Über den Umgang mit dementen Menschen: Ein Gespräch mit Dr. Gabriela Bieri-Brüning, Chefärztin des Geriatrischen Dienstes und ärztliche Direktorin der Pflegezentren der Stadt Zürich.
Am Rande der Tagung des CAS Gerontologie der Universität Zürich gab Frau Dr. Gabriela Bieri-Brüning zum Thema «Somatisch verursachte Erkrankungen – Fokus Demenz» Auskunft zu folgenden Fragen:
Frau Dr. Gabriela Bieri-Brüning, wie viele Patienten werden in den Zentren betreut und wie viele Angestellte arbeiten mit?
Gabriela Bieri-Brüning: Betreut werden bei uns ca. 1600 Patientinnen und Patienten. Zusätzlich gibt es noch zwei Ambulatorien, die Memory Clinic und die Gerontologische Beratungsstelle SiL. Insgesamt haben wir ca. 2500 Mitarbeitende. Direkt führe ich rund 40 Ärztinnen und Ärzte und das Team der Memory Clinic und der Gerontologischen Beratungsstelle.
Wie führen Sie?
Ich glaube nicht, dass ich einen bestimmten Führungsstil habe. Ich kenne meine Mitarbeitenden in der Regel recht gut, viele sind schon jahrelang dabei und ich weiss meistens schon, wer was wie braucht. Es ist demzufolge sehr unterschiedlich, wie ich führe. Bei dem einen muss man klar und konsequent sagen, wie man etwas haben will und man muss es allenfalls überprüfen. Anderen muss man gelegentlich eher empfehlen, dass sie sich genügend erholen und weniger arbeiten. Das ist sehr individuell. Bei der Führung von Ärzten ist zudem wichtig, dass man eine Ahnung hat vom Fachgebiet. Ärzte akzeptieren ungern Führungskräfte, die keinen ärztlichen Hintergrund haben. Es braucht fachliche Voraussetzungen, damit man von Ärzten als Führungskraft akzeptiert wird.
Was erwarten Sie von den Mitarbeitenden?
Ich erwarte, dass alle unsere Mitarbeitenden sehr bemüht sind, für unsere Bewohnerinnen und Bewohner einen guten Service zu bieten, unabhängig davon, in welchem Bereich sie tätig sind, sei es in der pflegerischen oder medizinischen Betreuung, der Küche usw.
Was erwarten Sie von den Patientinnen und Patienten?
Das weiss ich auch nicht, es kommt ja niemand freiwillig zu uns – ja, was erwarte ich von ihnen? Huh! Eigentlich nichts. Ich glaube nicht, dass ich etwas von ihnen erwarten muss. Sie haben gewisse Erwartungen an uns und denen müssen wir gerecht werden.
Wie integrieren Sie Angehörige und Freiwillig Mitarbeitende in die Betreuungsarbeit?
Das sind zwei verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Aufgaben: Angehörige sind selbstverständlich eingeladen, wenn nicht gerade Covid-Zeit ist, einen bestimmten Teil der Betreuung zu übernehmen. Aber wir brauchen die Angehörigen vor allem, um mit ihnen im Gespräch herauszufinden, was wichtig ist für betroffene Patient*innen für den Fall, dass sie es nicht mehr selbst sagen können. Angehörige sind uns sehr wichtig als Vertretungspersonen für Menschen mit Demenz.
Freiwillig Mitarbeitende haben ganz andere, vielfältige Aufgaben: Da gibt es solche, die helfen, dass man in den Gottesdienst gehen kann, andere begleiten zum Arztbesuch, wenn keine Angehörigen da sind. Wir haben für Palliative Care-Situationen Nacht- und Krisenbegleitung und Freiwillige, die beispielsweise Sterbende begleiten. Da gibt es ein ganz grosses Spektrum an Formen freiwilliger Mitarbeit.
Im «Wegweiser für gute Betreuung im Alter»* wird gute Betreuung so umschrieben: «Gute Betreuung definiert sich als sorgende Beziehung und als unterstützendes Handeln. Dieses orientiert sich an der Lebensgeschichte, der Lebenssituation, den Bedürfnissen und dem Wohlbefinden der betagten Person.» Haben professionell Pflegende überhaupt Zeit, diesem hohen Anspruch zu genügen. Braucht es dazu nicht vor allem freiwillig Betreuende, die mehr Zeit haben für die Beziehungspflege mit den Patient*innen.
Ich glaube, die Hauptaufgabe der Pflege ist der Beziehungsaufbau. Daneben braucht es natürlich Unterstützung beim Essen, beim Waschen usw. und ich möchte dies auf keinen Fall den Freiwilligen übergeben. Das ist wirklich eines der Kerngeschäfte der Pflege. Beziehung ist alles!
Was empfehlen Sie zur Reduktion der wachsenden Gesundheitskosten?
Wir müssen hier zwei Punkte unterscheiden: Wir müssten gesamthaft gesehen eine vernünftigere Finanzierung haben. Es geht nicht, dass jeder nur schaut, dass er in seinem Bereich möglichst wenig Kosten hat. Man müsste die Gesamtkosten im Blick haben. Was zahlt der Kanton, die Gemeinde, die Krankenkasse, was der Patient selbst. Es ist wichtig, dies als Gesamtes zu sehen. Es gibt beispielsweise den Fall, dass es günstiger ist, wenn jemand zuhause betreut wird, aber die Krankenkasse findet, Person X soll ins Heim, weil dies ab einem gewissen Pflegebedarf für die Krankenkasse günstiger ist. Aber insgesamt, vor allem wenn die Person das will, wäre eine Betreuung zuhause billiger. Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist, dass heute noch viele Patient*innen hospitalisiert, operiert und behandelt werden, die das gar nicht mehr wollen und ich würde es sinnvoll finden, dass man mit allen im Voraus bespricht, was sie an medizinischer Behandlung überhaupt noch wollen. Ich habe das Gefühl, das könnte ganz viele unnötige Hospitalisationen und Operationen, die ja etwas kosten, verhindern.
Würden Sie demzufolge aufrufen zu einer Patientenverfügung?
Ich bin nicht so Fan von einer Patientenverfügung. Ich halte mehr von einer vorausschauenden Behandlungsplanung, dem sogenannten Advance Care Planning, das ist prozesshafter. Man bespricht dabei im Behandlungsteam und mit der Familie, was die jeweils passenden Massnahmen während eines Krankheitsverlaufs sind. Ich bin überzeugt, dass man so etwas Gutes macht, dabei auch Kosten einschränkt, ohne dass die Behandlungsqualität abnimmt.