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Die Faszination der verlassenen Orte

Dieses Jahr werden wir die Ferien in der Nähe verbringen. An Zielen sozusagen in walking distance, also fast zu Fuss erreichbar. Trotzdem wollen wir Neues, am liebsten Ausgefallenes entdecken. Peter Faesi, ehemaliger FHS-Dozent in St. Gallen, erkundet Orte, die einmal belebt und bewohnt waren und jetzt am Verfallen sind. Und ist begeistert davon.

Seniorweb: Letzten Sonntag widmete Ihnen die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera einen grossen, bebilderten Text. Er nannte Sie den «Touristen der verlassenen Orte». Sind Sie das?

Peter Faesi: Oh ja, diese Bezeichnung ist durchaus zutreffend! Schliesslich habe ich mit Freunden zusammen zuerst alle aufgegebenen Bergwerke in der Schweiz und Österreich erkundet, dann die ehemaligen Festungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Italien und Frankreich. Weil aber die Bergwerke inzwischen verfallen und die Festungen für Senioren einfach zu weit entfernt sind, habe ich mich auf die Suche nach den sogenannten «lost places» gemacht.

Was zieht Sie an diese verlassenen Orte?

Die Initialzündung war, ehrlich gesagt, ein Besuch in Versailles: Hunderttausende von Touristen, Millionen von gezückten Handys, eine Menschenmenge, die es einem verunmöglichte, die Säle zu besichtigen. Seit dieser – übrigens grauenhaften – Erfahrung suche ich vermehrt Orte auf, die keiner kennt, die in keinem Führer und oft auch auf keiner Karte verzeichnet sind. Die Suche nach solchen Orten, v.a. im Internet, ist so aufwendig und spannend wie der Besuch selbst. Im Prinzip verrät einem nämlich niemand so ein verlassenes Kinderheim, ein abgelegenes Sanatorium, ein aufgegebenes Hotel. Am besten funktioniert’s wie beim Briefmarkentauschen: Ich gebe dir das Ex-Hotel Prealpi, du gibst mir das Asilo Infantile.

Peter Faesi hat Bergwerke und ehemalige Festungen erkundet.

Unterstehen die Orte, die Sie besuchen, dem Denkmalschutz? Oder sind sie einfach vergessen?

Diese Orte sind nicht denkmalgeschützt, die Besitzer haben sie skrupellos aufgegeben, einerseits weil sie als Hotels zu abgelegen lagen, andererseits, weil in Italien mit der Legge Battaglia 1978 alle Sanatorien für psychisch Kranke geschlossen wurden. In der Regel sind nicht einmal Verbotsschilder angebracht! Die Schweiz ist zu dicht besiedelt, als dass man hier solche Orte finden würden; in den italienischen Tälern verfallen sie einfach vor sich hin.

Der Besuch verlassener Orte braucht gute Vorbereitung und zweckmässige Ausrüstung.

Sie stossen sicher auf einstürzende Häuser, kaputte Treppen, hängende Kabel, Glasscherben überall. Worauf ist zu achten, lässt man sich von Ihrer Begeisterung anstecken und will selber solche Orte erkunden?

Nie würde ich solche Anlagen allein betreten! Wir sind immer eine Gruppe, meist sind es ehemalige Studentinnen und Studenten, die mich begleiten, alles junge, kräftige Leute, die einen problemlos retten würden. Wir tragen immer Trekkingschuhe, Handschuhe und Helm; wichtig sind gute Taschenlampen, nicht nur eine pro Person! So kann ich beruhigt sagen, dass nie das Geringste passiert ist.

Auf Ihrer Website www.stollentour.ch publizieren Sie zahlreiche Berichte. Das Tessin und Oberitalien scheinen sie besonders anzuziehen. Wieso?

Seit meiner Jugend verbringe ich die meisten Ferien im Tessin, wo die Stollentour GH Schweiz inzwischen auch über eine kleine Wohnung, das sog. KP Süd, verfügt. Seit Jahrzehnten bin ich auch am Italienisch-Lernen, und das ist zwingend nötig; nur so kommt man in Italien an die nötigen Informationen.

Was sind Ihre Pläne für diesen Sommer?

Bis jetzt waren wir wegen der geschlossenen Grenzen eingeschränkt. Im Herbst planen wir eine Exkursion ins Veltlin, wo wir ein riesiges Sanatorium erkunden möchten.

Haben Sie schon einmal ein Fotobuch herausgegeben oder planen Sie eines?

Nein, da gibt es schon zahlreiche, da braucht es mich nicht. Allerdings kann man meine Entdeckungen regelmässig in der «Tessiner Zeitung» lesen, der einzigen deutschsprachigen Zeitung im Südkanton.

In Consonno bei Lecco entstand eine Geisterstadt, die am Zerfallen ist. (Fotos: zvg)

Gibt es Orte, die Sie unseren Leserinnen und Lesern empfehlen könnten und die einfach zu erreichen sind?

Im Prinzip verrät, wie gesagt, keiner seine Funde, er hütet sie wie seine intimsten Geheimnisse! Einen Ort allerdings gibt es, der inzwischen allgemein bekannt ist, das ist Consonno südlich von Lecco. Hier entstand 1962 eine Vergnügungsstadt, die Las Vegas übertrumpfen sollte. In kurzer Zeit wurden im absoluten Niemandsland Ladenstrassen, Hotels, Tanzlokale, Spielhallen erbaut, alles in einem architektonischen Durcheinander, das seinesgleichen sucht. Sogar ein Minarett krönt die monströse Anlage. Äusserst kurz jedoch war die Blütezeit dieses Grössenwahnsinns: Durch eine Reihe von Erdrutschen auf der Zufahrtsstrasse zerfiel Consonno und geriet schnell in Vergessenheit. Aktuell steht die gesamte Anlage für rund 12 Millionen Euro zum Verkauf. Von einem Kauf möchte ich allerdings abraten. Am nächsten an der Schweizer Grenze, eben in «walking distance», liegt das Istituto Luraschi – aber dazu müssen Sie die Nachforschungen leider selber übernehmen!

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