Roger Schawinski, ein Innovator, der die Medienwelt in der Schweiz neu aufmischte und sie für das 21. Jahrhundert fit machte: «Radio 24» ist bis heute eine Legende und «Kassensturz» nach fast einem halben Jahrhundert immer noch beliebt. Seine Erfahrungen publizierte er nun in «Die Schawinski-Methode. Erfolgsrezepte eines Pioniers».
51 Jahre nach seiner ersten TV-Sendung tritt Roger Schawinski vom Bildschirm zurück. Obwohl er nach wie vor als Medienunternehmer tätig ist, nutzt er die Gelegenheit, um Rückschau zu halten: «Ich bin nun in einem Alter angelangt, in dem ich in offener und ehrlicher Weise Erkenntnisse und Erfahrungen an jüngere Menschen weitergeben möchte», schreibt er im Vorwort seines Buchs Die Schawinski-Methode. In fünfzehn Kapiteln zeigt er, was es braucht, um erfolgreich im kompetitiven Wirtschaftsleben bestehen zu können und gleichzeitig sich selber treu zu bleiben.
Das erfolgreichste Rezept, das Schawinski in seinem Buch immer wieder erwähnt, heisst, die Optik ändern, in eine Richtung schauen, in die kein anderer blickt und die Situation neu erfassen. Als Beispiel nennt er den Kassensturz, seine erste erfolgreiche Sendung beim Schweizer Fernsehen, die noch heute ausgestrahlt wird.
Roger Schawinski lernte als Wirtschaftsstudent beim Fernsehen das Handwerk des TV-Reporters. In dieser Zeit plante man für das Vorabendprogramm ein neues Wirtschaftsmagazin. Da bislang stets Experten im Zentrum solcher Sendungen standen, drehte er den Fokus und richtete das Augenmerk auf die Bedürfnisse und Probleme der Konsumentinnen und Konsumenten. Sein Konzept war 1974 so neuartig, dass er als unerfahrener Neuling die Sendung auch gleich selbst moderieren musste. Bereits ein Jahr nach Sendestart erreichte der Kassensturz einen Marktanteil bis zu siebzig Prozent.
Der Piratensender im Gebirge
Nachdem Italien das Radio- und Fernsehgesetz ausser Kraft gesetzt hatte, schossen private Sender wie Pilze aus dem Boden. Der Tages-Anzeiger berichtete kurz darüber. Diese Zeitungsnotiz brachte Schawinski auf eine bahnbrechende Idee. Er träumte schon lange von einem Privatsender mit topaktueller Musik in lockerer Moderation, wie die Piratensender in der Nordsee. Den Jungen erschien das Programm von Radio Beromünster veraltet, lieber hörten sie Europe 1 oder SWF 3, die Popwelle des Südwestfunks, und schon früher Radio Luxemburg, – anfangs der 60er Jahre war das auch mein Lieblingssender am Transistorradio.
Auf der Landkarte entdeckte der junge Draufgänger Schawinski den Fast-Dreitausender Pizzo Groppera in Italien hinter dem Splügenpass, der mit einer Schwebebahn erreichbar war. Mithilfe des Besitzers dieser Anlage, einem Bauunternehmer, errichtete er in kurzer Zeit eine riesige aus Texas importierte Antenne für den damals stärksten UKW-Sender der Welt, der das Radiosignal über 120 km nach Zürich ausstrahlte. Ein ungeheurer Kraftakt, an dessen Erfolg niemand glaubte. Doch Radio 24 ging als erster privater Radiosender der Schweiz Ende November 1979 auf Sendung und wurde von Beginn an zum Erfolg. Der anfängliche Kampf der Regierung gegen diesen abenteuerlichen Sender zementierte den Mythos des Piratensenders, mit dem der Name des Gründers bis heute in Verbindung gebracht wird.
