StartseiteMagazinGesellschaftIndiennes: Weiche Stoffe – harte Story

Indiennes: Weiche Stoffe – harte Story

Mit wunderbaren Textilien erzählt das Landesmuseum in der Ausstellung «Indiennes» die Wirtschaftsgeschichte der Globalisierung vom Mittelalter bis heute.

Handel mit Indien – eine Never Ending Story von Kolonialismus, Sklaverei und Ausbeutung. Aber auch eine Geschichte der Mode und der Schönheit sowie des technischen Know-How-Transfers. Baumwolle kann in unseren Breitengraden nicht angepflanzt werden, die Textilien der Europäer waren aus Tierhaaren, Leinen oder anderen Pflanzenfasern. Das weiße Gold, wie die Baumwolle genannt wurde, war jedoch sehr früh wichtigste Handelsware zwischen Indien und Europa.

Wandbehang (Palampore) mit Lebensbaum von der Koromandelküste, Indien, um 1740. Das Lebensbaum-Motiv gehört im 17. und 18. Jahrhundert zu den weit verbreiteten Darstellungen auf Indiennes für den Export nach Europa. Copyright: Rainer Wolfsberger, Courtesy Museum Rietberg

In der Sammlung des Nationalmuseums befindet sich die grösste Textilsammlung an Stoffen in der Schweiz, einen ersten Baumwollstoff gibt es aus dem 12. Jahrhundert. Unlängst konnten für das Schloss Prangins, Standort des Nationalmuseums im Welschland, 150 Indiennes-Stoffe aus der Sammlung Petitcol erworben werden, wie Helen Bieri Thomson, Geschäftsführerin des Château de Prangins ausführt.

Diese Stoffe werden nun erstmals in Zürich gezeigt, zusammen mit Dokumenten, Fotos und Objekten aus der Sammlung, erweitert durch wertvolle Leihgaben, darunter die allererste indische Fahne, die nach der Unabhängigkeit von Grossbritannien gefertigt worden war. Diese Fahne ist aus Khadi, dem handgesponnenen und -gewobenen Baumwollstoff, der in der Befreiungsbewegung zentral war: Mahatma Gandhi begann in den1920er Jahren das Spinnen von Khadi zu propagieren. Zum einen sollte es der landwirtschaftlichen Bevölkerung die Möglichkeit zur Selbstversorgung bieten, zum anderen sollten die ausländischen Stoffimporte verdrängt werden. Damals konnte der Fotograf Walter Bosshard eine Fotoserie von Gandhi machen, die um die Welt ging.

Missionsstation der Basler Mission: inmitten der Missionierten die beiden Missionare mit Gattinnen und Kindern. Foto: bm archives.

In der Ausstellung sind die bedruckten Stoffe der edle und schöne Rahmen zur weniger edlen Kolonialgeschichte, demonstriert am Baumwollhandel mit Indien, waren Schweizer Unternehmen und Handelshäuser an vorderster Front als Profiteure beteiligt. Stichworte sind der Protektionismus Frankreichs im 17. und 18. Jahrhundert, oder die Basler Mission und die Gebrüder Volkart im 19. und 20. Jahrhundert.

Volkart Etikette, ca. 1920. Die Handelsfirma Gebr. Volkart steigt Ende des 19. Jh. zu einem der grössten Handelshäuser der Welt auf. In dieser Zeit handelt Volkart fast ausschliesslich mit Baumwolle. Copyright: Stadtarchiv Winterthur Sign.-Nr. Dep 42/1971

Wer sich auf die Schau einlässt, erfährt – wohl für nicht wenige ein Aha-Erlebnis –, dass der globalisierte Handel nichts Neues ist. Schon in vorchristlicher Zeit entwickelten Manufakturen in Indien Färbe- und Druckverfahren auf Baumwollstoffen, die für lange Zeit unerreichbar blieben. Solche Stoffe, Indiennes genannt, erreichten vom 16. Jahrhundert an Europa, wurden vom 17. Jahrhundert an in europäischen Betrieben imitiert und mit der Industrialisierung zum begehrten Material für Kleidung und luxuriöse Wohntextilien wie Vorhänge, Wandbespannungen, Möbelüberzüge und weiteres.

