Was macht den Zauber von Weihnachten aus? Vielleicht gehört er zu den frühesten Kindheitserinnerungen und wiederholt sich bis ins Erwachsenenalter regelmässig im gleichen Ritual und prägt unsere Vorstellung von Weihnachten.
In unserer Familie begann Weihnachten mit dem mit Silberstaub bestreuten Adventskalender, den uns Onkel Edwin jedes Jahr aus Deutschland schickte. Es war wohl die nachhaltigste Erinnerung an diesen Onkel in der Ferne. Die Spannung auf Weihnachten stieg mit jedem Türchen, das wir Kinder öffneten, bis endlich das grosse Weihnachtsbild erschien.
Adventskalender sind auch heute beliebt, allerdings meistens gefüllt mit Schokolade und anderem.
Frühe Erinnerungen
Der erste Weihnachtsabend, an den ich mich erinnern kann – vielleicht war ich drei Jahre alt – war sehr aufregend. Meine Schwester und ich mussten im Korridor vor der verschlossenen Stubentüre warten, bis das Christkind endlich fertig war; der Blick durch das Schlüsselloch war nicht erhellend. Endlich ertönte das Glöcklein, die Tür ging auf, und gerade sah ich noch wie das engelhafte Christkind durch die Balkontür in die dunkle Nacht hinausflog. Vor uns stand der leuchtende Christbaum, geschmückt mit brennenden Kerzen, bunten Kugeln und Kringeln, darunter die geheimnisvollen Päckchen.
So prägte sich mir unser Weihnachtsfest ein, auch wenn ich das Christkind später nie mehr davonfliegen sah. Unsere Mutter hatte immer viel Sinn für die Dramaturgie und Inszenierung der Familienfeiern, nicht nur an Weihnachten, auch bei Geburtstagsfesten und anderen Gelegenheiten.
Nach der «Engeliphase» wurde unser 11jähriges Christkindli poppiger, entwarf und nähte sich das Kostüm selbst, nur die Goldkrone blieb klassisch, und verteilte so die Weihnachtsgeschenke.
Als viel später unsere Tochter zur Welt kam, wurde ich die Regisseurin der Weihnachtsfeier und meine Eltern kamen uns besuchen. Doch die Rollen verteilten sich sehr bald. Ich blieb noch zuständig fürs Anstimmen der Lieder und das Vorlesen einer passenden Geschichte und unsere kleine Tochter übernahm den Part des Christkindes. In stets fantasievoll selbst zusammengestellten Kostümen, mit Goldkrönchen und Lametta im Haar, verteilte sie die Geschenke an alle Anwesenden. Der Vater kümmerte sich um das leibliche Wohl. So behielt Weihnachten stets einen wichtigen Stellenwert in unserem Familienleben.
Aber es gab auch Weihnachten, die ich ohne Familie im Ausland erlebte. Erstmals mit knapp zwanzig Jahren in London, wo ich ein Trainee im Times-Bookshop absolvierte. Meine jüngere Schwester kam mich besuchen und wir gingen zusammen in einem Restaurant essen, hatten angeregte Gespräche, aber besonders weihnächtlich war es nicht.
Himmlische Weihnachten in Polen
An Weihnachten 1972 besuchten wir, jung verheiratet, unsere polnische Freundin in Łódź in Polen. Wir übernachteten etwas ausserhalb in der Wohnung von Bekannten in einem Plattenbau und waren tagsüber mit den Eltern und der Freundin unterwegs. Jeden Tag gab es Sauerkraut mit Kartoffeln. Das Sauerkraut wurde jeden Tag anders zubereitet und es schmeckte ausgezeichnet.
Alexander Nevsky Kathedrale in Łódź. Foto: Wikimedia Commons. Eine Aufnahme von 2009 ohne den weihnächtlichen Glanz.
Lebhaft erinnere ich mich, es war grau und kalt, an die zahlreichen riesigen Rabenvögel in der Stadt, die am Boden herumpickten, auch an die Karyatiden, die in Stein gehauenen muskulösen Männerfiguren, die an den alten Bürgerhäusern die Balkone hochstemmten. Es seien die einzigen gewesen, die während des Kriegs keine schmutzigen Hände bekommen hätten, hiess es. Die Auslagen in den Läden waren bescheiden, wie damals üblich, dafür war das Theater mit modernster Technik ausgestattet. An Weihnachten pilgerte die ganze «atheistische» Familie zur Mitternachtsmesse in die orthodoxe Kirche, und das im sozialistischen Polen. Es war überwältigend: die Lichter, die Kerzen, die Ikonen, das sich im Licht reflektierende Gold, der Weihrauch, die im Raum sich dicht zusammendrängenden Menschen, die Wärme, diese ganze Atmosphäre und die orthodoxen Gesänge hüllten uns ein und wir wähnten uns schon fast im Himmel.
