Das Landesmuseum hat nun seine Familienausstellung eingerichtet, wo kleine Mädchen und Buben auf Entdeckungsreise gehen können: Mit dem fliegenden Teppich in den Orient des Mittelalters, mit dem grossen Segelschiff über die Weltmeere oder mit dem Zug nach einstmals, als Urgrossmama noch ein Kind war.
Ein Museum für alle will das Landesmuseum sein, für die Einheimischen, denen ihre Herkunft und die Geschichte ihres Lands wichtig ist, die Fremden, die sich hier ansiedeln und wissen wollen, wie die Schweizer einst lebten und die Ferienfahrer, die mehr über ihre Destination erfahren wollen. Für sie gibt es von der prähistorischen Frühzeit bis fast in die Gegenwart verschiedene Ausstellungen mit einer Fülle von sorgfältig ausgesuchten Objekten, dargeboten mit modernster Museumstechnik. So sind die Informationen ohne mühsames Entziffern von Schrifttäfelchen einfach über Touchscreens abrufbar. Und nun hat das Landesmuseum seine geschichtsträchtige Kinderstube eingerichtet, drei Räume, in denen Kinder von vier bis neun spielerisch in die Vergangenheit reisen können: «Mit fliegendem Tepich durch die Geschichte», heisst diese Dauerausstellung, denn ein historisches Museum ist im Grunde eine Zeitmaschine, mit der man sich dank der gesammelten Dinge in frühere Zeiten beamen kann.
Welches Bild zeigt sich wohl, wenn es gelingt, verkehrt herum ins kleine Fernrohr zu blicken, welches samt der Caravelle, dem stolzen Segelschiff, in einer Vitrine steht? © Schweizerisches Nationalmuseum
Die Dauerausstellung für Familien im Landesmuseum wendet sich freilich nicht allein an entdeckungs- und spielfreudige Kinder auch für ihre geschichtsaffinen erwachsenen Begleitpersonen – Vater, Mutter, Tante, Onkel, Grossmutter, Grossvater undsoweiter gibt es einiges zu entdecken. Zum Beispiel einige ganz spezielle Objekte, die Kuratorin Rebecca Sanders ihre Lieblingsgegenstände nennt, beispielsweise das Astrolabium, ein komplexer mechanischer Apparat, der schon den arabischen und persischen Seefahrern der Antike als eine Art astronomische Uhr diente. Oder die Caravelle – das Modell eines besonders wendigen und schnellen Segelschiffs, welches als Dauerleihgabe des Verkehrshauses Luzern nun in Zürich steht, oder der Kokosnusspokal: Eine Kokosnussschale ist mit viel Goldschmiedearbeit zu einem edlen Trinkgefäss verarbeitet worden. Damals glaubte man, dass die Kokosnuss eventuelles Gift im Getränk anzeigen könnte. Letztere steht in einer Vitrine zusammen mit einem Zuckerstock und einer Geldtruhe – Zeugen des globalen Handels von einst. Auch das Segelschiff ist samt Kompass, Zirkel und Fernrohr aus Elfenbein in seinem Glashaus sicher. Aber für Wundernasen und flinke Finger gibt es genug zu tun. Beispielsweise eine Kanonenkugel aufheben und deren Gewicht schätzen, oder Seemannsgarn zu Knoten knüpfen oder auch Geschichten hören und Videos sehen.
Auf dem fliegenden Teppich im arabischen Palast landen und Scheherazade oder Ali Baba sein. © Schweizerisches Nationalmuseum
Museum heisst längst nicht mehr nur schauen, Finger weg. Auch in der Abteilung mittelalterlicher Orient ist viel zu tun, erst mal auf den fliegenden Teppich steigen, oder drunter kriechen und ein hübsches Märchenspiel auf Video sehen, oder Gewürze in Döschen riechen und erraten. Schulkindern und den Erwachsenen wird in einer Vitrine anhand eines uralten Buchs gezeigt, woher unser Zahlensystem kommt – nämlich aus Arabien. Diese arabischen Zahlen sind wirklich viel praktischer als die römischen, nehmen wir das Datum des Familientags im Landesmuseum. In römischen Zahlen sähe es so aus: III.XI.MMXIX, in arabischen 3.11.2019. An den Hörstationen sind Geschichten aus 1001 Nacht zu hören. Dieser Raum hat ein besonderes Ambiente: Das oberste Prinzip bei der umfassenden Restaurierung des Museumsbaus war die Rückführung in den Zustand von 1898. Hier bekam die Kuratorin – zunächst nicht glücklich – als Grundausstattung die älteste Tapete aus Papier sowie eine alte Holzdecke. Deren ornamentale Muster und Arabesken passen perfekt zu den Teppichen und Artefakten des Orient-Raums.
