StartseiteMagazinKolumnenWarum die US-Wahlen für uns bedeutsam sind

Warum die US-Wahlen für uns bedeutsam sind

In drei Wochen, am 4. November gegen Morgen, werden wir es möglicherweise wissen: Müssen wir uns weitere vier Jahr auf Donald Trump und seine populistisch ausgerichtete Politik einrichten? Müssen wir all das erdulden, was er, der umtriebige Fernseh-Altstar, der Immobilen-Krösus, uns schon in den vergangenen vier Jahren eingebrockt hat: ein unaufhaltsames Lügen auf höchster Politebene, ein „Amerika first“, ein Verzicht auf ein dominantes Amerika weltweit, das uns bisher als gleichgesinnte Demokraten schützt und schützte, auf eine USA der ungeahnten Möglichkeiten, wie wir es bis jetzt  kannten? Kommt es zu einem definitiven Abschied von der Rolle der USA als die regulierende Kraft in der Welt, zum Abschied aus Europa, Abschied aus allen Umweltbemühungen, speziell aus dem  Pariser Klimaabkommen, Abschied aus der Vereinbarung mit dem Iran in Bezug auf die nukleare Ausrüstung? Wir bleiben zurück, ohne schützende Macht über uns.

Er war nicht untätig, der Herr im Weissen Haus zu Washington. Im Gegenteil: Er, der notorische Steueroptimierer, senkte die Steuern für die Reichen, agierte gegen die Gesundheitsreform seines Vorgängers Obama, er verletzte die Würde der Frauen, der schwarzen Bevölkerung. Er foutierte sich um die Balance zwischen den Institutionen, er agierte zunehmend autoritär. Er ging in Konfrontation mit dem Reich der Mitte, mit dem kommunistischen China, zettelte einen Handelskrieg an. Er versuchte, den Nahen Osten zu befrieden und trieb die Palästinenser auf die Palme. Er faszinierte damit Schweizer Publizisten, wie einen Markus Somm, einen Roger Köppel, die uns von seiner Politik in ihren Kommentaren und Meinungsäusserung zu überzeugen versuchten. In der letzten Arena meinte Somm: „Biden wird gewinnen, doch das wird verheerend für die Schweiz werden, weil Biden die USA in ein Chaos treiben wird.“ Einen fundierten Beleg dafür blieb er aber schuldig.

Mich lässt Trump schlicht ratlos. Ratlos über ihn als Person, ratlos über eine Wählerschaft in den USA, die sich von ihm regieren lässt. Jetzt hat ihn Corona erreicht. Selbst daraus will er Kapital schlagen, Wähler gewinnen.

Und Joe Biden? Wir alle rätseln: Warum haben die Demokraten keinen Jüngeren, nicht eine Frau nominiert? Seis drum. Das alles ist jetzt Tempi passati. Am 3. November wird gewählt. Wenn es Biden schafft, können wir aufatmen. Er wird eine Wende einleiten, eine Wende zurück zu urdemokratischen Verhältnissen. Er wird eine soziale, eine liberale, eine sozialliberale Wende vorantreiben. Nicht auf Anhieb, aber behutsam zielorientiert wird er vorgehen. Den linken Flügel in der Partei wird er zu integrieren trachten. Und das ist gut auch für uns. Auch wir müssen uns aus der Fixierung, aus den Fängen der populistischen Parteien, die immer mehr die Stammtische beherrschen, befreien.

Wir brauchen einen neuen Liberalismus. Einen eingebetteten Liberalismus, wie ihn Andreas Reckwitz, der deutsche Soziologe, in seinem aktuellen Buch „Das Ende der Illusionen, Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne“* beschreibt. Wir brauchen weder einen rechten, konservativen, noch einen ausgeprägten linken, sondern einen eingebetteten Liberalismus. Einen neuen Liberalismus, der die Freiheit garantiert, der aber auch weltweit auf Regeln setzt, so dass die sozialen Ungerechtigkeiten erkannt, gemildert und korrigiert werden, der die Ungleichheit der Chancen in der Erziehung, in der Bildung nicht nur bedauert, sondern zu beseitigen vermag. Einen Liberalismus, der den überregulierten der 70ger-Jahre und den überdynamischen Liberalismus der 2010-er Jahre überwindet, der insbesondere den Ausgleich zwischen den gebildeten Eliten und den „Service-Beschäftigten“ schafft.

Die an sich erfreuliche Bildungsoffensive, wie wir sie in der Schweiz in den letzten 20 Jahren mit der Schaffung der unzähligen Fachhochschulen und Weiterbildungs-Institutionen zustande brachten, verstärkt ungewollt die Unterschiede zwischen der gebildeten Elite und den „Service-Beschäftigen“ in der neuen zunehmend digitalisieren Wirtschaft. Mit der Grünliberalen Partei GLP etablierte sich in den letzten Wahlen definitiv eine neue Partei in der Schweiz, die insbesondere Menschen aus der Elite in die Politik zieht und die in der Folge auch die entsprechende Wählerschaft an sich zu binden vermag. Als VertreterInnen der Elite fehlen ihnen offensichtlich die sozialen Kompetenzen und der entsprechende Erfahrungshorizont, um einen eingebetteten Liberalismus in der Schweiz zu entwickeln und letztlich erfolgreich voranzutreiben. Noch neigt die GLP in wirtschaftlichen Fragen zu sehr einem konservativen Liberalismus zu.

Es fehlen in der Schweiz, aber auch in unsern Nachbarländern Italien, Deutschland Figuren, die zwar stolz das Buch Reckwitz auf ihren Pulten haben, wie die deutschen Politiker Friedrich Merz (CDU) und Christian Lindner (FDP), aber nicht den Mut aufbringen, die Erkenntnisse aufzugreifen, sie in die Politik einzubringen. Der Franzose Emmanuel Macron zeigt Ansätze, er überwand die traditionellen Parteien, konnte sich im stark zentralisierten Frankreich mit den starken Gewerkschaften und dem nicht minder starken Front National, die beide extreme Positionen und keinen Liberalismus vertreten, noch nicht richtig durchsetzen. Doch die Zeit für einen eingebetteten Liberalismus ist bereits gekommen. Jetzt und in den USA, so ist zu hoffen, und bald auch bei uns. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

*Andreas Reckwitz „ Das Ende der Illusionen / Politik, Oekonomie und Kultur der Spätmoderne“ ,erschienen Edition Suhrkamp.

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