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Rossini auf dem Seziertisch

Einmal Rossini, immer Rossini? Nicht ganz, aber seine Opere buffe gleichen sich schon wie ein Ei dem anderen. Aber dann kann man sich doch wieder kaum satthören.

Auf den Tag genau vor 17 Jahren war auch im Zürcher Opernhaus Premiere mit Rossinis „Il turco in Italia“, damals mit Cecilia Bartoli und Ruggero Raimondi in den Hauptrollen und Franz Welser Möst am Dirigentenpult. Und auch schon mit Ernst Raffelsbergers Choreinstudierung.

Und nun also eine Neueinstudierung von Jan Philipp Gloger, seit 2018 Schauspieldirektor am Staatstheater Nürnberg und uns in bester Erinnerung mit seiner szenisch aktualisierten Vivaldi-Oper „La verità in cimento“. Übrigens 2015 mit Julie Fuchs in der weiblichen Hauptrolle, welche nun als Donna Fiorilla mit halluzinöser Kehlkopfakrobatik zu brillieren weiss. Ben Baur verantwortet auch im Rossini-Opus das Bühnenbild, daran erkennbar, dass jeweils zwei simultan bespielbare Zimmerfluchten mit Zwischengängen das konfliktreiche Prozedere wechselseitig widerspiegeln. Wurden die Zimmer bei Vivaldi seitlich verschoben, gibt nun eine Drehbühne die Sicht auf die verschachtelte Szenerie frei. Einzig der Chor kann einem dabei leid tun, weil er, oft zusammengepfercht, mit seinen häufigen Kurzauftritten eigentlich immer allen und auch sich selber im Wege steht.

Da fliegen die Fetzen zwischen der ehemüden Fiorilla (Julie Fuchs) und Ehemann Don Geronio (Renato Girolami) / Fotos © Hans Jörg Michel

Dass Gloger vom Schauspiel her kommt (er schloss in Zürich an der ZHdK die Regieausbildung ab), zeigt sich zwingend in seiner Personenführung, die mit viel Pfiff und geistreich flinkem Augenzwinkern Rossinis Gedankenblitzen Paroli bietet. So furios das anarchische Liebesgezänk vonstatten geht, so virtuos und leichtfüssig handhabt Gloger die szenische Umsetzung. Die Probezeit muss dem Ensemble extrem Spass bereitet haben, denn dieser überträgt sich, je länger der Abend, aufs immer wacher mitgehende Publikum.

Allerdings mit dem «lieto fine», dem Happy End, tut sich nicht nur Gloger schwer. Rossini muss der kirchlichen Moral und dem italienischen Gusto Tribut zollen und die Herzensbrecher reumütig in die ehelichen Gefilde (und an die Waschmaschine) zurückkehren lassen, nachdem er während zwei Stunden die freie Liebe gefeiert hat. Arie Fiorilla: «Es gibt keine grössere Torheit, als ein einziges Wesen zu lieben. Ein alltägliches Vergnügen bringt Langeweile, keine Freude. Die Biene, der Wind, der Fluss, sie alle lieben nicht immer die selbe Blume. Unbeständig in Herz und Wesen will auch ich so lieben, will stets wechseln.» Ganz schön provokativ für 1814.

Dass Rossini dann so viel Tempo wegnimmt, bekommt dem Schluss gar nicht gut und lässt Larmoyanz aufkommen. Leider lässt die Regie dann auch noch Plakate aufhängen mit dem Slogan «Freiheit und Sicherheit», das die Türkengemeinde postwendend mit dem Transparent «Fest der Freundschaft» ersetzt. Die Eselsbrücke kommt etwas gar naiv daher, sonst umschifft Gloger aber alle Migrationsfallen, in ein grossstädtisch aktuelles Ambiente versetzt,  geschickt. Eine Glanzidee ist der Einfall, aus dem Dichter Prosdocimo einen fliegenden Reporter und Paparazzi zu machen, der die Intrigen mit seiner Kamera laufend anheizt und manipuliert, um seinem Filmprojekt Pfeffer zu verleihen. Das ist ganz grosses Kino (Video-Design Sami Bill).

Unnachgiebiger Pulsgeber ist dabei der Rossini-erprobte Dirigent Enrique Mazzola, der nichts von Interpretationen hält, die nicht genau die Vorgaben der Partitur nachvollziehen: „Ich fordere präzise staccati von den Sängern, weil ich die entsprechenden Punkte über den Noten sehe, und fordere eine Legatophrasierung, weil da ein Bindebogen notiert ist. Präzise Sprachbehandlung, grosse Klarheit der Silbenartikulation – das alles ist wichtig bei Rossini.“ Diese Detailversessenheit und Kompromisslosigkeit lässt den Funken erst so richtig springen, und man hält es in den atemberaubenden Koloraturen und Tuttipassagen kaum mehr aus auf den Sitzen. Da seziert ein inspirierender Leitwolf mit messerscharfer Präzision die Intentionen eines Musikgenies, das sich dann aber leider im Laufe seiner Karriere im nähmaschinenartigen Staccato-Rhythmus der Opera buffa-Gattung festbiss.

Action! Paparazzi Prosdocimo (Pietro Sgagnoli) heizt die Eifersucht zwischen den Rivalinnen Fiorilla (Julie Fuchs) und Zaida (Rebecca Olvera, rechts) eifrig an.

Natürlich sind solch fesselnde Resultate nur mit einem erstklassigen Ensemble umsetzbar. Es spielt und singt, als sei es der Rossini-Zeit entsprungen. Ich möchte niemandem die Krone aufsetzen, denn sie füllen alle auf ihre Weise die Rollen fesselnd aus: Julie Fuchs ist auch schauspielerisch umwerfend, ihr Gemahl Renato Girolami gibt einen schlaffen Pantoffelheld, wie er im Buche steht, das Türkenpaar Selim (Nahuel Di Pierro) und Zaida (Rebecca Olvera) sind von strahlender Präsenz. Edgardo Rocha, der zweite Möchtegern-Liebhaber von Fiorilla, neigt als Don Narciso, obgleich ein typischer Rossini-Tenor, etwas zur engen, schrillen Exstase. Der Filmstoff-süchtige Paparazzi Pietro Spagnoli, eine Figur, welche die Brecht-Verfremdung bereits 100 Jahre früher vorwegnimmt, bildet die dramaturgische Klammer und ist darstellerisch wie stimmlich schlicht grossartig.

 

Weitere Vorstellungen: Mai 2, 5, 10, 14, 18, 23, 26, 29

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