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Diktatorengattinnen unter sich

«Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel» spielt sprachgewandt mit verharmlosten Schrecken und narzisstischer Selbstdarstellung im Berner Theater an der Effingerstrasse.

«Theater ist das erhabene Sinnbild des Lebens», lässt Richard Strauss in Capriccio die Gräfin singen. Im letzten Schauspiel dieser Spielzeit des Theaters an der Effingerstrasse erlebt man, wie die Autorin Theresia Walser diese Metapher zeitgemäss zu ersetzen scheint durch «Theater ist das spielerisch-sarkastische Spiegelbild unserer Zeit». Was für ein aufschäumender, mal realistischer, dann wieder persiflierender, ironischer und häufig sogar absurder Cocktail von Worten und Sätzen! Manchmal im Dialog gleichsam im Handumdrehen von Sinn in Widersinn umgestülpt; Selbstverliebtheit wie Geltungssucht zur Selbstverständlichkeit zurechtgeredet. Auch der verbreitete Schrecken, die Morde und Folterungen, die Unterdrückung und die Korruption scheinen wie zu einer eleganten Weltgeläufigkeit zu pervertieren, hört man diesen drei Diktatorenwitwen zu.

Von links: Kornelia Lüdorff (Frau Margot), Nicola Trub (Frau Imelda) Gabriele Fischer (Frau Leila)

Selbstverständlich sprechen alle auf der Bühne Deutsch. Trotzdem gibt es den Dolmetscher Gottfried (Jeroen Engelsman), der die Aussagen der einen für die anderen zwei übersetzt. Geniale dramaturgische Idee mit viel echt komödiengerechtem Potential! Einmal übersetzt er bewusst falsch, dann wieder skurril verdreht, und oft überträgt er vor lauter Verlegenheit eine

schon viel frühere Aussage statt eines unbequemen momentan gesprochenen Satzes. Dabei besteht die witzige Wirkung gerade darin, dass im Zuschauerraum alle sowohl das Gesprochene als auch das verdreht Wiederholte genau verstehen – ein spielerisch witziges Spiegelbild, geistreich, intelligent.

Die einzige nur nach und nach auftauende Introvertierte ist Frau Margot (Kornelia Lüdorff). Ihre Figur ist die am leichtesten erkennbare, und ihre Persönlichkeit ist auch entsprechend charakterisiert. Deutsche Gründlichkeit und DDR-Pathos lassen grüssen. Frau Imelda (Nicola Trub) ist zwar auch klar zuzuordnen, doch bei ihr kommt schon viel anekdotisches Beiwerk zum Tragen. Sie hat in ihrer Jugend einmal die Nora von Ibsen gespielt und stellt nach langem Hin und Her Palavern fest, eigentlich möchte sie im geplanten Film sich selber darstellen. Sie lebte und wirkte auf den Philippinen. Frau Leila (Gabriele Fischer) verkörpert eine Art Montage von diversen Diktatorengattinnen der arabischen Welt. Zu ihrer besonderen Charakteristik gehören ihr Studium der Französischen Literatur und ihre Liebe für Gedichte und das Dichten. Deshalb zitiert sie auch ein Gedicht, dessen letzte Zeile mindestens von Gaddafi stammt: «Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel».

Dieser Satz wiederum ist sozusagen die verdichtete Kurzformel für das, was eigentlich den sozusagen imaginären, hintergründigen Raum dieses Stücks ausmacht. Der Drang nämlich aller jener, die das Volk eigentlich verachten, dennoch dazu zu gehören, nicht einsam sein zu müssen, nicht nur Häme zu erleiden, sondern auch eines winzigen Teils von Bewunderung sich erfreuen zu dürfen. Das gilt nicht nur für gehasste Diktatoren, das könnte durchaus ebenso für selbsternannte Experten und sonstwie Elitäre oder auch schlichte Besserwisser zutreffen.

Stefan Meier inszeniert das 2013 uraufgeführte Meisterstück der deutschen Autorin Theresia Walser, die in Bern die Schauspielausbildung absolviert hat, im von Peter Aeschbacher gestalteten Spielraum. Mit den museal anmutenden Schaukästen, Knochenteile enthaltend, lässt dieser hin und wieder Verknüpfungen mit den vereinzelten Gesprächshinweisen auf Gräueltaten zu und schafft im übrigen eine dezent mit sparsamen Lichteffekten belebte kalte Wartzimmer-Atmosphäre.

Der Regisseur verwirklicht mit den drei Frauen eine spannende Distanz der Persönlichkeiten zueinander. Sie zeigt sich in den Dialogen wie in der Gestik und im ganzen szenischen Verhalten. Damit übereinstimmend, den Effekt sogar verstärkend, wirken die Kostüme von Sybille Welti. Nicht nur die charakteristische Frisur der Margot Honecker, sondern auch deren schlichte Arbeiter-Bauern-Kleidung ist so herausfordernd wirksam wie der füllig aufgeplusterte Rock der Imelda Marcos, der den oft zitierten kugelsicheren BH ahnen lässt, während die arabische Leila geschickt nicht nur mit ihrem Schleier leise die Stimmung von Tausendundeiner Nacht beschwört. Der Dolmetscher als einem Hofnarren nachempfundene Kontrastfigur wird im Verlauf der dramatischen Entwicklung vom mutwilligen Wortverdreher zum zunehmend persönlich Mitbetroffenen.

Kornelia Lüdorff, Nicola Trub, Gabriele Fischer und Jeroen Engelsman (Dolmetscher Gottfried) – auch Beitragsbild.

Dass DAS THEATER an der Effingerstrasse mit dieser hervorragenden Produktion den Corona-Stillstand abschliessen und sich damit für diese Spielzeit von seinem Publikum verabschieden darf, ist höchst erfreulich. Nicht vergessen darf man, dass seit Freitag, 12. Juni die 2. Folge der Videoproduktion Business Class (Martin Suter) jederzeit online anzuschauen ist; sie dauert wiederum ungefähr 30 Minuten. Die Premiere der 3. Folge findet am Freitag, 26. Juni statt.

Alle Bilder: © Severin Nowacki
Aufführungen bis 11. Juli 2020.

DAS THEATER an der Effingerstrasse
Zur Folge 2 von Business Class
Theresia Walser

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