Forschungen bestätigen: Arbeitsverhältnisse, die grossen Arbeitseinsatz verlangen, aber wenig eigene Entscheidungen erfordern und wenig Anerkennung erhalten, erhöhen in signifikanter Weise das Risiko von Stress-Erkrankungen, nämlich Herz- Kreislauferkrankungen und Depressionen. – Je niedriger die soziale Position eines Beschäftigten ist, desto häufiger tritt Arbeitsstress auf.

Gesundheitsgefährdende materielle und psychosoziale Arbeitsbelastungen sind in Europa trotz erzielter Fortschritte sozial ungleich verteilt: je niedriger der soziale Status, desto höher die Belastung, das ist, wie Siegrist betont, wissenschaftlich umfangreich belegt. Bedauernd stellt er fest: Trotz erfolgreich erprobter präventiver Maßnahmen besteht nach wie vor eine große Kluft zwischen vorhandenen Erkenntnissen und deren Umsetzung in die Praxis.

Der Lebensweg in Schritten

Paolo Vineis, Umweltepidemiologe in London, forscht im Rahmen des EU-ProgrammsHorizon 2020 darüber, wie sich Umweltbelastungen auf die Lebenszeit auswirken. Die Sterblichkeit ist in benachteiligten Bevölkerungsgruppen beträchtlich höher, stellt er fest, dabei ist der sozio-ökonomische Status von ähnlich gravierender Bedeutung wie eine risikoreiche Lebensführung.

Vor mehr als 150 Jahren klagte Charles Dickens die Armut in London an – noch immer liegt darin eine Ursache für schlechte Gesundheit.
Gemälde von 
William Holbrook Beard: «Dickens receiving his characters» (commons.wikimedia.org)

Das beginnt schon in jungen Jahren: Schlechte Gesundheit, häufige Krankheiten sind in einem sozial schwachen Umfeld schon mit drei Jahren nur noch schwer korrigierbar. Der Einfluss der sozio-ökonomischen Bedingungen auf frühzeitiges Altern zeigt sich in der molekularen Zellstruktur, in der epigenetischen Uhr, dem Anzeiger einer beschleunigten Alterung, an Entzündungen, in krankhaften Stoffwechselvorgängen, alle biologisch signifikant, ebenfalls in soziologischen Komponenten.

In einem ganz einfachen Experiment kann ein wichtiger Indikator für Gesundheit und Resilienz gemessen werden: in der individuellen Ganggeschwindigkeit. Ein Gesunder hat einen festeren und etwas schnelleren Gang als ein zu Krankheit neigender, geschwächter Mensch.

Zusätzlich zu Verhaltensmuster wie Rauchen, schlechten Ernährungsgewohnheiten, wenig körperlicher Aktivität, und zusätzlich zu Umwelt- und Berufseinflüssen, zeigen die epidemiologischen Untersuchungen von Paolo Vineis, dass psychosozialer Stress ein wichtiger Faktor zu sein scheint.

Jedoch: Nichts ist bisher eindeutig nachweisbar. Denn Untersuchungen zeigen auch, dass es möglich ist, den Trend zu drehen, erklärt Vineis: Wenn man schon im frühen Alter versucht, schlechte Gesundheit zu verbessern, hat das einen ähnlichen Einfluss auf das Befinden im mittleren Lebensalter wie die Einflussnahme aufs Rauchen.

Ein Beispiel aus der Waadt

Angesichts der Dringlichkeit, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu heben, ist ein Projekt interessant, das gerade im Kanton Waadt begonnen hat. Dort haben sich unter der Leitung von Jacques Cornuz das Zentrum für Allgemeinmedizin und Public Health der Universität Lausanne, Hausärzte und nichtärztliche Institutionen wie Spitex vernetzt. Professor Cornuz ist der Überzeugung, dass alle Beteiligten, Hausärzte und Pflegefachleute, vor allem aber auch die Betroffenen sich stärker engagieren, wenn sie sich ernst genommen und in einem Netz von kompetenten Fachpersonen gehalten fühlen. Gesundheit sollte noch stärker als gesamtgesellschaftliche Aufgabe erkannt werden.

 

«Vor Schicksal, Leid und Schmerz ist niemand gefeit, vieles kann geheilt oder gelindert werden, doch der Mensch stößt an die Grenzen seiner Möglichkeiten». – Glaskunst «Schicksal als Chance 1997» von C.Feichter, M.Maloversnik, A.Schneeberger, J.Steiner und M.Karner im Foyer der Schule für Gesundheit und Krankenpflege in Villach, Kärnten, Österreich © Naturpuur / commons.wikimedia.org

Das forumsanté.ch findet jedes Jahr in Bern statt und widmet sich aktuellen gesundheitspolitischen Themen. Alle Interessierten können sich anmelden.

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