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Erde und Spuren des Menschen

Unter dem Titel «Tracehumance» zeigt das Musée gruérien in Bulle FR Werke des Fotografen Jacques Pugin. Zum ersten Mal in der Schweiz sind Werke dieses experimentell arbeitenden Fotokünstlers aus vierzig Jahren seines Schaffens ausgestellt.

Auch den französischsprachigen Besucherinnen und Besuchern in Bulle muss der Kunstbegriff «Tracehumance» erklärt werden: trace steht für die Spuren, die der Mensch auf der Erde hinterlässt – Spuren aller Art – , transhumance ist der Fachbegriff für Weidewirtschaft, wie sie als Alpwirtschaft in den Schweizer Bergen betrieben wird, aber auch Wanderweidewirtschaft, also wandernde Herden, von Hirten betreut. Es gibt wohl auch in unserem Land noch einzelne umherziehende Schafherden.

Alpwirtschaft gehört zu den wichtigsten Traditionen nicht nur des Freiburger Landes. Vor kurzem wurde beantragt, diese Form der Bewirtschaftung der Berggebiete ins UNESCO-Weltkulturerbe der immateriellen Güter aufzunehmen. Auch im Museum nimmt diese Tradition einen wichtigen Platz ein, obwohl, wie Kurator Christophe Mauron betont, dies bei weitem nicht das einzige Ausstellungsthema ist. Jacques Pugin seinerseits erzählt, dass er sich seit seiner Kindheit für das Alpleben interessierte und immer noch in Kontakt steht mit befreundeten Bauern. Diese Familie hat er über mehrere Jahre beim Alpabzug fotografiert, das letzte Mal im September 2019.

Série Désalpe 2.0 #57, 2019  © Jacques Pugin

Pugins Aufnahmen entstehen nicht einfach in seinem Apparat. Seit den Anfängen seines Fotografenlebens reizte es ihn, die Abzüge zu bearbeiten, in gewissem Sinne Spuren darauf zu hinterlassen. – In den 1970er Jahren arbeiteten Fotografen noch in der Dunkelkammer. – Mit ganz einfachen Manipulationen, mit Kerzen oder Taschenlampen markierte er Fotos mit geraden Linien, Rechtecken oder anderen Formen.

Inzwischen benutzt Pugin unzählige Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung. Für die Autobahn, über die der Trupp der Kühe zieht, hat er Aufnahmen von GoogleEarth benutzt, diese allerdings, wie auf den Fotos zu erkennen ist, bearbeitet bzw. die ganze Umgebung verfremdet. Dadurch brechen die Gegensätze zwischen traditionellem Landleben und der modernen Gesellschaft mit ihrer schnellen, digitalisierten Wirtschaft auf, und zwar umgekehrt zu dem, was in der Realität geschieht: Die Kühe trampeln buchstäblich über die Autobahn, die «Lebensader» der kapitalistischen Wirtschaft.

Jacques Pugin sei ein photographe du terrain, sagt seine Pariser Galeristin Esther Woerdehoff und weist darauf hin, dass Pugin in seinen Arbeiten zumeist mit Landschaftsaufnahmen beginnt, mit Besonderheiten, die vielleicht nur ihm selbst aufgefallen sind oder die er bewusst gesucht hat, zum Beispiel in der Serie «Sacred Sites», die Orte zeigen, an denen sich geweihte Stätten befinden oder befunden haben. – Es sind faszinierende Aufnahmen entstanden, sie vermitteln Weite und ein Gefühl der Unendlichkeit, obwohl oft keine markanten Überbleibsel zu erkennen sind.

Série Sacred Site #04, Mauritanie, 2001-2018  © Jacques Pugin

Ein weiteres Thema zeigt pure Landschaft, ohne Vegetation, nur einzelne Spuren, Radspuren beispielsweise. Dazu ist dazu eine Diaschau entstanden, die mit Windgeräuschen unterlegt ist, so dass die Besucherin sich unmittelbar in diese unirdisch scheinenden Sphären versetzt fühlt.

