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Der Solidaritätsgedanke

Solidarität liegt – gerade in jüngerer Zeit –  in aller Munde, der Begriff wird aber arg strapaziert und oft  recht willkürlich ausgelegt. Es lohnt sich, den Begriff historisch wieder einmal zu reflektieren und zu fragen, wo und wie wir aufgrund aktueller Herausforderungen einen Konsens finden könnten.

Solidarität wird definiert als unbedingtes Zusammenhalten aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele. Der Begriff wird gleichgesetzt mit gegenseitiger Hilfsbereitschaft und der Förderung eines Gemeinschaftssinns, welche u.a. das Loyalitätsprinzip und den Wunsch nach Gerechtigkeit anstreben sollten. Die Wortherkunft lässt an Synonyme wie solid, zuverlässig, widerstandsfähig, anständig und moralisch einwandfrei erinnern. Wahrhaft hehre Ziele. 

Wie weit sind wir inzwischen davon entfernt? Hass und Zwietracht werden gesät. Die Welt scheint aus den Fugen. Andersdenkende werden niedergeschrieen, die USA stehen im Wahlkampf, durch alle sozialen Schichten tief gespalten, vor einer Zerreissprobe. Potentaten in Ost und West krallen sich an ihre Macht und knüppeln Demonstrierende nieder, ob in Hongkong, Weissrussland oder Amerika ist einerlei. Russland lässt – sicher mit dem Segen der Obrigkeit – den einflussreichen Oppositionellen Nawalny vergiften. 

In milderer Form versammeln  sich Verschwörungstheoretiker, Corona-Lügner und Impfgegner in Europas Hauptstädten, aber auch in Genf, Bern und Zürich, um ihrem Unmut gegen die gesellschaftlichen Einschränkungen Luft zu machen. Daniel Koch, der inzwischen pensionierte Mr. Corona des BAG, muss als Gast bei Pfarrer Sigrist im Grossmünster reissaus nehmen, weil er von Fanatikern niedergeschrieen wird. Er ist skeptisch, dass vor 2022 risikofreie Grossveranstaltungen möglich sind, denn ein wirksamer Impfstoff sei frühestens dannzumal wirksam. Das hört natürlich niemand gerne, verdrängen ist allemal bequemer.

Die Verunsicherung ist begreiflich, doch die Sorglosigkeit im Umgang mit den Schutz-Auflagen des Bundes und der Kantone und die besorgniserregende Zunahme der Fallzahlen sind Warnsignale, welche auch die jüngere Generation nolens volens zur Kenntnis nehmen sollte. Die dringend gewünschte Solidarität bedingt Entbehrungen und kostet so oder so:  die Wirtschaft, welche einen zweiten Lockdown unter allen Umständen vermeiden will, die Arbeitnehmenden, welche Entlassungen in steigendem Masse  befürchten, die Kulturinstitute und Sportstätten, die vor gravierende Existenzprobleme gestellt sind, und das freiheitsliebende Fussvolk, dem die eigene Party oft lieber ist als der Schutz der altersbedingten Risikogruppen. 

Weshalb wäre Solidarität so wichtig? Weil die Hilfe für Bedürftige und Schwächere unabdingbare Grundwerte unserer Demokratie implizieren. Wer sie missachtet, gefährdet auch die Errungenschaften eines friedlichen Miteinanders auf allen Ebenen. 

Der Soziologe Alfred Vierkandt definierte Solidarität 1928 folgendermaßen: „Solidarität ist die Gesinnung einer Gemeinschaft mit starker innerer Verbundenheit“. Und: „Solidarität ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das praktisch werden kann und soll.“

„Vorwärts, und nicht vergessen, / worin uns’re Stärke besteht! / Beim Hungern und beim Essen, / vorwärts und nicht vergessen / die Solidarität!“ dichtete Bertolt Brecht um 1929  im Refrain seines Solidaritätsliedes.

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas dazu: „Wer sich solidarisch verhält, nimmt im Vertrauen darauf, dass sich der andere in ähnlichen Situationen ebenso verhalten wird, im langfristigen Eigeninteresse Nachteile in Kauf.“ 

Bundespräsident Richard von Weizsäcker formulierte es 1986 in «Fortschritt  und Menschenrechte» wie folgt: «Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein.» Der lauthals geäusserte Protest der Strasse weiss es besser: Statt einem Generationenvertrag das Wort zu reden, der Rechte und Pflichten solidarisch wahrnähme, zeigt der Egoismus verantwortungsloser Kreise in die andere Richtung: «Ihr könnt uns alle!» Der Bund ist gefordert, das Heft wieder in die eigene Hand zu nehmen, denn die verlangte Eigenverantwortung ist leider Wunschtraum geblieben.

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2 Kommentare

  1. Es ist gut, dass Joseph Auchter mehr Gemeinschaftssinn und mehr Solidarität fordert. Ich schätze, dass die allermeisten Leserinnen und Leser gleich denken wie er. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass fehlende Solidarität immer wieder zu gesellschaftlichen Problemen und zu ernsten Konflikten führte. Weshalb? Verstand und Vernunft sprechen doch klar dafür, dass das Leben in einer soldidarischen Gesellschaft friedlicher wäre. Sind wir zu dumm für ein friedliches Miteinander? Frank Urbaniok bringt es auf den Punkt: «Darwin schlägt Kant». Verstand und Vernunft – von Kant hochgepriesen – ermöglichen uns Menschen eine gewisse Kontrolle über unsere Triebe, Instinkte und Emotionen. Aber seit Darwin wissen wir: Triebe, Instinkte und Emotionen sind bei uns sehr ähnlich wie jene der höher entwickelten Säugetiere. Seit 2010 wissen wir, dass 98% unseres Erbgutes identisch ist mit jenem der Bonobo Schimpansen. Dem kleinen genetischen Unterschied von 2% verdanken wir zwar die herausragenden kognitiven Leistungen von Kultur, Bildung und Wissenschaft. Aber die von Joseph Auchter angeführten Beispiele zeigen, dass Verstand und Vernunft leider (zu) oft an Grenzen stossen. Wenn bei den US Wahlen zu viele Amerikaner wie 2016 nach dem «Bauchgefühl» und dem instinktiven Bedürfnis nach dem «genialsten Präsidenten und grossartigsten Dealmaker » (Zitat Donald Trump) entscheiden, dann haben Intelligenz, Vernunft, Verstand, Verantwortungsgefühl, zwischenmenschlicher Respekt, Anstand und Solidarität einmal mehr das Nachsehen.

  2. Besten Dank für die interessanten Gedanken. Nur die Umsetzung des Gemeinschaftssinnes und der Solidarität ist schwierig und verlangt von den Menschen viel Arbeit an sich selbst. Und das ist in der heutigen Spassgesellschaft eher spärlich zu finden. Aber es gibt sie, wie obiges Beispiel zeigt. Ich lese solche Gedanken gerne, das ermutigt.

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