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Gross denken, gross gestalten

Zu Besuch bei Ursula Baur. Das kleine Atelier in Zürich wirkt wie ein Spiegel, der ihr Künstlerleben mit all seinen Facetten zeigt. Stehen bleiben, sich auf Erfolgen ausruhen, das entspricht nicht dem Wesen der vielseitigen Gestalterin, die ihre skulpturalen, abstrakten Objekte in einer eigenwilligen Epoxyharz-Technik gestaltet. Und nebst ihrer Kunst und ihren Aufgaben als Frau und Mutter lange Zeit auch als Dozentin und Kuratorin arbeitete.

Ursula Baur, viele Ihrer Werkstücke dominieren einen Ausstellungsraum, markieren kraftvolle Präsenz. Wie kommt es, dass eine so zierliche Frau solche Objekte, noch dazu in einer doch ziemlich ungewöhnlichen Technik gestaltet?

Ursula Baur: Ich wusste schon früh, was ich wollte: Etwas mit den Händen gestalten. Zuerst waren das textile Wandteppiche, die allerdings bereits klar dreidimensional gewirkt waren. Dann kamen Skulpturen aus dickem Seil – und bald auch die Technik mit Epoxyharz, die ich mir weitgehend selber angeeignet habe.

Ursula Baur in ihrem Atelier. Das Regal hinter ihr liest sich wie ein Streifzug durch ihre künstlerische Tätigkeit. Wobei das alles Entwürfe sind; Ursula Baur denkt gross und so sind auch ihre Objekte.

In die Wiege gelegt wurde Ihnen die Lust am Gestalten ja nicht?

Aus einer Künstlerfamilie komme ich nicht, aber ich besuchte schon als ganz junge Frau gerne Ausstellungen. Kunst war für mich immer ein Faszinosum. Als ich dann eine Werkschau mit Tapisserien der polnischen Textilkünstlerin Magdalena Abakanowicz sah, wusste ich: Das will ich auch. Ich begann, am Webstuhl zu arbeiten, löste mich aber bald von meinem grossen Vorbild.

Das Internet inspirierte die Künstlerin zur eigenen Vernetzung. Diese Kugel mit rotem Faden wirkt filigran, ist aber dank Epoxyharz stabil und trotzdem federleicht – und wunderschön.

Sie fanden einen eigenen Weg.

Formal ging ich meist von der Figur aus, oft vom Frauenkörper. Aber ich gestaltete auch durchbrochene Schalenformen, die ich als Urformen des Lebens verstehe. Dazu kamen soziale, politische und gesellschaftliche Aspekte. Mich interessiert, was in der Welt geschieht. Ich informiere mich auf vielen Kanälen und versuche, Strömungen und Probleme in «meine» Formsprache zu übersetzen.

Dafür gibt es Beispiele?

«Als Frau müsste man mehr Hände haben» heisst eine Skulptur aus früheren Jahren. Da war auch der «Flügelmantel» als Form sehr präsent, als Symbol für Schutz, aber auch Abgrenzung und gleichzeitig ein Zeichen des Aufbruchs. Daraus entstanden dann «Häuser», abstrakte Formen, die Geborgenheit symbolisieren, den Wunsch nach einem Fixpunkt für sich und die Familie. Dass es in dieser Schaffensphase auch zum Teil übermannsgrosse, abstrahierte Tänzerinnen gibt, grossen schwarzen Vögeln nicht unähnlich, zeigt aber, dass Kunst nie nur eindimensional ist.

«Was wäre, wenn die Zukunftsmacher sich irren?». Das Zitat liegt hier als wilder Haufen am Boden. Ja, was wäre?

Ist vorbei, wird aber von Ursula Baur zu neuem Leben erweckt: Stenografie.

Da kommen wir zu einem wichtigen Faktor: Sie sind ja nicht nur Künstlerin, sondern auch Ehefrau und Mutter.

