StartseiteMagazinKulturEin Leben zwischen Liebe und Tod

Ein Leben zwischen Liebe und Tod

In meinem Bücherregal wiedergefunden: «Niels Lyhne» des Dänen Jens Peter Jacobsen, ein Roman aus dem 19. Jahrhundert, nicht verstaubt, sondern zum Nachdenken anregend.

«Er zeigte ihr die Bilder der Maler und die Gedichte derer, denen er auf seinen Wanderungen begegnet war, die Liebe machte ihn poetisch, die Gegend gewann an Reizen, die Wolken wurden zu den Wolken, die durch die Gedichte zogen, und die Bäume trugen das Laub, das in den Bäumen so wehmütig rauschte», das lesen wir auf den ersten Seiten des Romans, als sich Niels› Eltern kennenlernen. Der Roman spielt teils in der ländlichen Idylle Norddänemarks und teils in Kopenhagen, der Hauptstadt der gebildeten und modernen Bürger. Es sind gepflegte Intérieurs, in denen sich Niels, seine Verwandten und Freunde bewegen. Gewiss würde uns vieles heute museal erscheinen – aber wer möchte Grossmutters Canapé und dem schweren Eichentisch gediegene Eleganz absprechen. Von den Äusserlichkeiten in diesem Buch sollten wir uns nicht täuschen lassen, der Autor spricht Themen an, die uns heute noch umtreiben.

Jens Peter Jacobsen, geboren 1847, hatte Botanik studiert und war wissenschaftlich gesehen auf der Höhe der Zeit: Er übersetzte Charles Darwins Entstehung der Arten ins Dänische und leistete damit Pionierarbeit. Die Evolutionstheorie revolutionierte die Vorstellungen über die Entstehung aller Lebewesen einschliesslich des Menschen. Darwins Theorie beeinflusste nicht nur das naturwissenschaftliche Denken, sondern ebenso die Gottesvorstellung: Jacobsen gab zugunsten des Atheismus den althergebrachten Glauben auf, was sich auch in diesem Roman niederschlägt.

Vom Wissenschaftler zum Dichter

Lange Jahre litt Jacobsen unter Tuberkulose, weshalb er nicht als Wissenschaftler arbeiten konnte, sondern Dichter und Schriftsteller wurde. – Schon zu Lebzeiten, vor allem aber um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde er für seinen ausgefeilten Stil, die feine Darstellung der Personen und Landschaften hoch geschätzt. Seine Gedichte wurden von Arnold Schönberg vertont, der englische Komponist Frederick Delius schuf eine Oper auf der Grundlage einiger Kapitel aus Niels Lyhne. Dichter, die im fin de siècle ihre Kunst entwickelten, Rilke, Stefan George, Thomas Mann, wurden von Jacobsen beeinflusst. 1880 erschien der Roman Niels Lyhne, 1885 starb Jens Peter Jacobsen an seinem Leiden.

In Niels› Jugendzeit wohnt Edele, eine jugendliche Schwester seines Vaters, bei ihnen und Niels bewundert sie, ja verliebt sich in sie, was Jacobsen mit Farben zum Ausdruck bringt: Sonnenflecken auf Edeles weissem Kleid, «die Glut ihrer tiefroten Lippen und ihr bernsteinblondes Haar und ringsum ein Spiel in hundert anderen Farben.» Wunderbar, wie Edele den schüchternen Jungen bittet, Kornblumen zu pflücken – sie spielt mit seiner Hingabe. Edele liegt jedoch bald im Sterben, Niels betet inbrünstig, dass Gott sie heilen möge – aber sie stirbt. Da verliert Niels in jugendlichem Trotz «seinen Märchenglauben» an Gott.

Vom behüteten Landsitz in die Welt der Künste

Später kommt er zu seinem Freund Erik nach Kopenhagen, um zu studieren, und lernt dort Frau Boye, eine junge Witwe, kennen. Diese führt eine Art Salon, diskutiert mit den jungen Leuten über Literatur und Kunst. Für Niels erhält die Welt «ein ganz anderes Gesicht», er sieht sie nun «ohne Nebelschleier». Und zwischen ihm und Frau Boye entwickelt sich eine Liebesbeziehung, die in seiner Familie nicht gern gesehen wird. Aber Niels spürt, wie er durch sie seinem Herzenswunsch, Dichter zu werden, näherkommt.

