Mit gedämpfter, behutsamer, zurückhaltender Unaufdringlichkeit, mit einer gewissen Scheu nähert man sich einem pflegebedürftigen Menschen. Oder etwa nicht? – Sicher nicht im Berner Theater an der Effingerstrasse bei «Ziemlich beste Freunde»!
Für einmal dürfte die Geschichte weit herum bekannt sein. Kaum zwei Wochen ist es her, dass der berühmte Film Intouchables in einem deutschen Fernsehkanal erneut ausgestrahlt wurde. Selbst wer ihn bei dieser Gelegenheit anzuschauen versäumt hat, wird diese so einmalige wie wahre Begebenheit von 1933, verfilmt 2011 unter der Regie von Olivier Nakache und Éric Toledano, kaum vergessen haben.
Kein Film, sondern ein Bühnenstück
Auf der Bühne an der Effingerstrasse inszeniert Markus Keller die deutschsprachige Neufassung des Stoffs von René Heinersdorff. Es beginnt mit einem ungehobelten Kerl, der in den Raum stürzt und ein Bewerbungsgespräch mit rücksichtslos heftigem Brüllen und Gestikulieren stört. Er braucht eine Unterschrift fürs Arbeitsamt, um zu beweisen, dass er, der Exknacki, sich einmal mehr erfolglos um einen Arbeitsplatz beworben hat – und darauf hat er jetzt schon stundenlang gewartet. Der Tetraplegiker Philippe im Rollstuhl, vermögend, kultiviert, doch vom dritten Halswirbel an gelähmt, aber im Kopf nicht nur äusserlich in Ordnung, lässt ihn zurückrufen. Driss, der sich auf vielfältige Weise als eine extrem entgegengesetzte Art von Aussenseiter entpuppt, anders als sein Arbeitgeber, hat die Stelle als Pfleger vorerst einmal auf Probe.
Fabian Guggisberg (Driss), Ulrich Westermann (Philippe) – ein höchst ungleiches Paar.
Driss bietet dem auch oft unter Schmerzen leidenden Gelähmten im Rollstuhl das nicht, was er nicht will, dafür jedoch das, was er benötigt. Denn Philippe hasst alle Formen von Mitleid und damit einher gehender Behutsamkeit im üblichen klischeehaften Pflegeverhalten. Vielmehr schätzt er die oft auch ungeschickt sich auswirkende Direktheit sowohl der unbeholfenen Hantierungen seines Pflegers als auch dessen zwischen originell, anmassend und dreist pendelnden Verhaltensweisen, Provokationen und Reden.
Mit im Haushalt wirken die Assistentin oder Sekretärin Yvonne (Katharina Schlaak) und die junge Hilfskraft Magalie (Karo Guthke). Zu Besuch kreuzt dann und wann Philippes Anwalt und Freund Fred (Helge Herwerth) auf, um eifersüchtig zu warnen vor dem persönlich und familiär von der Polizei nicht ganz unbescholten wahrgenommenen Driss.
In der Tat hat dieser neben dem herausfordernden Pensum als immer näher vertrautem pflegenden Gesellschafter mit kreativen Ideen noch mit einigen Unliebsamkeiten in seiner Familie zu schaffen. Das verleiht der Handlung ein wirksames Relief, eine Tiefe und Resonanz, welche zusätzlich Spannung schafft. Es charakterisiert auch sehr lebendig die im mehrfachen Sinne kreative Persönlichkeit des zuerst unbeholfenen (und unausgebildeten) Pflegers, der zum ziemlich besten Freund des an den Rollstuhl Gefesselten wird. Ein Freund, der mit erfindungsreichen Überraschungen das an sich eher für trostlos zu haltende Leben Philippes mit neuen Glanzlichtern, Inhalten, Freuden und ganz einfach mit neuem Sinn zu erfüllen vermag.
Keine Frage: Was die beiden Hauptdarsteller, der Mann im Rollstuhl (Ulrich Westermann) und sein Betreuer, Gesellschafter, Pfleger und Freund (Fabian Guggisberg), zusammen erschaffen, ist eine so wirklichkeitsnahe wie auch stimmungsvoll unverfälschte Zweisamkeit, welche die Situation auf der Bühne weitaus hinter sich lässt und Einblicke in menschliche Nähe und Gemeinsamkeit öffnet, die man auch dann für lebensnah und echt halten würde, wenn man nicht im Geheimen wüsste, dass ja an sich ein wahre Begebenheit erzählt wird. Die Dialoge sind, man verzeihe das Klischee, aus dem Leben gegriffen. Sie sind leidenschaftlich, witzig, auch manchmal ironisch gespiegelt, und immer temporeich beschwingt. Alle weiteren Situationen der Szenerie, auch gewisse Neben- und Zwischenspiele, dienen dem dramatischen Geschehen als Ganzes. Es gibt weder seitliche Arabesken noch überzogen wirkende theatralische Vorgänge. Markus Keller hat mit einem geschickt zusammengesetzten Ensemble einen Theaterabend inszeniert, den auch die eingefleischten Filmfreunde kaum mit den «Intouchables» verwechseln werden. Neben den Hauptpersonen erfüllen auch die weiteren Angehörigen des Haushalts von Philippe die in sie gesetzten Erwartungen aufs beste: lebendig, spielerisch, harmonisch dem Ganzen verpflichtet.
Der Spielraum von Markus Keller mit den Perserteppich-Mustern vermag die Phantasie zu beflügeln und wirkt an diesem Abend der menschlichen und der Handlungskreativität höchst anregend, auch als Kontrast zur doch mehrheitlich recht unbeweglichen Einförmigkeit der gestischen Äusserungen des Gelähmten.
Von links: Katharina Schlaak, Karo Guthke, Ulrich Westermann, Fabian Guggisberg
Alle Bilder: © Severin Nowacki
Aufführungen bis 7. Januar 2020.