StartseiteMagazinKolumnenAltersunterschied und Altlasten

Altersunterschied und Altlasten

Immer wieder verblüfft es mich, wie der Altersunterschied in verschiedenen Lebensphasen eine ungleiche Rolle spielt.

Da erinnere ich mich an einen Familienspaziergang, an welchem auch ein zehnjähriger Junge teilnahm. Der Weg führte einen sanften Hügel hinauf. Der Junge schaute oft zurück und fragte mich, die bald Dreissigjährige: «Magst Du noch, Tante?» Mit einem innerlichen Schmunzeln beruhigte ich ihn immer wieder. Ihm erschien ich offenbar recht alt.

Interessantes in dieser Hinsicht erlebte ich in meiner beruflichen Arbeit bei der Kriminalpolizei. Beim Ausrücken an einen Tatort war die Hierarchie unter den mitwirkenden Beamten meistens von Anfang an klar. Der Ranghöchste, er war meist auch der Älteste, übernahm das Kommando. Es konnte aber geschehen, dass aufgrund der angetroffenen Lage ein anderer Beamter, der in dieser Situation kundiger war, die Leitung übernahm. Das konnte auch der Jüngste in der Gruppe sein. Und siehe da, ohne Worte zu verlieren, passten sich alle an. Rang und Alter verloren ihre Bedeutung. Nahtlos übernahm der Kompetenteste die Führung und gab die Anweisungen. Alle akzeptierten das. Der «Fall» wurde einer guten Lösung zugeführt.

Spannend war dann jeweils, festzustellen, wie in der anschliessenden Berichterstattung, selbstverständlich durch den Ranghöchsten, dieser «Rollentausch» dargestellt und das Lob dem ausgesprochen wurde, dem es auch wirklich gebührte.

Ich erinnere mich gut, dass während meiner politischen Tätigkeit in Bern Altersunterschiede für mich keine Rolle spielten. Natürlich nahm ich den Altersunterschied bei viel jüngeren und bei viel älteren Ratsmitgliedern wahr. Aber im grossen Mittelfeld fühlten wir uns all gleich. Wir hatten gemeinsame Ziele, gemeinsame Wege, gemeinsame Erfolge und Misserfolge. Erst im Nachhinein, zwanzig Jahre nach meinem Ausscheiden aus dem Parlament, entdecke ich, wie unterschiedlichen Alters wir gewesen waren. Die freundschaftliche Beziehung hat sich erhalten. Aber immer wieder stelle ich fest: «Die sind ja zehn oder fünfzehn Jahre jünger als ich». Das hatte während der aktiven Zeit überhaupt keine Rolle gespielt.

Heute spielt es eine Rolle. Mit ungefähr 80 Jahren, das ist je nach Individuum verschieden, durchschreiten wir eine wichtige Pforte. Und meine jüngeren Kolleginnen und Kollegen hören mir staunend zu, wenn ich die Lebensphase   «ü 80» zu loben beginne. Im körperlichen Bereich manifestiert sie sich vielfach durch allerlei Einschränkungen und Gebresten. Im seelischen Bereich erlebe ich sie als Öffnung. Nur darf man das vor lauter Fokussieren auf die Zahl der zurückgelegten Jahre nicht verpassen.

Hier will ich aber noch einen aktuellen Einschub machen. Eine neue Abgrenzung wird uns vom Corona-Virus aufgedrängt. Wir haben die Gruppe der speziell Gefährdeten, ab 65 Jahren. Und die Weisung, dass vor allem Grosseltern ihre Enkel, Enkel ihre Grosseltern nicht mehr besuchen sollen. Hier spielt der Altersunterschied eine ganz spezielle Rolle!

«Ja, was ist denn da so besonders, wenn man zu den Achtzigjährigen gehört?» werde ich gefragt. «Im höheren Alter verlieren «Altlasten» ihr Gewicht», sage ich dann. Damit meine ich Negatives, das wir nicht bereinigt, aber hinter uns gelassen haben. Damit meine ich Misserfolge, die wir vielleicht allzu rasch weggesteckt haben. Damit meine ich Ungereimtheiten in Beziehungen mit Mitmenschen, die wir nie ganz auflösen konnten. Und anderes mehr. Was wir über Jahre mitgeschleppt haben, verliert an Gewicht.

Ich stelle auch fest, dass uns die «Altlasten» im höheren Alter in einem neuen Licht erscheinen. Sie verschwinden nicht. Aber sie werden nicht mehr nur einseitig, sondern rund herum beleuchtet. Wir sehen unsere eigene und die Rollen der anderen Mitwirkenden klarer als früher. Die Altlasten verlieren ihre Schwere, ihre Schärfe, ihre Wichtigkeit.

Das geschieht nicht von heute auf morgen. Das ist nicht allen Menschen vom Schicksal geschenkt. Aber meine eigenen Erfahrungen und meine Beobachtungen bei anderen Menschen lehren mich, dass sich jeder und jede darum bemühen kann!

Vielleicht sollten wir mit dem «Bereinigen» nicht warten bis ins hohe Alter!

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1 Kommentar

  1. Ja da bin ich ganz Ihrer Meinung.
    Dasselbe habe ich auch schon manchesmal gedacht, aber nicht formuliert. Sie haben meine Gedanken sehr gut ausgesprochen. Ich danke Ihnen!

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