Unter dem Mogul Akbar, einem religionstoleranten Herrscher des 16. Jahrhunderts, kam der Baumwollhandel zur Blüte, und vor allem die englische Handelskompanie setzte sich durch, bis Indien später zur britischen Kronkolonie wurde. Mit der aufkommenden Textilindustrie in England nach 1800 und dem Export nach Indien wurde die indische Produktion zerstört. Das erinnert an die subventionierten Überschussnahrungsmittel, beispielsweise Massenaufzuchtsgeflügel, welche heute die Hühnerzucht in afrikanischen Staaten zerstören.

Die Europäer konnten die Stoffe viel billiger herstellen, so wurde Bombay vom Produktionszentrum zum Zentrum des Handels mit Rohbaumwolle, eben dem weißen Gold. 1851 gründete die Handelsgesellschaft Gebrüder Volkart aus Winterthur in Bombay ihre erste Niederlassung, Ende des 19. Jahrhunderts war sie eine der grössten Baumwollexporteure der Welt. Ebenso aktiv im Baumwoll-Business war die Basler Mission, die nach der Gründung 1815 ihre Missionare auch nach Indien sandte, um Hindus zu bekehren. Weil diese aus dem Kastensystem geworfen und ohne sozialen Rückhalt waren, mussten die Missionsstationen auch im grossen Stil Arbeit beschaffen. Mit Ziegeleien, Druckereien und Webereien wurden sogar Gewinne gemacht. Von Missionaren und ihren Frauen erzählt Markus Imhoof in seinem Film Flammen im Paradies, der auf seiner Familiengeschichte basiert.

Ausschnitt aus einem Wandbehang (Palampore) von der Koromandelküste, Indien, um 1700-1750. Inspiriert von Wandbehängen an den Höfen indischer Herrscher geben Portugiesen und Holländer Stoffe in Auftrag, auf denen sie sich porträtieren lassen. Copyright: Schweizerisches Nationalmuseum, ehem. Sammlung Petitcol. Foto: E. Caflisch

Die Herstellung der bedruckten oder bemalten Baumwollstoffe ist sehr komplex. Immer wieder müssen Beizen aufgetragen werden, zahlreiche Druckstöcke aus Holz müssen für die Muster eingesetzt werden. Bekannt ist das so genannte Paisley-Muster: ein reich verziertes Blatt. Sehr früh gelang es den indischen Produzenten, farbechte Stoffmuster herzustellen. Selbstverständlich zeigt die Ausstellung in Videobeispielen und anhand von Objekten auch, wie diese Arbeiten ausgeführt wurden.

Es ist gelungen, bei manchen Indiennes auf die Auftraggeber zu schliessen – hier indische Mogul-Paläste, dort Europäer. Zu bewundern ist auch der Palampore, der einst von Indern für Europäer nach deren Wünschen erstellt wurde – freilich fehlte die brauchbare Bildvorlage für das Aussehen der edlen Herren und Damen, was zu eigenwilliger Interpretation der Kleidung im fernen Westen führte.

Indienne-Stoffe wie dieser werden im Dreieckshandel eingesetzt. Sie dienen als Währung für Sklaven. «Le lion et la chèvre», Ende 18. Jahrhundert, Nantes. Copyright Schweizerisches Nationalmuseum. Foto: E. Caflisch

Weniger witzig das Stoffstück, das auf den Dreieckshandel und damit auf die Versklavung von Afrikanern weist: An afrikanischen Höfen waren Indiennes gefragt und wurden somit wie Waffen und anderes als Währung für den Menschenkauf eingesetzt. Auch hier sind Schweizer beteiligt: die Christoph Burckhardt & Cie aus Basel war beteiligt an der Finanzierung von Schiffen, die Indiennes nach Afrika lieferten. Das verbreitete Erfolgsmodell des Transithandels, bei dem die Waren nie in die Schweiz kamen, sondern nur die Gewinne, ist also nichts Neues.

Die Publikation zur Ausstellung Indiennes. Stoff für tausend Geschichten aus dem Christoph Merian Verlag ist weit mehr als ein Begleit-Katalog. Das in Leinen gebundene Buch ist prachtvoll gestaltet und wird inhaltlich der komplexen Geschichte der Baumwolle und der darin involvierten Länder und Menschen gerecht. Und es unterstreicht einmal mehr, dass Schweizer Geschichte eng mit der globalen verflochten ist.

Beitragsbild: Das Spinnrad ist Symbol der Unabhängigkeitsbewegung. Frühe Flagge aus Khadi mit Druck, nach 1921, Indien, Privatbesitz

bis 19. Januar 2020
Landesmuseum: Indiennes. Stoff für tausend Geschichten

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