Satirische Gedankensplitter: Es darf geschmunzelt werden!
Einst war mein Gedächtnis geradezu legendär. «Elefantengehirn!» pflegten meine jungen Redaktionskollegen flüsternd unter sich zu sagen, ehe sie sich schüchtern an mich wandten und fragten, ob ich mich erinnere, wie das damals mit dem Skandal um Gemeinderat X in der Gemeinde Y gewesen sei. Das ging allemal schneller als irgendwie darüber zu recherchieren, zumal es ja das Internet noch nicht gab. «Der Alte wird’s schon wissen!» war die einfachste Lösung. Wobei mein «Elefantengedächtnis» für die Kollegen auch mal lästig werden konnte, denn auch für sie Unangenehmes blieb haften.
Item: Das ist länger her, wie ich praktisch tagtäglich erfahren muss. Heute kommt es gelegentlich vor (ehrlich gesagt: fast täglich und immer häufiger…), dass ich im Vorratskeller stehe und nicht mehr weiss, was ich holen wollte. Der zweite Gang die Treppe hinunter ist insofern leicht erfolgreicher, als ich statt des anvisierten Öls wenigstens eine Flasche Essig auf die Anrichte stelle.
Mein Terminkalender nützt bloss dann etwas, wenn ich nicht vergesse, ihn regelmässig zu konsultieren. Und die Namen meiner lieben Mitmenschen – mein Gott: Da stehe ich einem alten Kollegen gegenüber oder einem Nachbarn, dem ich jeden Tag begegne – und ich kann ihm mit dem besten Willen den Namen nicht mehr sagen!
Meine Frau («Hast Du jetzt den Abfallsack nach unten getragen?» – «Vergessen!») nimmt das zusehends mit Stirnrunzeln zur Kenntnis, und auch eine sich steigernde Unwilligkeit ist nicht zu übersehen. «Das kann so nicht weiter gehen», stellte sie vor einiger Zeit dezidiert fest, «jetzt unternehmen wir etwas!» Wobei das «wir» wörtlich gemeint war, denn nach umfangreichen Abklärungen bestellte sie irgendwo in der EU ein entsprechendes Mitteli. Und jetzt war ich an der Reihe: mit dem Schlucken der rot-grün-braun-weiss-grau-violetten Kapseln à 79 Gramm, «einmal täglich zu einer Hauptmahlzeit».
Eingehend hatte ich zuvor den Beipackzettel gelesen und erfahren, dass der für das Wundermittel verantwortliche japanische Tempelbaum zu den ältesten Bäumen der Welt zähle. Gedächtnis und Konzentration (also die geistige Leistungsfähigkeit) würden durch die Kraft seiner verarbeiteten Blätter gestärkt. «Das Zurechtkommen im Alltag wird erleichtert, wodurch auch die Belastung der Angehörigen reduziert wird.» Aha, habe ich doch eine schlaue Frau!
«Hast du den Hund schon kurz raus gelassen?», wurde ich neulich gefragt. «Läck, der ist noch vor der Migros angebunden!» Nach einer Stunde kam ich schnaufend mit unserem Vierbeiner heim – allerdings stand mein Auto noch im fernen Parkhaus.
Nein, das Stirnrunzeln ist bei meiner Frau nicht seltener geworden, im Gegenteil. Und wenn Sie, liebe Leser, mich nun ganz vorsichtig fragen, ob die Kur denn etwas nütze, kann ich das nicht mit ja oder nein beantworten. Vielleicht würde es ja schon, wenn…
Der Fall ist nämlich – unter uns gesagt – ganz einfach: Praktisch jeden Tag vergesse ich, diese Tabletten gegen das Vergessen zu schlucken.