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Subversives Biedermeier

«Der arme Poet» von Carl Spitzweg gehört zu den bedeutendsten Ikonen der deutschen Malerei des Biedermeier und ist jetzt zusammen mit «Der Bücherwurm», «Der Kaktusfreund» und weiteren Meisterwerken im Kunst Museum Winterthur in einer grossen Ausstellung zu sehen; die erste in der Schweiz seit beinahe 20 Jahren.

Carl Spitzweg zählt zu den erfolgreichsten und beliebtesten deutschen Malern seiner Zeit. Doch die Beschaulichkeit seiner Bildwelten trügt, denn Spitzweg war ein genauer und kritischer Beobachter. Mit Humor und Ironie beschrieb er den biedermeierlichen Zeitgeist und entlarvte die Gesellschaft und deren bisweilen verschrobene Auswüchse.

Carl Spitzweg, Lueg ins Land, um 1870, Öl auf Holz, 43 x 35,3 cm. Privatbesitz.

Ein Wachsoldat, der strickt oder sein Strickzeug auf die Seite gelegt hat und in die Ferne blickt, wo es nichts zu entdecken gibt, ist ein Thema, das Spitzweg mehrfach malte. Das beschauliche Motiv im Gemälde Lueg ins Land hat eine durchaus politische Komponente. Der Maler machte sich über die übereifrigen militärischen Kontrollen lustig, als jedes Fürstentum im Deutschen Bund glaubte, seine Grenzen streng bewachen zu müssen. Mit seiner harmlos wirkenden Darstellung überspielte Spitzweg seine Kritik an der politischen Repression so geschickt, dass ihn die Zensur nicht behelligte und man ihn bis in unsere Zeit als netten, etwas verschrobenen biedermeierlichen Künstler unterschätzte. Andere Künstler, vor allem die offen kritisierenden Schriftsteller wie Heinrich Heine oder Georg Büchner, wurden verfolgt und mussten sich ins Ausland absetzen.

Carl Spitzweg, Der arme Poet, 1838, Öl auf Leinwand, 37,9 x 45 cm. Privatbesitz.

Spitzwegs berühmtestes Gemälde Der arme Poet ist nicht bloss ein romantisches Bild
eines Dichters, der im kalten Dachstübchen, wo es reinregnet, seine Verse schmiedet. Es könnte auch ein Sinnbild für die Enge und Armut des künstlerischen Ausdrucks im damaligen Deutschland sein. Eine Ironie über die Dichtkunst, das Bemühen um das «richtige» Versmass mit den zählenden Fingern, den Zahlen an der Wand sowie den lateinischen Büchern am Boden. Auch Spitzweg war ein Poet, aber er reimte nur für Freunde und Verwandte und hinterliess zahlreiche Gedichte, die zu seiner Zeit nicht veröffentlicht wurden. In diesen Gedichten kommt seine Philosophie des einfachen Lebens, seine Genügsamkeit und stille Bescheidenheit zum Ausdruck.

Carl Spitzweg, Kunst und Wissenschaft, um 1880, Öl auf Leinwand, 56,1 x 33 cm. Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Neue Pinakothek.

Die Verse zu seinen Karikaturen in der Münchner Wochenschrift Fliegende Blätter zeugen von seinem wachen, kritischen Geist, mit dem er die politischen Ereignisse und ihre Folgen bissig-ironisch reflektierte. Die Ausstellung in Winterthur präsentiert zwei der Gedichte sowie einzelne Karikaturen. Zudem werden im zweiten Geschoss des Museums beim Treppenaufgang zehn Blätter aus der Serie Pastorale von Honoré Daumier (1808-1879) gezeigt. Die beiden Karikaturisten wussten voneinander. Daumier hatte wegen der Zensur die direkte politische Karikatur zurückgestellt und wandte sich ebenso der unverfänglicheren Genresatire zu.

