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Alter, einmal mehr

Zürich Judith Stamm im Café City für das Wocheninterview . 10.05.2010 Bild : Peter Würmli

Als ich noch nicht alt war, habe ich Referate über das Alter gehalten. Unterdessen bin ich alt geworden, zurückhaltender in meinen Äusserungen. Denn es ist alles ganz anders.

Verlautbarungen, Forschungsresultate, Leitfaden, Bücher über und zum Alter überschlagen sich. Da habe ich doch früher einmal in einem Referat gesagt, wir Alten seien das problemloseste Segment der Gesellschaft: «Wir meckern nicht, wir motzen nicht, wir hängen nicht herum und betrinken uns nicht in der Öffentlichkeit!» Das war vor vielen Jahren. Als Referenz galten mir die Jugendlichen, die damals zeitweise überdurchschnittlich zur Sorge Anlass gaben. Jedenfalls sahen wir Erwachsene das so.

Ich weiss auch noch, dass ich einmal ankündigte, ich würde eine Demo organisieren für ein AAZ, ein «Autonomes Alten-Zentrum». Dort hätten dann nur über Siebzigjährige Zutritt. Und dort würden wir uns aufhalten «unbetreut, unbegleitet, unerforscht». Die Demo erwies sich als überflüssig. Die Alters-Initiativen, Alterstreffpunkte, Altersinstitutionen schossen wie Pilze aus dem Boden.

Heute macht sich ein anderer Trend breit. Er kommt mir sehr entgegen.

Die öffentlichen und privaten Stellen setzen alles daran, uns so lange als möglich «selbstbestimmt» zuhause leben zu lassen. Auskunftsstellen, Fachleute, Beratungsmöglichkeiten, Hilfsangebote stehen zur Verfügung. So ganz uneigennützig ist das Ganze nicht. Immer wieder wird ausgerechnet, dass eine Person, die sich selbst zuhause hilft, die öffentlich Hand billiger zu stehen kommt, als eine, die in eine Institution eintritt.

Aber um diesen Hintergrund geht es mir diesmal nicht. Vor mir liegt ein Fragebogen mit neun Fragen. Absender ist eine Altersberatungsstelle. Es stehen für jede Frage die vier selben Antworten zur Verfügung, die da heissen: «ja», «meistens», «eher nicht», «nein». Die fünfte Frage lautet zum Beispiel: «Ist Ihre Gemütsverfassung für Sie zufriedenstellend?»  Da hätte ich mir eine Differenzierung gewünscht. Da müssten unbedingt noch die Tageszeiten eingesetzt werden: am Morgen, am Mittag, am Abend?

Erstaunt hat mich die neunte und letzte Frage: «Haben Sie genügend Geld, um Ihre Auslagen zu finanzieren?». Da öffnet sich ja ein weites Feld. Für eine Kreuzfahrt auf einem Luxusschiff, jeden Monat einmal, reicht es vielleicht nicht. Für einen wöchentlichen Ausflug mit dem Dampfschiff nach Flüelen und zurück aber sehr wohl. Ein gemütliches Essen auswärts im Freundeskreis liegt von Zeit zu Zeit drin. Allzu häufiges Einkehren in Tempel der Kulinarik ist nicht mehr angesagt, aber auch gar nicht mehr erwünscht. Zu viele Tierleichen auf den Tellern.

Mit den Geschenken für die Enkel ist es so eine Sache. Die können das Budget gelegentlich aus dem Ruder laufen lassen.

Während meiner Berufstätigkeit als Jugendanwältin war mir klar: richtig verstehen können nur Jugendliche andere Jugendliche. Und ich kann mich noch an trotzige Auflehnungen erinnern: «Immer sprecht Ihr über uns. Was versteht Ihr denn schon!».

Heute scheint es mir, dass es uns Alten ähnlich gehe. Viele reden über uns, und haben keine Ahnung von der wirklichen Befindlichkeit älterer Menschen.

Da muss ich ja selbst in mich gehen. Ich war früher auch voll davon überzeugt, dass ich mich dieser Phase mit grossem Verständnis und Einfühlungsvermögen nähere. Muss meine Manuskripte wieder einmal nachlesen. Sehen, ob sie mir mehr als ein müdes Lächeln entlocken.

Als ich kürzlich mit einer jüngeren Freundin darüber sprach, die halb so alt ist wie ich, meinte sie, das gehe ihr genau gleich. Sie sei jetzt eine vierzigjährige Frau, und es sei unglaublich, wieviele Ratgeber für alle die Rollen, die sie ausfüllen müsse, ihr zur Verfügung stünden. Von der Schönheit bis zum Karrierestreben sei alles analysiert, besprochen, in Konzepte gefasst, mit nützlichen Hinweisen versehen und stehe in populärwissenschaftlichen Abhandlungen zur Verfügung. Sie müsste all die guten Ratschläge nur noch in Taten umsetzen, was ihr überhaupt nicht einfalle.

Da kann ich mich in meiner Altersklasse ja geradezu glücklich fühlen. Die «Schönheit» ist, wie sie ist. Die lasse ich am besten «von innen» leuchten. Das gelingt nicht bei jeder Stimmungslage gleich gut, ruft aber noch nicht nach Beratung. Das Karrierestreben entfällt. Da wurde ich kürzlich sogar auf offener Strasse von einem wohlmeinenden Zeitgenossen zurecht gewiesen. Ich solle doch jetzt endlich in der Öffentlichkeit schweigen, meinte er. Auf meine Meinungsäusserungen warte wirklich niemand mehr! Der gute Mann schien mir echt frustriert. Als wir uns nach einem energischen verbalen Schlagabtausch trennten, war er recht zufrieden. Endlich hatte  jemand ihn und seine Argumente ernst genommen, war mein Eindruck!

Vor einiger Zeit hörte ich an einer Veranstaltung, die sich «Marktplatz» nennt, eine ehemalige Pfarrerin über das Aufräumen und über das Sterben sprechen. Sie hat einen sehr interessanten Gedanken ins Feld geführt. Sie meinte, wir würden über den Tod alter Menschen  leichtfertig hinweg gehen. «Wie alt war deine Mutter?» sei etwa die Frage bei einem Todesfall. «Aha, über neunzig, ja dann  war es ja wohl zu erwarten» werde etwas gefühllos geantwortet.

Was sie als treffendere Antwort vorschlagen wollte, war: «Ein reiches volles Leben mit Höhen und Tiefen ist zuende gegangen. Lasst uns diesen Augenblick feierlich begehen!». Ich würde anfügen: «Lasst uns auch die Augenblicke vor dem Ende feierlich begehen und tagtäglich die Ernte wertschätzen, die in jedem Leben eingefahren wird!»

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