StartseiteMagazinKulturKálmán-Operette mit der Brechstange

Kálmán-Operette mit der Brechstange

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Nach der Godunow-Begeisterung die grosse Ernüchterung: taumelnde Lautstärke in Emmerich Kálmáns walzertrunkener Operette „Die Csárdásfürstin“. Aufwand und Ertrag in verstörendem Zwielicht.

Groteske Szenerie: 900 Masken im Zuschauerraum des Opernhauses, aber leider kein Wiener Fasching, sondern Corona-Tristesse im Zwingli-Zürich. Statt ein Pausen-Süppli und ein Cüpli zwei Stunden Apokalypse non-stop und Schiffbruch in der Antarktis. Und dann dieser Liebestaumel aus der „silbernen Operettenära“, 1915 während des Ersten Weltkriegs in Wien aus der Taufe gehoben, ein Abgesang auf die dekadente „haute  volée“ aus der Donau-Monarchie. 

Alles war von langer Hand geplant und musste unmittelbar vor dem Lockdown sistiert und die Premiere jetzt nachgeholt werden. Dennoch sei die Frage erlaubt, ob Konzessionen an den Publikumsgeschmack unbedingt bis in die Niederungen des selbstverliebten Machismo gehen müssen. Denn das Libretto ist unsäglich, Satz für Satz testosteron-getrieben und billigster Männerklamauk: „Das Grossstadtpflaster / hat uns verführt zum Laster / Alle sind wir Sünder / und freun uns wie die Kinder / auf jedes neue Maderl im Programm…“ zwitschern die steinreichen, lüsternen Herren auf ihrer protzigen Himmelsyacht (Bühnenbild: Franziska Bornkamm).

Die Mädis, die Mädis, sie nehmen die Liebe nicht so tragisch, drum locken die Mädis uns Männer stets an so magisch.“ 

Edwin ist zwar zu einer Zeit mit Stasi verheiratet, als die Abkürzung noch nicht für die Staatssicherheit der DDR stand. Aber da ist ja noch die fesche Variété-Sängerin Sylva Varescu, nach der ihm etwas Abwechslung steht. Ein abendfüllender Grund, zwischen Eifersuchtsszenen und Hochzeitsgelübde im Südsee-Ambiente zu pendeln und herzergreifende Liebesschwüre in den Äther zu schicken. Lebemann Boni trälllert dazu: „Selten gehen Grafen / vor drei Uhr morgens schlafen / drum wälz’ ich mich im Sündenpfuhl. / In dem Reich der Schminke / vergnüglich ich versinke.“

Annette Dasch als Sylva Varescu in ihrer furiosen Varieté-Nummer / Fotos © Toni Suter

Der Regisseur, Jan Philipp Gloger, ahnte schon, was ihm schwante, bevor er die Inszenierung übernahm. Sein Rettungsversuch, den dekadenten Mix in unsere Zeit zu übertragen, wirkt aber ungemein überladen und steht meistens quer zum Text. Da gibt es exotische, maskenbewehrte Palmwedeltänze für das Touristenpack, ein Unterwasser-Ballett mit Plastiktüten sonder Zahl, und die Schutz suchende Tierwelt der Antarktis (inklusive Giraffen und Zebras), die darauf hofft, eine Arche Noah vor sich zu haben, geht am Wohlstandsmüll elendiglich zugrunde. Seht her, wie aktuell Operette sein kann? Der moralische Fingerzeig kommt leider mit Brachialgewalt daher, sogar die Marsmännchen sind ob der klebrigen Walzersauce sprachlos.

Während die Zuspielung von Chor und Orchester aus dem Probesaal auch im „Boris Godunow“ akustisch nicht restlos zufrieden stellte, waren es nun bei Kálmán eruptive Klangkaskaden, welche als unzumutbar empfunden wurden. Die Choristen (Einstudierung: Janko Kostelic) sangen sich ein ums andere Mal ihre Seelen aus dem Leib, und die Bläser der Philharmonia Zürich schienen sie noch übertrumpfen zu wollen. Der Einspringer Lorenzo Viotti am Pult ist für das Resultat sicher nicht verantwortlich zu machen. Was ging da schief?

Hoffnung aufs Jenseits? Die Yacht und die Menschheit stehen am Abgrund

Die Tonmeister sind sicher hervorragende Techniker und Tüftler, aber in dieser Übertragung haben sie übermarcht. Natürlich mussten nun auch die Solisten Gas geben, um in den Klangwogen nicht zu ertrinken. Das war deshalb jammerschade, weil die Besetzung ohne Fehl und Tadel sang. Allen voran die Bravourösen Pavol Breslik als zeuselnder Edwin und Annette Dasch in der Titelpartie. Aber auch die Bohemiens Martin Zysset und Spencer Lang und Rebecca Olvera als Stasi gefielen gesanglich wie darstellerisch rollendeckend. Es ist aber gut möglich, dass die Erfahrungen der Premiere zu Klangkorrekturen führen werden, damit Ihnen dann die lehrreiche Botschaft nicht entgeht: „So oft sich ändert das Programm / verändert man sein Herz auch stramm / und nimmt sich, nimmt sich, nimmt sich eine Neue.“ Alles klar?

Weitere Vorstellungen: Oktober 4 (14 und 20 Uhr), 8, 11

   

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1 Kommentar

  1. Es ist eine böse Unart, dass man klassische Opern mit einer entsprechenden Inszenierung unbedingt «in die heutige Zeit herüberbringen will». Das Ergebnis wirkt meist blöd. Allein schon der Don Giovanni oder die Hochzeit des Figaro müssen arg verbogen werden, um ins Zeitalter der Emanzen reinzupassen. Lasst doch die klassichen Opern in dem Rahmen, wo sie immer hineingepasst haben. Wenn man was aktuelles bringen will, dann soll man sich nicht vergangenen Kulturgütern bedienen, sondern etwas bieten, was in unserer heutigen Zeit entstanden ist..

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