StartseiteMagazinLebensartWandern im unbekannten Piemont

Wandern im unbekannten Piemont

Zu Fuss durch ein einsames alpines Tal mit grossartigen Landschaftsbildern. Sanfter Tourismus in den wenig bekannten Cottischen Meeralpen.

Zugegeben, es ist eine lange Reise mit der Bahn über Milano, Torino nach Cuneo und weiter mit dem Bus nach Dronero und von dort schliesslich ins Mairatal bis hinauf nach Acceglio. Dennoch in einem Tag zu machen. Vor allem, weil wir beim Wandern auf der Nordseite der Alpen – wie wir planten – in dieser Woche nur Kälte und Regen erwischt hätten.

Dronero mit dem Ponte Diavolo

Die Kleinstadt Dronero ist das Tor zum Valle Maira – die kleine Schwester der Provinzhauptstadt Cuneo. In der Altstadt mit ihren Laubengängen geht das Leben gemächlich. Der Ponte Diavolo, die zinnengekrönte Teufelsbrücke über den tosenden Wildbach Maira, lädt zu einem kurzen Besuch ein.

Acceglio im obersten Mairatal ist die Endstation des Busses. Im Hochsommer sei das Dorf in bester Ferienlaune mit Markt, Veranstaltungen und okzitanischer Musik, steht im Führer. Nun anfangs September haben viele Hotels, Bars und Läden bereits geschlossen. Bekannt sind die Percorsi Occitani, das abwechslungsreiche Wegenetz für Weitwanderer auf alten okzitanischen Wegen. In 13 Etappen führen sie von Dronero auf der Nordseite bis zum Talschluss und auf der gegenüber liegenden Talseite zurück nach Cartignano. So lässt sich das Tal hoch über dem Fluss in zwei Wochen umrunden. Die Unterkünfte in den Etappenorten bieten preisgünstige Übernachtungsmöglichkeiten an. In der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung stand und bei den oft langen Etappen entschlossen wir Pensionisten uns, stationär in Ponte Maira zu bleiben und von dort aus sternförmig Ausflüge zu unternehmen.

Zerfallende Häuser im obersten Mairatal

Bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts wanderten die Bewohner mehr und mehr aus in die Ebene von Turin oder ins nahe Frankreich. Die Häuser in den fast leeren Dörfern zerfielen. Ein zunächst bescheidener Wandertourismus und im Winter die Gelegenheit zu Skitouren und Schneeschuhwanderungen brachten einen Umschwung. Heute gilt das Tal als Geheimtipp.

Langsam lebt das verlassene Tal wieder auf. Im obersten Talabschnitt in der weitläufigen Gemeinde Acceglio leben 160 Menschen, davon 16 Kinder im Volksschulalter. Die Provinzhauptstadt Cuneo ist weit weg und es gebe für so wenige Wählerstimmen wenig Unterstützung, sagen die Einheimischen. Die Talgemeinschaft halte zusammen. Es sei aber schwierig, Projekte bei der EU einzugeben, wegen des administrativen Aufwandes. Im Tal ist die nationale Politik fern. „Meglio Tortellini che Salvini“ (lieber Tortellini als Salvini) war zu hören. Wir setzen unsere Hoffnung mehr auf Selbsthilfe, sagt der junge Barista in Saretto. Er sei nur im Sommerhalbjahr da – im Winter arbeite er in Cuneo. Den Saisonschluss setzt jeweils der erste Schnee. Es gibt andererseits viele umgebaute und stilvoll renovierte Ferienhäuser, welche jedoch schon jetzt anfangs September leer stehen – nur die Geranien mit der Zeitschaltuhr getränkt blühen noch immer und überall.

Saretto – fast schon aufs Winterhalbjahr vorbereitet.

Das Valle Maira gehört zum Piemont. Die Nähe zur klassischen Schlemmer-Region ist auch im Mairatal spürbar – mit der hiesigen traditionellen Bauernküche eine begeisternde Mischung zu Preisen, die noch immer angenehm zum Langhe-Niveau kontrastieren. Unterkunft und Essen in der Locanda Mistral sind ausgezeichnet, mit einem Schuss Südtirol garniert, woher Renato Botte stammt. Die Gastgeberin Manuela aus dem Mairatal führt mit ihm zusammen den Betrieb.

Die Locanda liegt auf 1400 m im Örtchen Ponte Maira, am Talschluss: eine Kirche, wenige alte Häuser, ein munterer Bach, weite Wiesen. Das Hotel besteht aus zwei umgebauten Bauernhäusern im okzitanischen Stil mit dem traditionellen Dach aus Steinplatten und viel Holz.

Die Locanda Mistral in Ponte Maira

Das Amphitheater der Berge hinten im Tal lädt zur ersten Wanderung ein. Die riesige Pyramide der Rocca Provenzale zieht immer wieder den Blick auf sich. Das Tal beherrschend fordert sie zu einer Umrundung geradezu auf. Ein abwechslungsreicher Weg durch Alpwiesen und durch lange Reihen von Steinlesungen. Im nebligen Morgen ist der Anstieg angenehm. Bald hat die Sonne den Nebel weggesaugt. Wir treffen einen jungen Jäger, der seine Hunde trainiert für die nahende Jagd auf Rehe, Kaninchen und Wildschweine. Der Blick geht zurück auf Chiappera und das oberste Mairatal. Nach dem Colle Greguri folgt der schönste Teil des Weges hinunter zur Alp Grangia Rivero auf 2000 Meter.