Später stirbt Niels› Vater plötzlich, anschliessend wird seine Mutter sehr krank. Zu ihrer Erholung begleitet Niels sie in den Süden. Statt nach Italien kommen sie nur bis an den Genfer See. Dort stirbt die Mutter nach ein paar Monaten. Als Niels zurückkommt, vernimmt er, dass Frau Boye sich ganz konventionell verlobt hat – worüber er zutiefst enttäuscht ist. Er lässt sein Leben verstreichen, ohne ernsthaft Dichter zu werden. Das gilt ebenso für Erik, der nach einem langen Italienaufenthalt statt Bildhauer nun Maler von kleinen, stets ähnlichen Bildern wird. – Ihr Streben nach «grosser Kunst» versandet im Gewöhnlichen.

Jens Peter Jacobsen (Foto circa 1879 entstanden, im Museum seiner Heimatstadt Thistedt)

Das dramatischste Kapitel des Romans ist eine Dreiecksbeziehung. Erik begleitet Niels zu dessen Tante. Dort verlieben sich beide in Fennimore. Es ist eher Zufall, dass Erik die junge Frau heiratet und Niels der gute Freund bleibt. Doch bald wird das Eheleben langweilig, und es beginnt eine leidenschaftliche Affäre zwischen Niels und Fennimore, die buchstäblich in einer Katastrophe endet. Mit grosser Kunst beschreibt Jacobsen die Szene: Die junge Frau trägt – ganz unpassend für einen gewöhnlichen Tag – ein schwarzes Seidenkleid mit vielen Garnituren und läuft unruhig hin und her, möchte gar tanzen. Nichts deutet auf den kommenden Schock. Wie diese Episode ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Jacobsen erzählt nüchtern und sehr detailliert, wir folgen der Szene atemlos. Zugleich wirken seine Beschreibungen der Situation und der Gefühle wie ein ausdrucksvolles Gemälde. – Für diesen stimmungsvollen Stil, vergleichbar einem impressionistischen Gemälde, wurde der Dichter zu Lebzeiten und später sehr bewundert.

Rückbesinnung aufs Wesentliche

Niels kehrt auf sein Landgut zurück und bewirtschaftet es, «so weit sein Verwalter ihm freie Hand liess». Er heiratet schliesslich eine junge Frau aus der Gegend und hat einen Sohn mit ihr. Nun kommt das Thema, christlicher Glaube oder Atheismus noch einmal intensiv zur Sprache. Seine Frau, die ihn für seine Ideen sehr bewundert, wandelt sich zur fanatischen Atheistin, bis sie auf dem Sterbebett doch den Pfarrer wünscht. Niels stirbt später im dänisch-preussischen Krieg 1864 an einer Schussverletzung. Ein guter Freund, ein Arzt, sagt im Selbstgespräch: «Wenn ich Gott wäre, würde ich weit eher den selig machen, der in seiner letzten Stunde sich nicht bekehrt.»

Nun mag es scheinen, Niels Lyhne sei ein bedrückender Roman, schwer belastet von den zahlreichen Unglücksfällen. Dem ist nicht so. In seiner gelassenen Art schreibt Jacobsen über das, was das Leben zusammenhält: Liebe und Tod. Nur ein leichter melancholischer Schleier legt sich an manchen Stellen über den Text. Wer das Buch gelesen hat, fühlt sich vielleicht angeregt, darüber nachzudenken, was uns Gott oder Religiosität heute bedeuten.

Jens Peter Jacobsen, Niels Lyhne. Roman. Übersetzung von Mathilde Mann. 180 Seiten.
ISBN 978-3-8430-2846-2
Hier erhältlich

Titelbild: Jens Peter Jacobsen. Ausschnitt aus einer Fotografie, entstanden ca. 1882/83 (im Besitz der norwegischen Nationalbibliothek)

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