Addio Milano

Die kurze Kulturreise nach Milano war wunderschön, gerne wollte ich über die grossartigen Schätze der Stadt berichten. Doch der Zeitpunkt war unglücklich, denn am letzten Reisetag wurde die Katastrophe der Corona-Ansteckungen publik, die sich in der Lombardei anbahnte.

Schon Ende Dezember planten meine Chorkollegin und ich eine kurze kulturelle Städtereise – Paris und Lyon kamen wegen der Streiks nicht in Frage – doch Mailand im Februar sollte wunderschön sein; wir beide kannten nur den Bahnhof vom Umsteigen.

Buntes Treiben vor dem Mailänder Dom, die Welt ist noch in Ordnung, die Gefahr des Coronavirus vermeintlich weit weg in Asien.

Bei schönstem Wetter kamen wir am 19. Februar mittags in Mailand an, bezogen unsere Hotelzimmer und wunderten uns schon im Vorfeld, wie ausgebucht die Hotels waren. Die omnipräsenten Plakate zur Milan Fashion Week waren eine Erklärung und eine weitere erhielten wir auf unserem ersten Spaziergang zum Dom. Scharen junger Menschen zogen laut singend und skandierend durch die Strassen; ihnen wichen wir gerne aus. Es klang nach Fussball und mit der Zeit fanden wir heraus, dass das Spiel Bergamo gegen Valencia im Stadion San Siro anstand. Das alles interessierte uns als Sportbanausen nicht, wir bewunderten im Dom die bunten mittelalterlichen Glasfenster und die Steinmetzarbeiten. Während der vier Tage unseres Aufenthalts besichtigten wir mit wenig anderen Besuchern Kirchen und Museen.

Bosco Verticale. Die begrünten Zwillingstürme im Stadtteil Porta Nova verschaffen Insekten und Vögeln neue Lebens- und Nahrungsräume.

Das Coronavirus war bereits im Gespräch, vor allem in China. Gewissenhaft wuschen und desinfizierten wir unsere Hände, hielten Abstand, insbesondere zu asiatischen Touristen. Am Samstag, dem Tag unserer Abreise, erfuhren wir beim Frühstück im caffè über die Schlagzeilen der Zeitungen von den Ansteckungen in der Lombardei. Die Leute im Kaffeehaus redeten besorgt darüber, es war eine Gefahr, die vor der Tür stand, aber noch nicht wirklich real. Da unser Zug erst am Abend nach Zürich fuhr, besichtigten wir im nördlichen Aussenquartier Porta Nova den Markt und die vertikal grünbepflanzten Hochhäuser, die zwischen 2008 bis 2014 errichtet wurden als Beitrag zur Biodiversität. Mit vielen neuen Eindrücken erreichten wir gegen Mitternacht Zürich.

Zu Hause realisierten wir, dass wir noch im richtigen Moment heimgekommen waren. Die Nachrichten über die rasche Ausbreitung des Coronavirus waren beunruhigend, verstärkt durch ein Rundmail unserer Chorleitung, dass alle erkrankten Chorleute und jene, die in Italien waren, nicht zur Chorprobe kommen sollten. Meine Kollegin und ich fühlten uns kerngesund, doch die Panik begann sich breitzumachen. Die telefonische Auskunft des Spitalarztes sollte mich eigentlich beruhigen: Sie testeten nur erkrankte Personen und solange ich kein hohes Fieber und Husten hätte, könne ich weiter unter die Menschen. Doch die Angst, andere anzustecken ohne selbst krank zu sein, lähmte mich derart, dass ich die meisten Termine absagte, nur schon wegen meiner hypochondrischen Symptome, einem schmerzenden Druck auf der Lunge, Erschöpfung und Übelkeit, – nein, es waren alles keine Corona-Symptome! Nach zwei Wochen Rückzug glaubten mein Körper und ich endlich daran, dass ich nicht angesteckt sei. Es war schön, wieder einmal entspannt einkaufen zu gehen, aber nicht für lange.

Katja Novitskova, Installation. Nicht Viren, sondern überdimensionale Fadenwürmer erobern die Welt. Ausgestellt in «Potential Worlds 1: Planetary Memories» im Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich. Dies war mein letzter Museumsbesuch vor der Schliessung aller Museen wegen des Coronavirus. Fotos: Ruth Vuilleumier

Es folgten die Weisungen des Bundesrats sowie die Bilder aus den italienischen Spitälern. Sie zeigten und zeigen immer noch eine hochdramatische Lage. Ich bleibe, ausser einem täglichen Rundgang, konsequent zu Hause, lasse mir die Nahrungsmittel von einem Hofladen bringen, bekomme Unterstützung durch meine Nichte in der Nachbarschaft und verpasse weder Theateraufführungen noch Ausstellungen. Ich lebe nun ohne Panikattacken in Quarantäne, zufrieden mit mir, meinem Laptop und dem Telefon – und freue mich wieder auf die alten «normalen» Zeiten.

In loser Folge schildern unsere Redaktionsmitglieder, wie sie wegen der Corona-Krise das zu Hause sein erleben und wie sie damit umgehen. Hier der Link zu bereits erschienenen Beiträgen: 

 

 

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