Rocca Provenzale mit Talabschluss

Die Alpsaison hier oben ist beendet. Die Steinhäuser der Hirten verlassen, manche als Halbruinen längst nicht mehr bewohnt. Das Panorama ist prachtvoll. Am Horizont die Dreitausender, welche die Grenze nach Frankreich bilden. Eine lange Rast auf dem gewärmten Dach aus Steinplatten gibt neuen Schwung.

Verblühter Gelbenzian

Langsam nehmen Bäume und Büsche herbstliche Farben an. Der gelbe Enzian steht in Gruppen, nun nicht mehr in der Blüte, aber mit starken Stengeln wie Kerzen, dürr und goldgelb. Weiter unten bekleiden Berberitzen, Ginster, Lavendel, schwarze Edelraute und Bärenklau die steinigen Hänge. Zu Tausenden schreckt der Wanderer grosse Zikaden auf, die mit gewaltigen Sprüngen fliehen. Sie können auf kurze Strecken auch fliegen und zeigen dann ihre roten oder blauen Innenseiten der Flügel.

Ausschnitt einer Freske in San Peyre in Stroppo. Foto Georg Schmucki

Das Maira-Tal ist eine stille und traditionell zurückhaltende Gemeinschaft. Obwohl das Tal arm war, finden wir in fast jeder Ortschaft eine Kirche. Von einem gut erhaltenen Schatz an Fresken aus dem 13. Jahrhundert werden wir in der Kirche San Peyre (San Pietro) in Stroppo beschenkt. Auf der Strasse nach Elva steht sie in isolierter und markanter Lage. In diesem Seitental gibt es in der Pfarrkirche von Serre ein romanisches Gotteshaus mit dem berühmten Freskenzyklus von der Kreuzigung Christi und dem Tod Mariens. Im kleinen Dorf Villaro oberhalb von Acceglio finden wir an einem Brunnen steinerne Köpfe, ebenfalls in der kleinen Kapelle von Ponte Maira an der Strasse nach Saretto. Diese „Têtes coupées“ genannten steinernen Abbildungen gehen vermutlich auf eine keltische Tradition zurück, nach der die abgeschlagenen Köpfe der Feinde in Stein gehauen wurden.

 

Köpfe am Dorfbrunnen von Villaro ob Acceglio

Heute führt uns die Wanderung ins Seitental Unerzio mit dem Ziel La Gardetta, einem zauberhaften Hochtal. In gleichmässiger Steigung folgen wir dem Wildbach auf einer Militärstrasse. Herden von weissen Kühen ziehen langsam gegen einen kleinen Übergang. Voraus die Leitkuh. Hinten die Rinder und Kälber – ein selbst inszenierter Alpaufzug. Wir umgehen ihn aus Respekt vor den Mutterkühen. Die Fliegen auf den Kuhfladen stürzen sich auf alles, was da schwitzend unterwegs ist. Immer mehr öffnet sich eine beeindruckende Szenerie von Gipfel und Felsentürmen. „Le Dolomiti di Cuneo“ sagt man auch zu diesem Teil der Cottischen Alpen.

Auf dem Weg zur Hochebene La Gardetta

Von weitem schon sind bullige Bunker und Kasernen auf mehr als zweitausend Metern sichtbar. Die Aufrüstung für den 2.Weltkrieg brachte den Bau von Festungen und Stellungen in den grenznahen Bergen nach Frankreich mit sich. Das faschistische Italien war ja drei Jahre lang mit Nazideutschland verbündet. In einem kurzen Krieg im Juni 1940 befahl Mussolini einen Angriff auf den Süden von Frankreich, absurd und nutzlos in dieser ausgelieferten Pässelandschaft. Im Verlauf des Krieges verbanden sich die Partisanen der Resistenza mit dem französischen Maquis. Der Vertragsabschluss fand in Saretto statt – eine Gedenktafel erinnert daran.

Befestigungsanlagen Opera Valle Alpino

Jenseits des sanften Passes öffnet sich die Hochebene der Gardetta. Wie der Zuckerhut erhebt sich gegenüber die majestätische Rocca la Meja. Leider schlägt das Wetter plötzlich um. Wir müssen zurück, ohne die Hochebene richtig kennen zu lernen. Wer hier nie gewandert ist, kennt das Mairatal nicht, wie die Autoren eines Wanderbuches schreiben. Einer der Gründe mehr, um zurück zu kommen.

Plötzlicher Wetterumsturz

Das Bewusstsein, dem okzitanischen Kulturkreis anzugehören, ist bei vielen Menschen im Mairatal sowie in den umliegenden, ebenfalls wenig erschlossenen Tälern, gewachsen. Die okzitanische Sprache entwickelte sich seit dem frühen Mittelalter aus dem Latein. Sie ist von den Cottischen und den Seealpen bis nach Südfrankreich verbreitet. Es gibt eine okzitanische Musik und es gibt eine regional eigenständige okzitanische Kultur, die ihre Wurzeln nicht mehr verleugnet.

Keltisches Motiv „miteinander verbunden sein

Fotos: Justin Koller (Beitragsbild: Wikicommons)
Informationen zu Wanderferien im Mairatal:
– Ursula Bauer/Jürg Frischknecht: Antipasti und alte Wege, Rotpunktverlag
– Kompass-Wanderführer: Piemont /Valle Maira, Nr.5756
www.bergwelten.com/lp/-percorsioccitani-rundwege-im-valle-maira (Beschreibung der Etappen und Adressen der Unterkünfte)
www.valligranaemaira.it

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