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In Nigeria erwachsen werden

Der Roman «Unter den Udala Bäumen» beginnt im Biafra-Krieg. Die junge Autorin Chinelo Okparanta schreibt über die verheerenden Folgen dieses Krieges und zugleich über die Schwierigkeiten des Mädchens Ijeoma, seinen Platz im Leben zu finden.

Wenn Ijeoma, die Ich-Erzählerin, über sich nachdenken möchte, wenn sie etwas schreiben oder sich einfach ausruhen möchte, setzt sie sich unter einen Udala-Baum, ein in tropischen Gegenden weit verbreiteter Fruchtbaum, der auch medizinisch genutzt wird. Wir Lesenden begleiten das Mädchen durch seine Kindheit und Jugendzeit, erfahren, wie sie als Erwachsene lebt, und schliesslich berichtet sie auch, was aus ihrer Tochter geworden ist.

Der Roman setzt mit dem Ausbruch des Biafra-Krieges 1967 ein. Seniorinnen und Senioren erinnern sich wohl an diesen verheerenden Krieg, der ausbrach, als die östliche Provinz Biafra ihre Unabhängigkeit von Nigeria ausrief. Es folgte ein Konflikt, der drei Jahre dauerte und wahrscheinlich zweieinhalb Millionen Todesopfer forderte, und zwar nicht nur zahllose blutige Opfer, sondern auch grosse Zerstörungen und eine beispiellose Hungerkatastrophe, die durch eine Blockade von nigerianischer Seite verursacht wurde. – Flüchtlinge aus Biafra wurden damals auch in der Schweiz aufgenommen.

Ein zerstörerischer Krieg

Die Ursache für Biafras Streben nach Unabhängigkeit waren, verkürzt gesagt, Rivalitäten zwischen den verschiedenen Ethnien, die in Nigeria leben: In Biafra vorwiegend christliche Igbo (früher ‹Ibo›), in den westlichen und nördlichen Provinzen Nigerias unter anderem Hausa und Fulani, die dem Islam anhängen. Pogrome zwischen Muslimen und Christen hatte es schon vor Ausbruch des Krieges gegeben.

Hier beginnt die Erzählung: Die Menschen leiden immer stärker unter dem Krieg und der Hungersnot. Bei einem Bombenangriff kommt Ijeomas Vater ums Leben. Ihre Mutter kann nicht mehr für sie sorgen, und schickt ihre Tochter in ein entferntes Dorf zu Freunden des Vaters. Ijeoma, bisher in einem mittelständischen christlichen Umfeld wohlbehütet aufgewachsen, muss in der fremden Familie den Haushalt führen. Zum Glück darf sie daneben weiterhin die Schule besuchen.

Dieses ebenfalls christliche Ehepaar nimmt ein weiteres Mädchen als Haushalthilfe auf: Amina. Sie ist gleich alt und hat ihre Familie verloren. Ganz zart beginnt zwischen der christlich erzogenen Ijeoma und Amina, einer muslimischen Hausa, eine Freundschaft, die zu einer ersten leidenschaftlichen Liebe wird.

In Stein gemeisselte gesellschaftliche Normen

Es kommt, wie es kommen muss: Der Hausherr entdeckt, was zwischen den beiden Mädchen in ihrem schäbigen Schlafraum geschieht. Daraufhin holt Ijeomas Mutter, die sich inzwischen als Gemüsehändlerin eine bescheidene Existenz aufgebaut hat, ihre Tochter wieder zu sich. Amina wird in den Norden geschickt und dort mit einem Hausa verheiratet.

Die Mutter unterzieht ihre Tochter nun regelrecht einer religiösen Indoktrination. Jeden Tag wird die Bibel gelesen und von der Mutter aufs strengste ausgelegt. Ijeoma fügt sich der Mutter, aber in ihrem Herzen bleibt ihre Sehnsucht nach der verschwundenen Amina lebendig, bis sie in der Internatsschule eine neue Liebe findet, die aber nicht lange hält.

Mut, gemäss den eigenen Neigungen zu leben

Ijeoma jedoch kann ihre Tendenz zu lesbischer Liebe nicht einfach unterdrücken, auch wenn diese in Nigeria bis heute zu den strengsten gesellschaftlichen Tabus gehört. Durch eine andere, etwas reifere Lehrerin findet Ijeoma Halt in ihrer Neigung und entdeckt die versteckte homosexuelle Szene in einer freien Kirche.

Da ihre Mutter aber aus Angst vor einer Blamage und vor dem gesellschaftlichen Druck nicht lockerlässt, gibt Ijeoma nach und heiratet einen Freund aus früherer Schulzeit. Sie bekommt eine Tochter, über die sie sich sehr freut, ihr Mann jedoch enttäuscht ist – er wünscht sich nur einen Sohn. Darüber zerbricht die Ehe, auch da der Ehemann Ijeomas Neigung entdeckt. Ijeoma macht sich selbständig und erzieht ihre Tochter allein.

Den Roman aus der Perspektive von Ijeoma zu erzählen, ist eine kluge Entscheidung der Autorin. Sprache und Stil sind der Erzählerin angepasst: klar und leicht verständlich. Auf diese Weise kann sie allmählich und sehr einfühlsam beschreiben, wie sich das junge Mädchen entwickelt, mit welchen inneren und äusseren Konflikten sie konfrontiert wird, sei es die Niederlage des unabhängigen Biafra, sei es ihre lesbische Identität, sei es das Tabu einer Beziehung zwischen Igbo und Hausa und nicht zuletzt das soziale Abrutschen aus der höheren Mittelklasse in die Armut. Darüber steht bis heute die allgegenwärtige Macht des Staates und der Kirche mit ihrem Dogma, das Homosexualität als abscheuliches Laster brandmarkt.

Chinelo Okparanta  © Manfred Metzner / Afrika Wunderhorn

Chinelo Okparanta wurde 1981 in Port Harcourt/ Nigeria geboren. Ihre Familie emigrierte in die USA, als Chinelo zehn Jahre alt war. Sie studierte dort auch und unterrichtet inzwischen selbst Kreatives Schreiben an der Bucknell University, Lewisburg/ USA. Dieser Roman ist ihr erster. Er erschien auf Englisch 2015 und war 2017 auf der Shortlist des International Dublin Literary Award.

Dieses Buch ist in der Reihe «Der Andere Literaturclub» erschienen, einem Projekt von artlink, Büro für Kulturkooperation, das mit litprom verbunden ist.

Ziel von artlink ist es, Kunstformen, Künstler und Künstlerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa bekannt zu machen sowie die Arbeit der in die Schweiz eingewanderten Kulturschaffenden zu unterstützen. Dies als Ausdruck einer der Welt gegenüber offenen Schweiz, die in der interkulturellen Zusammenarbeit eine Chance wahrnimmt, eurozentristische Haltungen zu relativieren, den Respekt vor anderen Formen, Traditionen und Wertesystemen zu fördern und die Welt auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.

Chinelo Okparanta: Unter den Udala Bäumen (‹Under the Udala Trees›).
Aus dem nigerianischen Englisch von Sonja Finck und Maria Hummitzsch.
Verlag Das Wunderhorn, 2018. ISBN 978-88423-591-1
Auch als E-Book erhältlich.

Titelbild: Udala Baum; botanischer Name: Chrysophyllum albidum A. Englisch: White star apple. Quelle: Maurice M. Iwu, Handbook of African Medicinal Plants, Second Edition.

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