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Rodin und Arp in der Fondation Beyeler

Die Skulpturen von Auguste Rodin und Hans Arp treten in der Fondation Beyeler erstmals in einen Dialog. Beide Künstler waren grosse Erneuerer ihrer Zeit und schufen Werke, die bis heute aktuell und lebendig geblieben sind.

Hans Arp war zeitlebens von Auguste Rodins Werk fasziniert. Als er in Weimar Kunst studierte, beeindruckte ihn 1906 die skandalträchtige Ausstellung zu Rodins Aktzeichnungen – teilweise sind diese in der aktuellen Ausstellung zu sehen. In Paris besuchte Arp kurzzeitig die Académie Julian, wo Rodin unterrichtet hatte, und als er 1929 die französische Staatsbürgerschaft erhielt, liess er sich mit seiner Frau Sophie Taeuber in der Nähe von Meudon nieder, wo Rodin sein Atelier gehabt hatte. Arp widmete Rodin nicht nur eine Skulptur, sondern auch ein Gedicht.

Hans Arp, Automatische Skulptur (Rodin gewidmet), 1938, Granit. Privatsammlung, London. ©2020, Pro Litteris, Zürich. Foto: Heini Schneebeli.

In ihrem Schaffen veranschaulichen Auguste Rodin (1840-1917) und Hans Arp (1886-1966) grundlegende Aspekte in der Entwicklung der modernen Bildhauerei. So führte Rodin umwälzende Ideen und neue künstlerische Möglichkeiten in die Skulptur ein, die Arp später aufgriff und in seinen biomorphen Formen auf neuartige Weise weiterentwickelte, neu interpretierte oder aber kontrastierte. Obgleich bis heute nicht gesichert ist, dass sich Rodin und Arp jemals tatsächlich persönlich begegneten, zeigen ihre Werke zahlreiche künstlerische Verwandtschaften und Bezugspunkte, aber auch Differenzen, welche sich durch die Gegenüberstellung ihrer Werke visuell erfahren lassen.

Als Arp künstlerisch zu arbeiten begann, gehörte Auguste Rodin anfangs des 20. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten Künstlern. Doch Rodins Start war nicht einfach. Abgewiesen von der Ecole des Beaux-Arts in Paris, erlernte er das Handwerk bei einem dekorativen Bildhauer und schuf daneben eigene Figuren. 1875 stellte er sie erstmals in Paris aus. Auf seiner Italienreise studierte er die Meister der Renaissance, Donatello und Michelangelo, und schuf unter ihrem Einfluss Das Eherne Zeitalter (1875/76), eine erste lebensgrosse Figur ohne Attribute. Sie erschien dem Publikum damals noch so ungewohnt, dass ihm vorgeworfen wurde, lediglich den Abdruck des Körpers eines lebenden Menschen ausgestellt zu haben.

Auguste Rodin, Der Denker, 1881/82, Bronze. MAH Musée d’art et d’histoire, Genf . Foto: rv

1880 erhielt Rodin den staatlichen Auftrag, ein Portal für den geplanten Neubau des Musée des Arts Décoratifs herzustellen. Während siebenunddreissig Jahren arbeitete er am Höllentor, das erst nach seinem Tod in Bronze gegossen wurde – ein Abguss steht vor dem Zürcher Kunsthaus. Es beruht auf Dantes Inferno aus der Göttlichen Komödie und enthält zahlreiche Figuren, darunter Der Denker oder Der Kuss. Rodin wurde zum gefeierten Bildhauer und eröffnete 1900, unweit der Weltausstellung in Paris, eine grosse Einzelausstellung über sein gesamtes Schaffen, was ihn international berühmt machte.

