«Kunst aus Trümmern.» Das Schaffhauser Museum zu Allerheiligen zeigt, wie Schweizer Kulturspenden nach der Bombardierung 1944 dem Museum eine neue Ausrichtung gaben.
Es muss ein schreckliches Ereignis gewesen sein: Abseits der Gräuel des 2.Weltkriegs, fielen am 1. April 1944 aus verirrten amerikanischen Flugzeugen Bomben auf Schaffhausen, der schwerste versehentliche Bombenabwurf im 2. Weltkrieg. Sie zerstörten Menschenleben und Gebäude, darunter auch das Museum zu Allerheiligen und das damalige Naturhistorische Museum. Wertvolle Kunst- und Kulturgüter gingen in Flammen auf, einiges konnte gerettet werden.
Das Naturhistorische Museum blieb zerstört, es fand erst mehr als vierzig Jahre später seinen neuen Platz in einem Trakt des Museums zu Allerheiligen. Dieses, gegründet vor fast 100 Jahren, öffnete seine Räume erstmals 1928. Es konnte 1938 nach umfangreichen Neubauten eine Neueröffnung feiern – sechs Jahre später wurden innerhalb von 43 Sekunden die historischen Zimmer und die Kunstabteilung in Schutt und Asche gelegt.
Blick in den Pfalzhof des Museums zu Allerheiligen mit zerstörtem Westtrakt. Stadtarchiv Schaffhausen
«Wie Phönix aus der Asche» sei das Museum anschliessend neu aufgebaut worden, sagte Direktorin Katharina Epprecht anlässlich der eindrucksvollen Ausstellung, die nun – 75 Jahre später – zeigt, was damals geschah, besonders aber, wie durch die grosse Solidarität der ganzen Schweiz das Museum neu erstehen konnte und über die Region hinaus zu einem wichtigen kulturellen Mittelpunkt wurde. Das Museum ist seitdem spartenübergreifend angelegt: kunst-, kultur- und naturhistorisch. Raphael Rohner, Schaffhauser Stadtrat, erklärte: «Diese Ausstellung soll den nachkommenden Generationen die Konsequenzen kriegerischer Ereignisse vor Augen führen, damit sie begreifen, dass so etwas nie wieder geschehen darf.»
Pierre Auguste Renoir, Fischstillleben, 1915/16. Spende von Georg Reinhart, Winterthur, 1944. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Restaurierung und Provenienzforschung
Insgesamt gingen 66 Gemälde endgültig verloren, ein grosser Teil der Schaffhauser Kunst, darunter einige Portraits von Tobias Stimmer, Zeitgenosse von Holbein d. J. und Lukas Cranach d. Ä., und von Letzterem ein Bild von Martin Luther. Dreizehn Gemälde konnten im Laufe der Jahre restauriert werden. Der Bergung und Rettung von Museumsobjekten gab später den Anstoss, dass der Kulturgüterschutz als Teil des Zivilschutzes in Schaffhausen aufgebaut wurde.
Zerstört: Lucas Cranach d.Ä., Bildnis Martin Luther, 1528, Museum zu Allerheilgen Schaffhausen
Hier war Schaffhausen massgeblich eingebunden in die Bestrebungen, die im Internationalen Haager Abkommen zum Schutz der Kulturgüter mündeten. Die Schweiz ratifizierte dieses Abkommen 1962. Das Museum zu Allerheiligen wuchs durch solche Kulturfragen über seine ursprüngliche Rolle als Schaffhauser Museum hinaus, denn auch um die Provenienzforschung bei Werken, die während der NS-Zeit den Besitzer wechselten, kümmerte man sich schon früh.
Spenden und Reparationszahlungen
Die erwähnten Restaurierungen und Neuankäufe konnten aus Reparationszahlungen der USA und aus Versicherungsgelder finanziert werden. Wesentlich trug dazu die Zürcher Kulturspende bei, die wenige Tage nach der Bombardierung lanciert wurde. Zwei Drittel der Gesamtsumme von ca. 150’000 Franken stellte das Sammelkomitee für den Ankauf von Kunstwerken zur Verfügung, ein Drittel sollte einem Denkmal für die Opfer gewidmet werden. Den Auftrag erhielt Karl Geiser, der diese Arbeit leider nicht vollenden konnte. Das Modell steht im Ausstellungssaal.
Gerettet: Tobias Stimmer, Bildnis Conrad Gessner, 1564, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Ein wichtiger Grundstein des Museums waren die Gemälde von Tobias Stimmer gewesen, eine Leihgabe der Familie Peyer. Aus den Reparationszahlungen und anderen Legate entstand nun die Peyersche Tobias-Stimmer-Stiftung mit dem Zweck, das Kulturerbe Schaffhausens in seiner kostbaren Vielfalt zu bewahren.
Die Schweiz im Museum zu Allerheiligen
Den anschaulichsten Teil der gegenwärtigen Ausstellung bilden die vielen gespendeten Kunstobjekte, die neben einigen geretteten Objekten zwischen Schau- und Texttafeln präsentiert werden. Das Museum erhielt ungefähr achtzig Kunstobjekte als Geschenk. Da sind – unter vielem anderen – zu sehen: ein Hodler-Portrait aus Genf, ein selbstgefertigter Gipsabdruck eines Michelangelo-Reliefs von den Genfer Kunststudenten, Zinngeschirr aus Fribourg oder ein grosser flämischer Wandteppich, der, wie die Kuratoren vermuten, noch nie in seinem Wert geschätzt worden war.
Ferdinand Hodler, Selbstbildnis mit Rosen, 1914. Kulturspende der Stadt Genf, (Musée d’art et d’histoire), 1944. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Neben den vielen Informationen zum Neuaufbau des Museums, die durchaus von allgemeinem Interesse sind, da sie uns Einblick geben, was hinter einer Ausstellung steht, ist es diese Dokumentation der unterschiedlichsten Objekte, die den Reiz dieser Schau ausmacht.
Unkonventionell, aber heutzutage nicht unüblich ist Hängung: Bis auf wenige restaurierte Bilder hängen alle an einer in hellem Blau gestrichenen Wand am Ende der Halle. Diese Gestaltung geschah bewusst, erklärte Katharina Epprecht, die Ausstellung soll auf eine positive Zukunft verweisen. Die Farben der Wände reflektieren nämlich subtil die Emotionen der vergangenen Jahrzehnte. Zuerst treten die Besucherinnen und Besucher in den Raum des Verlorenen ein: Wände und Bilder sind total weiss übertüncht – der blanke Schrecken. Im kommenden grossen Saal herrschen zunächst dunkle Farben vor, auch Rot- und Grüntöne, bis zum optimistischen, heiteren Hellblau.
Albert Anker, Böckligumpis, 1866, Kulturspende der Stadt Vevey, 1945. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Bis 20. Oktober 2019
Informationen und Veranstaltungen
Publikation zur Ausstellung (erscheint am 3. Oktober 2019): Kunst aus Trümmern. Die Bombardierung des Museums zu Allerheiligen 1944 und ihre Folgen. Hrsg.: Museum zu Allerheiligen, Verlag Hier und Jetzt 2019; ca. 192 Seiten; CHF 49.-