Carl Spitzweg (1808-1885) war Apotheker, der auch Botanik und Chemie in München studiert hatte. Seine Interessen waren breit angelegt. Er durchwanderte die bayerische Landschaft und schuf dabei zahlreiche Skizzen. Zugleich war er weltoffen und machte ausgedehnte Reisen nach Italien, Belgien, auch in die Schweiz. Er hielt sich in grossen Städten wie Paris, Prag, Rom und Neapel auf, wo er Museen besuchte und als Autodidakt die Gemälde grosser Meister kopierte. In Paris setzte er sich mit den fortschrittlichen Freilichtmalern der Schule von Barbizon auseinander. Durch ihr Schaffen entwickelte Spitzweg neue Farb- und Helligkeitsqualitäten, auch die Fragen nach Licht- und Witterungsverhältnissen gewannen an Bedeutung. 1851 besuchte er in London die Weltausstellung, wo er die zahlreich anwesenden osmanischen Händler skizzierte und malte.

Carl Spitzweg, Nillandschaft mit Störchen, um 1860, Öl auf Holz, 12 x 23,8 cm. Museum Georg Schäfer, Schweinfurt. Unter dem Einfluss der französischen Freilichtmaler in Barbizon entstanden Landschaftsimpressionen. Foto: rv

Die Sonderlinge und Käuze in Spitzwegs Bildwelt mögen der Belustigung dienen, führen aber gleichzeitig die spiessbürgerliche Gesellschaft vor. An der Grenze der Karikatur hält er der biedermeierlichen Welt den Spiegel vor. Gleichzeitig schwingt auch ein gehöriges Mass an Selbstironie mit, denn auch er selbst als studierter Apotheker und Botaniker entstammte dieser Gesellschaft. Ausserdem setzte er sich als Regisseur und Schauspieler in einem Laientheater in München mit den Menschen und der Gesellschaft auseinander. Er prägte aber auch das Kunstverständnis seiner Zeit als Präsident des Münchner Kunstvereins. So stellte er für die Erste Internationale Kunstausstellung im Münchner Glaspalast 1869 eine Auswahl von Werken europäischer Künstler zusammen, darunter Gustave Courbet und Edouard Manet. Und das eine Jahr vor dem deutsch-französischen Krieg 1870-1871.

Carl Spitzweg, Der Kaktusfreund, vor 1858, Öl auf Leinwand, 54,2 x 32,4 cm. Museum Georg Schäfer, Schweinfurt.

Die Ausstellung in Winterthur zeigt wie Spitzweg mit den Widersprüchen seiner Zeit umgeht. Er steht nicht nur für das Häusliche des Biedermeier, sondern auch für europäische Offenheit. In seiner Malerei verbinden sich Heimat und Fernweh, Idylle und Subversion, Tradition und Moderne. Und so können wir uns heute in seine kleinformatigen, minutiös gemalten Bilder vertiefen, Hintergründiges und Zusammenhänge entdecken und schmunzeln.

Bis 2. August 2020
Carl Spitzweg, Kunst Museum Winterthur l Reinhart am Stadtgarten, mehr Informationen hier

Ausstellungskatalog mit Aufsätzen zum neuesten Stand der Spitzweg-Forschung, Kunst Museum Winterthur, Hirmer Verlag München, 2020, 155 S. zahlreiche Farbabb., CHF 39.00.

Lesenswert ist auch: Asta Scheib, Sonntag in meinem Herzen, ein Roman über das Leben des Malers Carl Spitzweg. DTV Taschenbuch Verlag, München 2014, ISBN 978-3-423-21557-2

 

 

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2 Kommentare

  1. Liebe Ruth, Spitzweg liebe ich über alles! Vielen Dank, dass Du uns die Ausstellung in Winterthur so
    heiter nahe bringst!
    Wie müssten wir uns die weiblichen Ausgaben von Spitzwegs Figuren vorstellen?
    Gibt es sie überhaupt (-: (-: (-: ???

    • Liebe Judith, die kauzigen Figuren findet Spitzweg häufiger unter Männern, aber die Nonnen auf dem Institutsspaziergang nimmt er ebenso aufs Korn. Ansonsten erscheinen auf seinen Bildern auch immer wieder Mädchen, die sich über das komische Gehabe der Männer wundern, wie im «Ewigen Hochzeiter», oder die Mädchen erscheinen als Teil der Szenerie. Aber geh selber schauen, es lohnt sich wirklich, es ist ein Genuss.

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