Was genau wollen Sie und wie weit sind Sie bereit dafür zu gehen? «Die Berater» im Theater Matte, Bern.
Moderne Zeiten sind nicht nur geprägt von Supermobilität, Erfolgsdruck am Arbeitsplatz und Hyperwerbung (um nur ein paar Beispiele aufzuführen), sie sind stark beeinflusst von der Wichtigkeit der Kommunikation, des «Story-tellings» als Mittel zur Beeinflussung von potentiellen Kunden oder auch von Wählern. Was der Brite Neil Fleming in seinem 2011 uraufgeführten Bühnenstück The Consultant, deutsch Die Berater, auf der Bühne ausbreitet, ist vorab ein Spiegelbild dieser zeitgenössischen an Verwirrung grenzenden Optimierungsbestrebungen für oder gegen alles und alle.
Es geht hier darum, dass es Berater gibt, die Unternehmern ein komplettes Verwandlungskonzept verpassen und, was die eine witzige Seite dieses Spiels ausmacht, im Grunde selber nicht zu wissen scheinen, welche Art Hilfe Gredinger, der Inhaber einer von allen möglichen Seiten und Mächten bedrängten Firma, eigentlich bräuchte. Gredinger selbst weiss es immer weniger, je mehr intellektuelle Rabulistik der Berater James verbreitet. Aus Gründen, die mit einer zwielichtigen Vergangenheit zu tun haben scheinen, bewegt dieser sich im Rollstuhl, was er natürlich auf berechnende Art dann und wann geschickt ausnutzt. Fulminant und in grotesker Mischung von hohlen Sprechblasen und treffsicher verletzenden Giftpfeilen drischt er auf seinen Kunden und Gegner ein. Zur Seite steht ihm die Strategie-Analytikerin Nicola, die auf Gredingers Ehefrau und in seiner Firma leitend tätige Mitinhaberin Claire zunehmend auch als Bedrohung für ihre Ehe wirkt.
Nicola (Sarah Judith Bürge) und James (Jerry Lergier) in einem Moment gegenseitiger Übereinstimmung.
Gredinger ist augenscheinlich mit weniger Wassern gewaschen als sein Gegenspieler. Es geht sehr lange, bis er seine gut gemeinten Einfälle, seine manchmal sogar geschickt erkannten Momente der Hilflosigkeit überwindet. Dann holt er aus zu nicht immer ganz fair verlaufenden Gegenschlägen, von denen sich James allerdings rasch wieder erholt. Auch von Nicola fühlt er sich in die Enge getrieben, jedoch andererseits auch angezogen, was Claire stark missfällt. Es ist ein vielschichtiges Spiel voller Revierkämpfe und Imponiergehabe, das zwischen den Hauptkampfhähnen, aber auch sozusagen im Nebenkampfplatz der subtilen Erotik abläuft. Ob Gredingers Firma schliesslich gerettet ist – man weiss es nicht genau. Die Beziehungen wenigstens scheinen wieder intakt.
Von links: Nicola (Sarah Judith Bürge), James (Jerry Lergier), Gredinger (Res Aebi), Claire Gredinger (Sonja Nydegger) in Pose vor dem anscheinend gelösten Problem.
Auf die deutsche Fassung von Ulrike Syha stützt sich die Mundartfassung von Theo Schmid. Sie ist geradezu ein Glücksfall. Das nicht nur, weil sie sozusagen der dargestellten Gesellschaftsschicht aufs Maul schaut und eine weite Ausdrucksdynamik umspannt, sondern weil das Bühnendeutsch die vielschichtige Darstellung von Zeiterscheinungen der Moderne zu sehr aus dem Vordergründigen, Lebendigen ins Abstrakte verfremden würde – gerade weil der Thematik wegen das Spiel nicht einfach vordergründig durchschaubar wirkt.
Dass es hingegen allerdings lückenlos fesselt und unterhält, das Spiel auf der Bühne, ist den rhetorisch wie dramatisch spannungsreichen Entwicklungen der Handlung und den immer wieder aufscheinenden verblüffenden und hintergründigen Pointen zu danken. Diese Funktionen wirkungsvoll herauszuarbeiten, ist der Regisseurin Marion Rothhaar und ihrem Ensemble überzeugend gelungen. Den Darstellerinnen und Darstellern gelingt es, das Typische der Persönlichkeitsstruktur ihrer Rollen gerecht zu werden und, was durchaus in der Absicht des Autors und seines Spielkonzepts liegen dürfte, auch in Gestik und Sprachdynamik einzelne Elemente der Handlung ins leicht Absurde oder gar Groteske zu spiegeln. Das Zusammenwirken der beweglichen, stets wieder neu gruppierten gläsernen Kulissen des Spielraums mit dem Einsatz des Lichts als demaskierendes Element unterstützt diese charakteristische Präsentation aufs beste. Das Kämpferische der intelligenten, ränkereichen Rede, der Mimik und Gestik, der grellen Momente des Lichts, das Tempo der Abläufe verbinden sich mit einer spürbaren, wenn auch bewusst verdrängten Menschlichkeit: Ein als Ganzes anschauliches Bild unserer modernen Welt. (Bühne: Fredi Stettler, Lichtdesign: Markus Maria Enggist, Kostüme: Marion Rothhaar.)
Alle Bilder: © Roland Soldi
Aufführungen bis 1. Dezember 2019.