Da war oft ein Lavieren zwischen familiären Pflichten und meiner Arbeit. Zumal ich, selber Absolventin der F+F-Schule für experimentelle Gestaltung in Zürich und verschiedener Weiterbildungen an der (damaligen) Kunstgewerbeschule, bald selber auch als Dozentin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich tätig war. Später kam dann auch ein Gastsemester an der technischen Universität in München dazu, wo ich Architekturstudierende unterrichtete. Dazu arbeitete ich in verschiedenen Künstlersymposien mit und war Mitglied im Visarte-Vorstand Zürich.

Und bei alledem kam Ihre eigene Kunst nicht zu kurz. Sie suchen immer nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.

Es gibt immer wieder Themen, die unter den Nägeln brennen. Den sorgfältigen Umgang mit Ressourcen zum Beispiel: Ich konnte ausgemusterte Kaffeesäcke kaufen, mit deutlichen Spuren ihres «ersten» Lebens. Und ich gab ihnen, indem ich sie zerschnitt und neu zu Spiralen, Bögen, Mondsicheln zusammenfügte – und ihnen mit Epoxyharz eine neue Stabilität verlieh – so etwas wie ein zweites Leben.

Und dann kam das World Wide Web.

Ja, diese weltweite Vernetzung, diese neuen Kommunikationsstrukturen faszinieren mich. Ich begann, Objekte zu gestalten, die nicht viel mehr als Netzkörper sind. Dafür zum Teil so gross, dass sie in meinem kleinen Atelier kaum mehr Platz haben. Die Arbeit war sehr aufwändig, musste ich doch einzelne kleine Knäuel aus dünner Schnur in das 2-Komponentenharz tauchen, dann die Schnüre zwischen den Fingern vom überflüssigem Material befreien und rasch – und am richtigen Ort – um die Rohformen wickeln.

Entstanden sind Skulpturen, die transparent und federleicht, fast flüchtig sind, Schatten und Licht aufnehmen und wiederspiegeln. Sie sind so faszinierend, dass man sich daran kaum satt sehen kann.

Es sind Zeichen für die weltumspannende, digitalisierte Welt, in der wir heute leben. Das Thema Kommunikation beschäftigt mich immer noch. Die rankenden «Runen» an der Atelierwand sind Zitate grosser Denker – einfach in Steno. Was heute fast keiner mehr lesen kann. Aber auch in gewohnter Sprache «schreibe» ich Merksätze, in meiner Technik natürlich. Ich will in eine Welt, die durch die elektronischen Medien wortärmer geworden ist, wieder Worte bringen.

Einer der «Wächter der Natur», noch im Entstehungsstadium. Im Hintergrund ist der Entwurf der schwarzen Vögel zu sehen. (Alle Bilder b.r.)

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Daran arbeite ich im Moment. Es sind grosse, schwarze Vögel, die ich «Wächter der Natur» nenne. Ich stelle sie vom 16. Mai bis 6. September im Kulturort Galerie Weiertal in Winterthur-Wülflingen aus. Die Ausstellung in dieser ganz speziellen «Freilichtgalerie» steht dieses Jahr unter dem Motto «Alles im grünen Bereich» und meine «Wächter» werden an einem leichten Abhang stehen und den gesamten Kunstort im Blick haben.

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3 Kommentare

  1. dein ausführlicher interessanter artikel hat mich sehr erfreut! von herzen. wünsch ich dir weiter viel erfolg und spannende arbeit! elisabeth langsch

  2. Gern habe ich das Interview gelesen und die Abbildungen angeschaut. Die Schaffenskraft von Ursula Baur kommt dabei stark zum Ausdruck. Ich bewundere die Energie der Künstlerin und ihr fortwährendes Suchen nach der eigenen Sprache. Die vernetzten Kugen, die Schalen, die Mondsicheln, aber auch die schwarzen Vögel berühren mich sehr. Danke.
    Brigit Keller

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