Heinz Lüthi, Schriftsteller, Mitglied des Cabaret Rotstift und dreiunddreissig Jahre lang Primarlehrer in Weinigen hat mit «Strömungen» einen historischen Roman über das Limmattal geschrieben. Eine grossangelegte bunte Erzählung, welche die Leserinnen und Leser auf eine unterhaltsame und anschauliche Zeitreise zwischen 1909 bis 1929 mitnimmt und sie immer wieder schmunzeln lässt.
Heinz Lüthi bringt uns mit seinem Roman Strömungen die alten Zeiten des Limmattals zurück. Das Limmattal ist bis heute eine dynamische Gegend zwischen Industrie und Landschaft. Wer weiss noch, dass vor über hundert Jahren ein Zweiertram von Zürich nach Altstetten, Schlieren, Dietikon, Unterengstringen und Weiningen führte, die den Arbeiterinnen und Arbeitern den täglichen Fussmarsch zu den Fabriken in und um Zürich ersparte. Diese erste Limmattal-Strassenbahn, die wegen der gross aufgemalten Abkürzung L.S.B. liebevoll Lisbethli genannt wurde, stellte den Betrieb 1930 ein. Die neue Limmattalbahn, Ende August dieses Jahres in Schlieren eröffnet, wird ab 2022 über die Kantonsgrenze hinaus bis nach Killwangen im Kanton Aargau fahren.
Die Limmttal-Strassenbahn LSB «Lisbethli» aus dem Jahre 1900 mit Postanhänger fuhr zwischen 1900 und 1930 von Zürich-Letzigraben, links und rechts der Limmat bis nach Dietikon. Tram-Museum Zürich, Depot Burgwies. Foto: Wikimedia.org.commons.
Lüthis Roman wird von zahlreichen Personen belebt, einige sind historisch belegt, wie der Zeitungsredaktor des «Volksrechts» Jakob Grau (1883-1968) oder die Wirtin des Restaurants «Krone» in Dietikon, welche der Autor noch selber kannte. Die eindrücklichste fiktive Figur ist Miggel (Emil) Ehrsam-Bäumle aus Weiningen, der die ganze Geschichte als Fuhrmann zwischen den beiden Ufern der Limmat verbindet, zwischen dem ländlichen Weiningen und dem städtischen Dietikon. Als Fuhrmann wickelt er alle mit seinem Witz und seiner Schlagfertigkeit um den Finger und bringt auch uns beim Lesen zum Lachen. Sein Schalk erinnert an den Humor des Cabaret-Rotstift-Schreibers Heinz Lüthi.
In den Landschaftsbeschreibungen steht die Limmat im Mittelpunkt. Sie verbindet nicht nur
geografisch die beiden Seiten des Limmattals, sondern auch die Menschen. Dank der kurz zuvor erfolgten Limmat-Korrektur war sie zwar gebändigt, konnte aber trotzdem noch bedrohlich über die Ufer treten, wie das dramatische Jahrhunderthochwasser von 1910. Für den Autor stellen die Gewässer ein Gegenpol zur zunehmenden Industrialisierung dar. Zudem hat die Limmat für ihn etwas Spezielles, ja fast etwas Mystisches an sich, wie er in einem Interview erzählt. So tauchen in der Geschichte mitunter auch Mythen und Wassergeister auf.
Die Limmat ist heute eine Idylle, weil sie durch das Wasserkraftwerk in Wettingen gestaut wird. Doch früher konnte sie auch anders, wie das Hochwasser von 1910, das in «Strömungen» dramatisch und lebensnah geschildert wird. Foto: rv
Der Roman lebt von den einfachen Leuten, wie die Fuhrleute, die Bauersleute, der Tagelöhner und Vagabund Kundi im ländlichen Weiningen oder die Industriellenfamilie, die italienischen Zuwanderer oder die verarmte Familie im städtischen Dietikon. Hinzu kommen reelle Figuren, wie die resolute Kronenwirtin oder der linke Redaktor des Volksrechts in Dietikon. Für die Streiche der Kinder schöpfte der Autor gewiss aus seiner Erfahrung als Primarlehrer in Weiningen. Und für die sprachlichen Eigenheiten der Protagonisten kamen ihm seine langjährigen Kontakte mit älteren Einheimischen zugute. So hiess beispielsweise die Limmat früher Limmig. Durch die zahlreichen Dialekteinschübe wirken die Handlungen und Personen authentisch, lebensnah und berührend.