Unter der afrikanischen Sonne
Fast zehn Jahre später, anfangs der 1980er Jahre, lebte ich mit meinem Mann in Bamako im westafrikanischen Mali; an Weihnachten wäre die Heimreise zu teuer gewesen. Es war heiss wie immer, wir spazierten durch die Stadt und dachten an zu Hause, nichts erinnerte an Weihnachten. Eine Kirche suchten wir nicht auf, denn uns missfiel die amerikanische Missionierung, die darauf aus war, möglichst viele Malier zu taufen und sie mit christlichen Namen aus ihrer angestammten Kultur herauszureissen.
Kochen wie die Einheimischen in Bamako/Mali, Dezember 1980.
Den Weihnachtstag feierten wir für uns auf einfache Art. Zum Frühstück gab es Baguette mit Mayonnaise-Aufstrich, dazu Nescafé mit klebrig-süsser Kondensmilch – ein nicht alltäglicher Hochgenuss. Auf unserem Spaziergang durch Bamako sogen wir die lebhafte Atmosphäre der Stadt ein, die rhythmische Musik, die immer von irgendwoher erklang, kauften unterwegs ein paar Küchlein von den Frauen, die am Strassenrand hockend Bananen oder Fleischstücke in einem Topf in Öl brutzelten, bewunderten auf dem Markt, wie elegant sich die Malierinnen in ihren bunten Kleidern und mit ihren fantasievollen Frisuren und Tüchern im Haar bewegten, ebenso die Männer in ihren luftigen bunten Boubous. Auf dem Fischmarkt roch es wie immer streng, aber daran gewöhnte man sich, vor allem wenn man die würzige Sauce, die daraus hergestellt wurde, kannte. An diesem Weihnachtstag wurde uns das unterschiedliche Leben in der Schweiz und in Mali besonders bewusst. Doch der afrikanische Zauber war präsent, auch wenn er in unserer Vorstellung nicht weihnächtlich erschien.
Suche nach dem Weihnachtszauber in Malta
Den grössten Umbruch bezüglich Weihnachten erlebte ich vor sieben Jahren nach dem Tod meines Mannes. Das ganze Leben stand auf dem Kopf und Weihnachten natürlich auch. Statt selber Regie zu führen, überliess ich dies den Jüngeren in der Familie und suchte nach Alternativen.
Liebevoll gestaltetes privates Fenster mit Krippenfiguren in Valletta.
Vor zwei Jahren verbrachte ich Weihnachten in Malta. Hier blinkten die Lichter in Vallettas Strassen in allen Farben, rosa, gelb, blau, grün, weiss. Für den einheimischen Guide war das Weihnachtszauber pur, er fand das wunderbar. Das trockene Malta ist reich an Felsen und Steinen und hat kaum Wald für Christbäume. Aber auf der Erkundungstour entdeckte ich dann doch noch meinen Weihnachtszauber. In den ebenerdigen Wohnungen der Altstadt geben die maltesischen Frauen gerne Einblick in ihre schönen Stuben durch Fenster ohne Vorhänge und offene Türen. Zu Weihnachten gestalten sie ihre persönlichen Weihnachtsfenster mit Krippenfiguren, jede auf ihre Art, die sehr berührend sind.
Sternenglanz in Eis und Schnee
Meine letzte Weihnachtsreise erlebte ich im Norden von Norwegen auf der Suche nach den Nordlichtern. Es war faszinierend, auch wenn sich die Nordlichter nicht zeigen wollten. Die verschneite Landschaft, die kahlen Berge um die Fjorde, die Seen, das kalte Meer, die Hurtigruten-Fähre, die steilen Brücken über die Fjorde, die Dunkelheit, die nach neun Uhr morgens bis nach vierzehn Uhr nachmittags in Dämmerlicht überging, oft begleitet von zarten orangeroten, rosa und lila Farbtönen am Himmel. Einen besonderen Zauber entdeckten wir in den glänzenden herunterhängenden Eiszapfen und verschneiten Eisgebilden über den dunklen Felsen.
Weihnachtszauber mit kunstvollen Eisgebilden im Norden Norwegens.
Fotos: Ruth Vuilleumier