Neues Gewächs in der Medienlandschaft
Schawinski schreibt von seinen vielseitigen Erfahrungen, seinen Erfolgen, aber ebenso von seinen Misserfolgen und Fehlern. Stets versucht er sich treu zu bleiben und sich nicht von den Mächtigen abhängig zu machen. Er entwickelte eigene Ideen und realisierte zahlreiche heute noch bestehende Projekte, die Liste ist beeindruckend: Nach der erfolgreichen Moderation seiner Sendung Kassensturz von 1974 bis 1977 war er während eines Jahres glückloser Chefredaktor der Tageszeitung Tat. 1979, nach der Gründung des Privatradios Radio 24, folgten zwei weitere Gründungen, 1994 der erste Schweizer Privat-TV-Sender Telezüri und 1998 das erste nationale Privatfernsehen Tele 24.
2003 wurde Schawinski als Geschäftsführer nach Berlin zu Sat.1 berufen, wo er den maroden Sender mit frischen Ideen belebte. Zurück in der Schweiz gründete er 2008 Radio 1 und von 2011 bis 2020 moderierte er seine Talkshow Schawinski im Schweizer Fernsehen. Die vielen Stationen zeigen, dass Schawinski seine «Kinder» auch wieder losliess, wenngleich nicht immer freiwillig. Die freiwerdenden Kapazitäten nutzt er jeweils für Neues. Seinem Pioniergeist gehen die Ideen nicht aus. Gleichwohl betont er, wie wichtig es sei, zwischendurch längere kreative Pausen einzuschalten, um wieder aufzutanken.
Der Rebell als Provokateur
In der Geschäftswelt sieht sich Schawinski nicht als Rulemaker, – einer, der Macht hat, alle wichtigen Hebel in der Hand hält und die Regeln vorgibt, – auch nicht als Ruletaker, der diese Regeln übernehmen muss. Vielmehr sieht er sich als Rulebreaker, der die Regeln bricht, weil eben ein Pionier bestehende Regeln brechen muss, um seine Ziele erreichen zu können. Sein Credo ist, nur wenn man sich von herrschenden Denkmustern und Machtstrukturen löst, gelangt man zu neuen Erkenntnissen, und es öffnen sich neue Türen.
Rulebreakers sind die Narren von heute. Ihre freie, unabhängige Haltung wird bewundert, sie ist hip und interessant, verursacht aber auch schmerzliche Erfahrungen, denn für Rulemakers sind sie eine Provokation. Rulebreakers gehören nicht zur «guten Gesellschaft», keine Zürcher Zunft würde Schawinski wohl in ihren Reihen aufnehmen, der gutbürgerliche Golfklub vom Zürichberg lehnt ihn als Mitglied rundweg ab, er hat auch kaum Chancen auf einen Verwaltungsratssitz. Und hat man Erfolg, ist auch der Neid nicht weit. Man sagt Schawinski nach, er sei der einzige Journalist, der reich geworden sei und vergisst dabei, dass er nicht nur Journalist, sondern auch risikofreudiger Unternehmer und Arbeitgeber ist. Viele der heute bekannten Journalistinnen und Journalisten, Moderatorinnen und Moderatoren haben einen Teil ihrer Lehrzeit in seiner Küche absolviert.
Schawinskis Buch über seine «Methode» liest sich zügig, leicht und anregend. Die Rezepte sind nicht nur für seine jungen Kolleginnen und Kollegen interessant, interessierte Nutzer von Radio und Fernsehen bekommen ebenso Einblicke in die Medienwelt. Und schliesslich lernen wir Roger Schawinski als eine streitbare Persönlichkeit kennen, – von den einen gehasst, von den andern bewundert. Selbstbewusst erzählt er von seinen Höhen und Tiefen, und immer wieder steht er auf, behauptet sich und macht weiter.
Beitragsbild: SRF Archivbild
Roger Schawinski, Die Schawinski-Methode. Erfolgsrezepte eines Pioniers. 191 S.,
NZZ Libro 2020. ISBN 978-3-03810-491-9