Gordon-Bennett-Ballonflugwettbewerb beim Gaswerk in Schlieren von 1909. Foto: ©zvg, Wikimedia commons.
Strömungen, der Roman einer Region, ist in drei Zeitabschnitte aufgeteilt: Der erste Teil startet 1909 beim Gordon-Bennett-Ballonflugwettbewerb beim Gaswerk in Schlieren. Das war ein wichtiger Anlass nicht nur für die Region, sondern wurde auch international wahrgenommen. Dieser Teil endet 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Der zweite Teil umfasst die schwierige Situation während des Kriegs und zeigt auch anschaulich die starke Rolle der Frauen, die sie notgedrungen einnehmen mussten. Dabei lernen wir Else Züblin-Spiller (1881-1948), Journalistin und Gründerin des Verbandes Schweizer Soldatenwohl kennen, die damals gegen die unmenschlichen Unterkünfte der Soldaten kämpfte und für anständige Unterkünfte sorgte. Aus ihren improvisierten, anfangs belächelten «frauenzimmerlichen Plänen» wurde eine schweizweite Organisation.
Das Zimmer der Kleinkinderschule in Bonfol diente im Ersten Weltkrieg gleichzeitig als Soldatenstube. Die Journalistin Else Zübler-Spiller erkannte, dass das Leben der Soldaten in Unordnung, Drill und kalten Unterkünften diese zum Alkohol trieb. Unter ihrer Leitung entstanden in der Schweiz ungefähr 700 Orte, wo die Soldaten ihre Freizeit verbringen konnten. Foto: 1914-1918, Wikimedia commons.
Der dritte Teil in Lüthis Roman handelt von der Nachkriegszeit von 1919 bis zum Börsenkrach in New York 1929, der das Limmattal und die ganze Welt in die Krise trieb. Das schien dem Autor ein guter Punkt, die auf fünfhundert Seiten angewachsene Geschichte zu beenden. Heute schreibt Heinz Lüthi an einer Fortsetzung, auf die man gespannt sein darf.
Zum Autor
Heinz Lüthi, 1941 in Zürich geboren, wuchs im Zürcher Seefeldquartier auf, hundert Meter vom See entfernt und fühlte sich als Seebub. Mit fünf konnte er schwimmen und noch immer ist Fischen sein Hobby. Mit zwanzig kam er als Primarlehrer nach Weiningen – von der Stadt aufs Land – und war fasziniert von der kleinbäuerlichen Welt, insbesondere der Gemeindeversammlung, wo sich jeder zu Wort melden und Anträge stellen kann. Er beteiligte sich rege am Dorfleben, initiierte die Gemeindebibliothek und animierte die Einwohner ihren Dorfweiher als Badeort zu entdecken.
Heinz Lüthi. Foto: ©Heinz Lüthi
Nach über dreissig Jahren gab er den Lehrerberuf auf, um sich ganz dem Kabarett und dem Schreiben zu widmen. Von 1977 bis 2002 stand er als Mitglied des legendären Cabaret Rotstift auf der Bühne. Heute bewohnt sein Sohn das Elternhaus und seine Enkelin ist Lehrerin an derselben Schule in Weiningen.
Heinz Lüthi lebt heute mit seiner Frau in Richterswil am Zürichsee, wo er auch den Altberg Verlag gründete. Inzwischen hat er fünfzehn Bücher geschrieben, aber erst zwei historische Romane. Über das Limmattal publizierte er Werke zu einzelnen lokalen Persönlichkeiten. Seine 1999 erschienene Limmattaler Chronik 1903-1999 basiert auf Inseraten und redaktionellen Meldungen des Amtsblattes der Region Dietikon und war für ihn stets eine reiche Quelle, auch für seinen vorliegenden Roman Strömungen.
Heinz Lüthi, Strömungen, Roman einer Region 1909-1929, Altberg Verlag, Richterswil, 2017, 509 Seiten. ISBN 978-3-9524788-0-6