An die Holzklasse können sich noch manche Grosseltern erinnern. Auch die Landschaft wäre kenntlich, an der man virtuell vorbeifährt. © Schweizerisches Nationalmuseum
Die dritte Zeitreise geht per Zug in die Schweiz der Bahnpioniere. Eine Wand mit wechselnden Fotografien aus den Zeiten des Eisenbahnbaus oder altem Wagenmaterial und früheren Bahnreisen bringt Archivmaterial – es sind 120 Bilder von 1850 bis 1900 – zu neuem Leben. In einer Vitrine gibt es verschiedene Modelleisenbahnen zu sehen, welche die Entwicklung der Bahn von der Dampflokomotive der Spanisch-Brötli-Bahn bis zu moderneren Wagen zeigen. Auch die älteste Bahnhofuhr hängt an einer Wand: Sie stammt aus Luzern und zeigt 24 Stunden an, denn die Fahrpläne führten ja schon mittags über die zwölf hinaus. Im Abteil dritter Klasse kann man sich ausruhen und an den Hörstationen Geschichten rund ums Zugfahren sowie das bekannte Lied vo de Bahnhöf von Mani Matter hören. Wetten, dass hier die Erwachsenen gern sitzen und sich ihre Billette von den kleinen Kondukteuren mit Mütze und Tasche knipsen lassen?
Im letzten Raum liegen nämlich zwei Kleiderkisten sowie weiteres Werkzeug bereit, das sich für Zeitreisen eignet. Aber hier kann man auch in Boxen greifen und raten, was drin ist (zunächst ein gruseliges Gefühl). Auch hier im Spielzimmer, gibt es Stühle, auf denen sich erschöpfte Grosse erholen können, während die Kleinen Basteln, Zeichnen, sich Verkleiden, oder auch mit dem Fernrohr durchs grosse Fenster die Weiten des Platzspitzs erkunden.
«Alle Billette bitte!» ruft der Kondukteur im Zug und entwertet die vorgewiesenen Billette der Reisenden mit der Lochzange. SBB-Kondukteurtasche (um 1973), Billett-Lochzange für Kondukteure (um 1930) und Taxmarkenbüchse für Kondukteure/Zugführer der SBB (1900–1990). © Schweizerisches Nationalmuseum
Die Familienausstellung im zweiten Obergeschoss des Altbaus ist über zum Teil enge Treppen zu erklimmen, selbstverständlich, weniger abenteuerlich zwar, auch mit dem Lift zu erreichen. Für Kinder & Familien ist an der Kasse erst noch ein Karton mit viel Information erhältlich. Überhaupt ist das Landesmuseum, seit auch der Westflügel renoviert und geöffnet ist, ein rechtes Labyrinth, wenn man einfach mal losgeht, ohne sich gross um die Standorte der einzelnen Ausstellungen zu kümmern, aber gewiss ist, nach jeder Treppe, hinter jedem Flur ist viel zu entdecken – und erst noch alles gefunden und gesammelt im Gebiet der Schweiz. – Ausnahmen bestätigen die Regel.
Am kommenden Sonntag, 3. November ist Familientag. Es gibt bei freiem Eintritt eine Unzahl von Angeboten für Gross und Klein, unter anderem Führungen in den verschiedenen Abteilungen, Workshops, Kasperlitheater oder eine Show mit Boni Koller und Elena Mpintsis im Auditorium. Speziell und zauberhaft die Sandbilder von Marianne Hofer, beliebt der Druckworkshop im Rahmen der Indiennes-Ausstellung, wo man Baumwolltaschen selbst bedrucken kann.
Beitragsbild: Das Schlüsselbild zur Ausstellung. © Schweizerisches Nationalmuseum
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