Nach seiner Ausbildung als Fotograf ging der junge Pugin nach Zürich, er konnte dort in der Fotogalerie am Bahnhof Stadelhofen seine ersten Bilder ausstellen. Später zog er nach Genf, wo er sein erstes Atelier eröffnete. Seit vielen Jahren ist Paris sein Lebensmittelpunkt. Verschiedene Stipendien ermöglichten es ihm, ausgedehnte Reisen zu unternehmen, woraus u.a. «Sacred Sites» entstanden ist.

Série La Montagne s’ombre #01, 2005-2013  © Jacques Pugin

Die Aufnahmen aus den Alpen zeigen Gletscher in unterschiedlichsten Formen, auch die Gletscherschmelze thematisiert der Fotograf. Daneben betrachten wir Bilder, die dem Motto «der Berg und sein Schatten» folgen, die scharfen Kontraste zwischen Licht und Dunkel wirken wie mit messerscharfen Instrumenten geschnitten. Diese Serie wird ebenfalls durch eine Diaschau ergänzt, deren Tonspur aus Gletschergeräuschen besteht. – Bei allen Landschaftsaufnahmen hat Jacques Pugin auch einen ökologischen Anspruch, er lässt die Fotos sprechen.

Série Glaciers #01, 2015-2018  © Jacques Pugin

Besonders beeindruckend sind die Werke unter dem Titel Les Cavaliers du Diable. Zum Gedächtnis an die Ermordeten von Darfur, Opfer des jahrelangen mörderischen Krieges im Sudan. Hier arbeitet Pugin ebenfalls mit GoogleEarth-Aufnahmen aus der damaligen Zeit. Diese Bilder sind heute auf GoogleEarth nicht mehr aufrufbar. Durch seine Bearbeitung wird die Grausamkeit des Krieges auf subtile Art demaskiert. Die ursprünglichen farbigen Bilder wandelte Pugin nämlich in Schwarzweiss-Aufnahmen um und dann, um die Aussage der Aufnahmen zu schärfen, kehrte er Schwarz und Weiss um. Die weissen Gebilde sind die schwarz verbrannten Überreste der Hütten dieses Dorfes, die Frauen und Kinder wurden vergewaltigt und verbrannt. Der Titel dieser Serie Les Cavaliers du Diable bezieht sich auf die Verursacher dieser Greuel, die sich selbst Teufelsreiter (janjaweed) nannten, ein Begriff mit unklarer Herkunft.

Série Les Cavaliers du Diable #60, 2009-2013  © Jacques Pugin

Die Ausstellung zeigt Werke von Jacques Pugin aus verschiedenen Perioden. Besucherinnen und Besucher erhalten einen Eindruck über den Werdegang des Fotografen. Als Retrospektive kann diese Schau nicht gelten, sie erhebt nicht den Anspruch auf Lückenlosigkeit. Liebhaberinnen und Liebhaber der Fotografie werden besonders die Vielfalt von Pugins Schaffens schätzen. Nicht zuletzt ist es ein unvollständiger Überblick auf den dramatischen Wechsel der Entwicklung und Bearbeitung von Fotos in den letzten 50 Jahren.

Tracehumance. Der Weg des Fotografen Jacques Pugin. Bis 31. Januar 2021 im Musée gruérien Bulle FR.

Zu der Ausstellung ist ein umfangreiches Buch erschienen (auf Französisch mit englischer Zusammenfassung):
Jacques Pugin, Tracehumance. Herausgegeben von Esther Woerdehoff. Mit einem Vorwort von Daniel Girardin. Verlag Sturm&Drang.  ISBN 978-3-906822-38-9

Titelfoto: Série La Montagne s’ombre #63, 2005-2013  © Jacques Pugin

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