Rodins Behandlung der Skulpturen war für die moderne Bildhauerei bahnbrechend. Statt des idealisierten, intakten menschlichen Körpers schuf er versehrte, bruchstückhafte Körper, die sich künstlerisch als Torso manifestierten. «Die Seele der Skulptur, ihre Gesamtheit, liegt im Teilstück», bekundete Rodin, wie etwa der Torso der Adèle. Dabei verbinden sich in der fragilen und sinnlichen Erscheinung der liegenden weiblichen Figur Leiden und Leidenschaft. In Rodins Atelier wurden Gipsformen auch immer wieder neu gegossen, zersägt und danach intuitiv neu kombiniert. Aus diesem Repertoire an austauschbaren Formen entstanden überraschende Werke, wie die Komposition der Bürger von Calais.

Auguste Rodin, Torso der Adèle, 1882, Gips, Probeguss. Foto: © Musée Rodin, Paris, (photo Christian Baraja).

Nicht nur die Fragmentierung, auch Rodins Behandlung der Oberflächen war neuartig. Er liess den schöpferischen Entstehungsprozess, sogar Gussnähte, auf der Oberfläche von Skulpturen sichtbar erscheinen und betonte damit den Eindruck von einem versehrten Körper. Bei Hans Arp hingegen sind die Oberflächen der Figuren meistens glattpoliert und intakt. Damit knüpfte Arp an die klassische Vorstellung von Skulptur, wie sie seit der Antike prägend war.

Hans Arp, Torso-Garbe, 1958, Marmor. Privatsammlung, © 2020, ProLitteris, Zürich, Foto: © Manolo Mylonas.

In Arps Bildsprache hat der fragmentarische Körper schon früh grosse Bedeutung. Ihm war das Konzept des Bruchs als Grundprinzip der Avantgarde vertraut, insbesondere durch den Dadaismus als Protest gegen die Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg. In Torso-Garbe drückt Arp seine Auffassung vom Fragment plastisch aus. In den fliessenden abgerundeten Volumen erinnert die Figur an Rodins Torso der Adèle. Während bei Rodin jedoch die Bruchstellen an der Oberfläche sichtbar bleiben, rundet Arp sie so ab, dass sie kaum noch wahrzunehmen sind.

Die Natur nimmt in Rodins Schaffen eine zentrale Rolle ein. Er suchte nach dem Ausdruck einer inneren Wahrheit der Natur und erkannte, seine Figuren würden sich von innen nach aussen, wie das Leben selbst, entfalten. Er strebte nach einer harmonischen Verbindung zwischen Natur und Künstler und fand, die Bäume und Pflanzen sprächen zu ihm wie Freunde. In seinen Aktfiguren versuchte er die Schöpfungskräfte des Lebendigen sichtbar zu machen.

Auguste Rodin, Der ewige Frühling, vor 1885, Marmor. The Metropolitan Museum of Art, New York, Vermächtnis Isaac D. Fletcher, 1917. Foto: rv

Arp entwickelte Rodins Naturkonzeption weiter. Auch er suchte nach dem Lebendigen in der Kunst und meinte: «Wir wollen nicht die Natur nachahmen. Wir wollen nicht abbilden, wir wollen bilden (…), wie die Pflanze ihre Frucht bildet». Er strebte noch radikaler als Rodin in seiner als konkret bezeichneten Kunst nach einer wechselseitigen Durchdringung von Kunst, Mensch und Natur, losgelöst von Naturnachahmung. Er forderte dazu auf, Werke zu schaffen, die dem natürlich-pflanzlichen Schöpfungs- und Entstehungsprozess des Lebendigen folgen. Arp entwickelte biomorphe organische Formen, die ebenso menschliche wie pflanzlich anmutende Merkmale aufweisen und miteinander verschmelzen, wie etwa in der Figur Landschaft oder Frau.

Ausstellungsansicht. Im Vordergrund Hans Arp, Landschaft oder Frau, 1962, Marmor. Kunstsammlung Stadt Biel. Foto: rv

Titelbild: Ausstellungsansicht. Foto: rv

Bis 15. Mai 2021
«Rodin/Arp», Fondation Beyeler, Riehen/Basel, mehr Informationen hier

Katalog zur Ausstellung mit Essays und zahlreichen Abbildungen, CHF 62.50

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