StartseiteMagazinKolumnenGlückt das Glück?

Glückt das Glück?

Im Laufe meines Lebens überfiel mich manchmal der Wunsch, mir von verehrten Dichtern und Dichterinnen Gesamtausgaben und Lexika zu beschaffen. Als im Deutschen Taschenbuch Verlag in Leipzig das «Deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm», der Grimm, in einem Neudruck erschien, konnte ich nicht widerstehen, die 33 Bände zu erwerben. Ähnlich erging es mir später mit dem «Historischen Wörterbuch der Philosophie» mit seinen mächtigen 12 Bänden, herausgegeben von Joachim Ritter. Obwohl ich darin nicht sehr oft blätterte, war ich stolz, diese beiden Reihen zu besitzen. Ich erlebe oft in den rings um mich aufgestapelten Büchern ein wunderbares Glück. In den beiden Lexika sind einerseits die deutsche Wortgeschichte und andererseits das gewaltige Welterbe des philosophischen Denkens aufgehoben. Nicht selten, wenn mich der Ursprung eines Begriffs interessierte, nehme ich einen der Bände zur Hand. Wie gerade jetzt, wo mich das vielbemühte Wort Glück beschäftigt.

Es bleibe auffällig, erwähnt der Grimm, dass dem Substantiv «Glück» Verben voraus gehen. Im Jahre 1160 sei «gelücken» über den Rhein in die deutsche Sprache eingedrungen, das sich von «lucken»  oder «ghelukken» ableite und früh auf einem österreichischen Denkmal gefunden worden sei.  Der Grimm geht solchen Spuren nach und findet heraus, dass sich die Verben ums Glück erst im 16. Jahrhundert grosser Beliebtheit erfreuten. Sie waren nun in aller Munde. In der Schriftsprache tauchte «gelücken» erst am Anfang des 18. Jahrhunderts in Versdichtungen auf, wahrscheinlich aus rhythmischen Gründen. «… und muss ihr (der liebe) doch dabey / so kauderwelsch sie auch die sachen spielt, gelücken.» Oder: «gelückte eine heilung unter seinen händen, / so war ein posaunen hier und an allen enden.»

Noch Luther braucht 1528 «glucket», es glückt. Warum das Wort «Glück» den verschiedenen verbalen Ausdrücken folgt, bleibt unklar. Einige Forscher nehmen an, es habe sich um einen heidnisch-religiösen Begriff mit der Bedeutung einer Schicksalsverknüpfung gehandelt. Erst als die heidnische Anbindung gänzlich verschwunden war,  habe es im christlichen Abendland seinen Siegeszug angetreten. Von ursprünglich «Schicksal, Geschick und dem gutem Ausgang einer Sache» wandelte es sich zum heutigen Begriff des Glücks, des glücklichen Lebens und der Umstände.

Glück haben, glücklich sein, ist heute zu einem Anspruch des modernen Menschen geworden. Es herrsche sogar ein «Zwang zum Glück», behauptet der Philosoph Byung-Chul Han in seinem Werk über die moderne Palliativgesellschaft*. Dem Menschen werde auferlegt, glücklich zu erscheinen, da er alle seine Schmerzen betäuben könne. Aber fragen wir weitere Philosophen und schlagen das «Historische Wörterbuch der Philosophie» auf. Bei den griechischen Philosophen ist die Vorstellung von Glück «Reichtum, Ehre, Macht, Gesundheit und langes Leben». Die Götter schenken es den Menschen. Schon Aristoteles wendet sich vom Gedanken ab, Glücken sei ein Göttergeschenk und sagt, es handle sich um einen tätigen Lebensvollzug. Obwohl das menschliche Leben der Fügung ausgeliefert sei, habe der Mensch es selbst in die Hand zu nehmen. Dies gelinge ihm optimal, wenn er sich ethisch korrekt verhalte.

Die Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts änderte den Sinn von Glück und löste es von seinem Bezug zur religiösen Wahrheit ab. Der Mensch wurde als Glückssucher auf sich selbst zurückgeworfen. Fortan kann er nicht mehr klagen, dass ihm das Glück nicht hold sei. Er ist selbst verantwortlich, dass es ihm glückt. Auf seiner Suche schweift er oft weit ab und vergleicht sich mit anderen, betrachtet es im Spiegel reicher Leute. Wenn er es aber in der Nähe sucht, findet er im kleinen Kreis jenen Brunnen, der für ihn sprudelt. Warum sollte er erst glücklich sein, wenn es in Hochglanzillustrierten leuchtet? Im Einfachen erkennt er das Gute und Befriedigende. Darum ist jene hochmittelalterlichen Formulierung vom «Gelücken» ein wunderbarer Hinweis, dass es den  Menschen befriedigt und froh macht, wenn er das Glück im engen Umfeld und im Tun und Können findet.

* Byung-Chul Han: «Palliativgesellschaft – Schmerz heute» Matthes & Seitz, Berlin

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