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Totes Leben im Sanatorium

Düster und grotesk: Karin Henkel inszeniert am Schauspielhaus Zürich «Die grosse Gereiztheit» nach dem Roman «Der Zauberberg» von Thomas Mann.

Die Geschichte des Romans «Der Zauberberg» ist tiefgründig und vielschichtig. Hans Castorp, 24, ein junger Ingenieur aus traditionsreicher Hamburger Famile, besucht seinen tuberkulosekranken Vetter Joachim Ziemssen im Sanatorium «Berghof» in Davos. Aus den geplanten drei Wochen Aufenthalt werden sieben Jahre. Castorp wird selber Patient und verfällt zeitweise dem moribunden Zauber dieser Sanatoriumswelt. Während der Vetter an seiner Krankheit stirbt, findet Castorps Aufenthalt und damit der Roman sein abruptes Ende in dem ausbrechenden Ersten Weltkrieg, in dem sich die Spur des Helden verliert. Hans Castrop 1913 zeigt uns den Menschen, der nicht ahnen will, was ein Jahr später kommt.

Grotesk-düstere Grundstimmung

Die in der Schiffbau-Halle inszenierte Bühnenfassung von Karin Henkel fokussiert auf eine grotesk-düstere Grundstimmung und auf einzelne Motive des Romans, die wie ein traumverlorener Sog wirken wollen. Die ganze Aufführung ist mit exquisiten Tönen und Geräuschen unterlegt, verströmt einen morbid-absurden Anstrich. Die Bühne gleicht einem Gruselkabinett, eingepfercht in einer bedrohlichen Bergwelt. Wie ein Garagentor wird die Eingangswand, auf der dunkle Wolken dräuen, nach hinten hochgefahren und die Zuschauertribüne mit allen Besuchern ins Sanatorium mit hochgestellten Liegen und beleuchteten Sitzgelegenheiten links und rechts gefahren. Im Hintergrund prangt dauerhaft das Bild eines riesigen Totenkopfs mit leeren Augenhöhlen, die Seitenwände und der Boden figurieren als Projektionsfläche für Organe und Körperteile, dazu gesellen sich Kachelwände voller Blutflecken (Bühnenbild: Thilo Reuter).

Tanz des Ensembles im Schatten des Totenschädels

Drei Stunden lang (mit Pause) wird auf amüsante Art totes Leben zelebriert, die Zuschauertribüne mehrfach – je nach Fortgang der Handlung – vor und zurück gefahren. Ins Sanatorium kommt man nicht zur Heilung, sondern zum Krankwerden und Sterben. Statt Tuberkulosebakterien hat ein Dämon von dieser Gesellschaft Besitz ergriffen, bösartig, lebenstötend, der grosse Stumpfsinn eben. Und dieser Stumpfsinn wird auf pittoreske Art zelebriert. Die Figuren sind teils monsterhaft eingekleidet, agieren hektisch und konfus. Castrop wird von zwei Schauspielerinnen (Carolin Conrad und Lena Schwarz) gespielt. Mal agieren sie synchron, dann wieder als Alter Ego: die eine naiv und gutgläubig, die andere fordernd und hyperventiliert. Geboten wird ein Wechselspiel, das eher verwirrt, zumal Lena Schwarz auch die Rolle der kecken Madame Chauchat übernimmt, in die sich Castrop verliebt. Zwingend ist die Rollenaufteilung jedenfalls nicht.

Tod und Amüsement eng beieinander

Wie eng Tod und Amüsement beieinanderliegen, wird auf gelungene Art in etlichen Szenen gezeigt. Köstlich, wie die Kranken auf kleinen Dreirädern mit aufmontiertem Tisch samt Leuchte an ihren Platz im Speisesaal fahren und die zum Auftakt verschriebene Milch schlürfen oder wie die geschwätzige Patientin Olga (Katrija Lehmann) der Gesellschaft ihre pfeifende Lunge vordemonstriert. Eindrücklich auch, wie über den europäischen Seelen- und Geisteszustand der Vorkriegszeit palavert und gestritten wird. Da werden, mal schreiend, mal bedächtig dozierend, der Wohlstand als Lebensglück (Gottfried Breitfuss als trinksüchtiger Mynheer Peeperkorn) oder eine Allianz der bürgerlichen Demokratie in der Weltrepublik (Fritz Fenne als Lodoviko Settembrini) oder die klassenlose Gesellschaft (Milan Zerzawy als Leo Naphta) verkündet und propagiert. Aus heutiger Perspektive durchwegs ein aktueller und wenig verheissungsvoller Disput, der an die allgemeine Verunsicherung und an populistische Versprechen erinnert. Am Ende rezitiert das schön aufgereihte Ensemble im Gleichschritt zum Rücklauf der Tribüne als Chor Passagen aus dem Schlusskapitel «Der Donnerschlag». Ein bedrückender Abschluss des skurrilen Abends.

Wohlstand als Lebensglück: Gottfried Breitfuss als trinksüchtiger Mynheer Peeperkorn

Erwähnung verdienen auch die übrigen Darsteller: Isabelle Menke als roboterhafte Krankenschwester Adriadica von Mylendonk, Michael Neuenschwander als egomaner Doktor Behrens, Christian Baumbach als frohgemuter Joachim Ziemssen, Ludwig Boettger als verführerischer Doktor Krokowski und Friederike Wagner als endlos plappernde Karoline Stöhr. Sie alle zeichnen den Traum vom zeitlosen Sog nuancenreich und mit viel Parodie. Der mit grossem Technikaufwand präsentierte Theaterabend bietet reizvolle Einblicke in eine Zwischenwelt, in der Denken zur Krankheit werden kann. Dafür gabs am Premierenabend reichlich Applaus. Bleibt die Aufforderung, den Jahrhundertroman «Der Zauberberg» nochmals zu lesen.

Teaserbild: Lena Schwarz als Hans Castrop und Michael Neuenschwander als Doktor Behrens; am Boden liegend: Christian Baumbach als Joachim Ziemssen (Fotos: Matthias Horn)

Weitere Spieldaten: 18., 21., 26., 27., 29., 31. Mai, 2., 4., 6., 7., 11. 11., 12., 14., 16., 17. Juni

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