Es war eine spannende, aber auch eine erste Session des neuen Parlaments mit Überraschungen, die selbst Kenner des Bundesberner Politbetriebes nicht ahnten. Nicht die siegreichen Grünen, die Jungen, die Frauen beherrschten die Szene, sondern die geschwächten Parteien, insbesondere die FDP, die SVP und im Schlepptau die CVP, die alle ihre Vorteile ins Spiel einbrachten: ihre Routine, ihre Kenntnisse der Bundespolitik-Mechanik, in die sie auch ihre Jungen, ihre Frauen einzubinden vermochten. Das alles im Gegensatz zu den vergangenen vier Jahren.
Obwohl SVP und FDP während der letzten Legislatur den Nationalrat beherrschten, zumindest zahlenmässig mit Verbündeten, brachten sie trotz dieser Mehrheit in der grossen Kammer nicht viel zustande. Oft waren sie sich nicht grün genug und konnten die CVP nicht immer in ihre bürgerliche Politik einbinden. Anders in der kleinen Kammer. Im Ständerat bildete sich dagegen eine Koalition der „Vernünftigen“. Im Mittelpunkt stand der Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber, der es immer wieder verstand, Kompromisse zu schmieden. Er entwickelte mit seinen Verbündeten aus der SP, mit Paul Rechsteiner, Christian Levrat und Daniel Jositsch, und der FDP mit Karin Keller-Sutter, die heutige Bundesrätin, mit Joachim Eder, CVP, und Philipp Müller, FDP, gar eigene Vorstellungen, wie beispielsweise bei der Unternehmenssteuer-Reform, die die „Koalition“ mit einem Milliardenzuschuss an die AHV verknüpfte und so zum Erfolg beim Volk verhalf.
Obwohl sich die Kräfteverhältnisse in der kleinen Kammer kaum verändert hatten, entpuppte sich der Ständerat in dieser ersten Session als die Bremser-Kammer. Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser, erfahren und routiniert, setzte sich gar zweimal durch. Er verhinderte den Gegenvorschlag des Bundesrates zur Konzernverantwortungs-Initiative und überzeugte den Rat mit seinem Antrag bei der Überbrückungsrente für über 60jährige Arbeitslose mit einem massiven Reduktionsvorschlag. Der gut ausgestattete Unternehmer aus Zürich setzte mit seinem Antrag durch, dass der vorgeschlagene Maximalsatz nicht mehr wie vorgesehen 58’350 Franken (Ehepaare: 87’525 Franken) jährlich betragen wird. Die Rente soll sich an den Ergänzungsleistungen orientieren und dürfte so auch beim Maximalbetrag klar unter 40’000 Franken liegen; die genauen Details dazu muss nun der Nationalrat als Zweitrat ausarbeiten und festlegen, bevor die Vorlage zur allfälligen Differenzbereinigung zurück an den Ständerat geht.
Und: Die Übergangsrente soll nicht mehr bis 65 bezogen werden können, sondern nur noch so lange, bis eine Frühpensionierung möglich ist, also bis 63 für Männer und 62 für Frauen. Auch diesem Vorschlag Nosers verhalfen FDP, SVP und CVP zu einer Mehrheit. Der Bundesrat wollte den Maximalsatz in der angestrebten Höhe, damit in der Zeit während eine arbeitslose Person die Überbrückungsrente bezieht, nicht nur in die AHV, sondern auch in die zweite Säule einen zählbaren Beitrag einzahlen kann, so dass die Rente bei der ordentlichen Pensionierung ausreicht und keine Ergänzungsleistungen beziehen muss. Insbesondere wollte der Bundesrat ausgesteuerten Arbeitslosen ab dem 60. Altersjahr – bis zur ordentlichen Pensionierung – den Gang zur Sozialhilfe ersparen; sie sollten der Altersarmut entgehen können.
Für Michael Schoenenberger, Inland-Chef der NZZ, ist es schon jetzt höchste Zeit, die „Übung Überbrückungsrente abzubrechen“, weil sie Anreize aussende, die Unternehmen sofort ergreifen würden, um ältere Arbeitnehmer zu entlassen, damit sie ausgesteuert rechtzeitig die Übergangsrente in Anspruch nehmen könnten. Dabe wäre es ja gerade Aufgabe des Unternehmers Noser, seine Kollegen in der Wirtschaft, die Arbeitgeber-Verbände zu überzeugen, dass auch sie zur Solidarität verpflichtet sind. Und es würde der NZZ gut anstehen, ihn dabei zu unterstützen. Stattdessen will sie die arbeitslosen älteren Menschen ihrem eigenen Schicksal überlassen. Dass die Gegnerschaft zudem die Übergangsrente auch deshalb attackiert, weil sie Bundesrätin Karin Keller-Sutter mit der SVP-Kündigung-Initiative in Zusammenhang brachte, zeigt auf, dass alle Register gezogen werden, um die Überbrückungsrente zu bodigen.
Es gibt Gott sei Dank andere Organisationen, die weit behutsamer mit den arbeitslosen älteren Menschen umgehen. Der Schweizerische Seniorenrat SSR beispielsweise fordert den Nationalrat auf, dafür zu sorgen, „dass das neue System der Überbrückungsrente so ausgestaltet wird, dass „es seinen angestrebten Zweck der Vermeidung von Altersarmut erfüllt (siehe “Eine Kürzung ist unhaltbar“ auf dieser Seite).
Die Reaktion des Nationalrates wird zeigen, ob die Grosse Kammer die bisherige Rolle des Ständerates übernimmt, sich künftig als der progressivere Rat als die Kleine Kammer etabliert. Und der neue Ständerat zeigt schon nach dieser ersten Session, dass es eben Personen sind, die die parlamentarische Arbeit prägen. Noch hat sich kein Brückenbauer von der Statur eines Konrad Grabers hervorgetan. Vielleicht werden es die alten Kämpen um Daniel Jositsch schaffen, den Ständerat wieder zur «chambre de reflexion» zurückzuführen. Eines ist jetzt schon gewiss: Der grüne Erfolg hat die etablierten Parteien geschockt, statt auf grüne und/oder linke Anliegen einzugehen, markieren sie den „Herrn im Haus“. Ob das lange gut gehen kann, wird sich zeigen. Spätestens in vier Jahren.