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Sehnsucht nach Schönheit

Ein Garten ist viel mehr als ein Stück Erde, das mehr oder weniger in Ordnung gehalten werden muss. Auch mehr als eine Nutzfläche, auf der möglichst viel kultiviert werden kann. Ein Garten ist eine kleine Insel für alle Sinne. Ein Stück Ruhe und Schönheit im hektischen Leben.

Bald ist das Gartenjahr zu Ende. Alles hat irgendwie seinen Glanz verloren, wirkt matter, vergänglicher. Zwar stehen die Dahlien noch stattlich da, aber wer eine Blüte näher betrachtet, sieht die feinen braunen Ränder, ahnt den Verfall. Bei den Rosen ebenso. Nicht nur das Laub ist nicht mehr so dunkelgrün glänzend wie noch vor einigen Wochen, auch die Blüten neigen sich ganz leicht Richtung Erde.

Ja, das Gartenjahr geht zu Ende – und mit ihm auch all die schönen Pläne, die wir im Frühling in unseren Köpfen hatten. Wir träumten von einem Garten, der – einmal nur! – vollkommen sein sollte. Von Rabatten, die mit ihren Farbharmonien an romantische Aquarelle erinnern, an Blüten, die sich mit den Schmetterlingen um die Wette im Wind wiegen. Wir wünschten uns üppige Gemüsebeete, in denen Ringelblumen kleine Farbtupfer setzen und die jetzt im Herbst von hohen Sonnenblumen und am Boden von dicken Kürbissen umrahmt sind.

Ein Garten ohne Misstöne

Lücken im Staudenbeet? Kleine Glockenblumen, denen die Schnecken ganz schlimm zugesetzt haben? Rittersporn, den ein Gewitter erst einmal flach legte, bevor er aufgebunden wurde? Rosen, die zuerst unter dem Regen und dann unter der Hitze litten? All das kam in unseren Träumen nicht vor. Alles sollte schön, anmutig, harmonisch sein, üppig natürlich auch, eine Sinfonie von Farben, Formen und Düften.

Alles ist irgendwie «zum letzten Mal». Auch die Astern werden dem ersten Frost zum Opfer fallen. Deshalb sind sie umso kostbarer.

Schönheit und Harmonie sind Werte, die wir zum Leben brauchen wie die Pflanzen das Wasser. Uralt ist es, dieses Streben nach Schönheit und in allen Kulturen und Zeitaltern zu finden. Ich habe Gärten gesehen im russischen Nowgorod in Nordwestrussland, die waren vom Gartenzaun bis an die Hauswände bepflanzt mit Zwiebeln, Kohl und Kartoffeln. Sie versorgten die Besitzer der Datschen mit all dem Essbaren, das sie zum Überleben im langen Winter brauchten. Und doch: Irgendwo in einer Ecke standen ein paar Tulpen, neben der Haustüre blühte ein kleiner Rosenstrauch, am Gartenzaun ein Busch Margriten.

Ich war tief berührt. Jeder Quadratmeter dieser Gärten musste genutzt werden, damit eine Familie gut durch die kalte Jahreszeit kommen konnte. Aber die Sehnsucht nach Schönheit, die blieb. Und wenn es nur ein paar Tulpen waren, die eine schattige Ecke erhellten.

Funktionell und schön

Auch bei den Massai in Tansania fand ich diese Suche nach Schönheit. Die Frauen dort formen, vor ihren Krals auf dem nackten Boden sitzend, Töpfe aus Lehm, die sie selber brennen und in denen dann die Speisen zubereitet werden. Aber auch hier: Die Töpfe sind nicht einfach rund und bauchig und funktionell. Mit den Fingernägeln werden am Rand kleine, einfache Muster in den noch weichen Lehm gekerbt, die keinen anderen Zweck haben, als den Topf zu verzieren. Praktisch muss er zwar sein – aber auch schön. Von den farbigen, kunstvoll geflochtenen Perlenkragen ganz zu schweigen, die die Massai-Männer heute noch tragen – und nicht nur an Folkloreabenden.

Ob diese Rose noch voll erblühen kann? Seis drum. Eine Rosenknospe im späten Oktober ist bereits ein kleines Wunder. (Bilder B.R.)

Es ist diese Sehnsucht nach Harmonie, die uns jedes Jahr wieder umtreibt, die uns Stunden im Garten verbringen lässt, die manchmal zu Rückenschmerzen führt und vielleicht auch zu der Frage, ob sich denn der ganze Aufwand lohnt. Die Antwort ergibt sich ganz von selbst. Dann, wenn die «allerletzte» Rose aufblüht, die Amseln lautstark in den Prunussträuchern um deren Früchte streiten und der weisse Phlox einfach nicht aufhört, Blütenbüschel um Blütenbüschel zu produzieren. Obwohl der erste Frost schon zu erahnen ist. Wenn die altmodischen Wicken blühen, als gäbe es kein Morgen, die stolzen Fingerhüte, die zarten Cosmeen, die Glockenblumen uns zunicken, dann wissen wir, dass sich alles gelohnt hat. Dass wir auf der Suche nach Schönheit wieder ein Stück weitergekommen sind.

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1 Kommentar

  1. Eine schönere und passendere Liebeserklärung an die Natur und das saisonale Walten kann ich mir gar nicht vorstellen. In einer immer schrilleren Welt die Ruhe und Anmut eines Gartens zu besingen, bietet mehr Heilkraft und Zuversicht als noch so gut gemeinte Wünsche.

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