StartseiteMagazinLebensartKein Silvesterchlausen – undenkbar!

Kein Silvesterchlausen – undenkbar!

Der bekannte Brauch ist ein Erlebnis für Aug und Ohr, aber diesmal muss er der Pandemie zum Opfer fallen. Uns bleiben die Erinnerungen und die Bilder. Also: Silvesterchlausen am Bildschirm und im Kopf statt in der Kälte. 

Seit Menschengedenken ziehen vom frühen Morgen bis in die Nacht die Silvesterchläuse in vielen Dörfern und Marktflecken des Appenzeller Hinterlandes von Hof zu Hof. Oft im Eilschritt geht es hintereinander her über Strassen, Wege und Wiesen. Schon von weither hört man das rhythmische Schellen und Rollen. Der «Vorrolli» kündigt die Gruppe an, die Hausbewohner sammeln sich vor der Türe. Es ist eine emotionale Sache. Oftmals haben die Hausbesitzer Tränen in den Augen. Und der Besuch ist auch eine Auszeichnung.

Im Coronajahr ist das Chlausen in jeder Form abgesagt. Weder am neuen Silvester, dem 31. Dezember 2020, noch am alten Silvester, dem 13. Januar 2021 darf der Brauch stattfinden. Zum Glück erlebten wir am letzten Silvester einen speziellen Abend in Stein AR. Auf dem Platz vor dem Landgasthof Ochsen und in der Gaststube treffen sich die Schuppel, wie die Chlausgruppen genannt werden.

Auf dem Dorfplatz. Der Ochsen ist ein traditionsreiches Hotel mit bekannt guter Küche. Speziell sind die „Stobete“ mit Volksmusik.

Langsam treffen die einzelnen Schuppel auf dem Platz zwischen zwei Wirtshäusern und der Kirche ein. Die Stimmung ist erwartungsvoll. Licht kommt nur aus den Fenstern der umgebenden Häuser. Vor allem aber aus den Hauben der „Schöne“, wie eine von drei Arten von Gruppen zeigt, benannt nach ihrer Tracht aus edlen Stoffen.

Auf den radförmigen Hauben der Rolli-Weibersind fein gearbeitete, fantasiereiche Szenen dargestellt, auf den ausladenden Hüten der Schelli-Mannen gibt es Figuren und Gegenstände. Die Themen stammen aus dem bäuerlichen Alltag, dem Brauchtum, dem Sport oder auch aus Geschichten. Sie wurden in mühsamer Handarbeit während des Jahres hergestellt. Die Haube ist bestickt mit Mustern aus Hunderten von ästhetisch aufeinander abgestimmtem Glasperlen und gekordelten Schnüren.


Wundervoll bestickte Hauben – dank LED nun auch mit Beleuchtung. Oben: Szene mit dem Alpöhi aus der Heidi-Geschichte

Die Tracht der „Wüeschte“ besteht vorwiegend aus Naturmaterialien: Stroh und Sägespänen, Stechpalmen, Tannen- und Buchenäste. Ihre Masken sind wild, viele sind mit Hörnern, Zähnen oder Knochenstücken geschmückt.

Zwei „Wüeschti“ neben einem „Vorrolli“ aus einem «schönen» Schuppel

Hier am Chlausentreffen treten sie durchaus gesittet auf. Anders als bei den Hausbesuchen, wo sie wild und archaisch in verschieden grossen Gruppen plötzlich auftauchen. Sie schellen wild, heulen und fuchteln mit ihren Wurzelhölzern furchterregend herum.

Furchteinjagend: Ein „Wüeschter“ stampft herum und schüttelt seine Treichel.

Die „Schöwüeschte“ tragen eine „Groscht“, ein Gewand bedeckt mit Tannenzweigen oder Stechpalmen. Ihre Larve ist mit Tannzapfenschuppen wie Schindeln überzogen und einem riesigen Bart. Sie tragen kunstvoll verzierte Hüte aus Naturmaterialien, die zum Teil wiederum Szenen aus dem bäuerlichen Alltag darstellen, ein Gesteck auf Holz oder Rinde. Sie haben „wüeschti“ Elemente in ihrer Ausstattung, sind aber nicht so furchteinflössend wie die Wüsten, aber halt auch nur halb schön, wie ihr Name sagt.

„En Schuppel vo Schöwüeschte“

Auf dem Platz herrscht eine mystische Stimmung. Bedächtig schwingen die Schellenkläuse ihre grossen Treicheln hin und her. Die Nacht ist durchdrungen von ihren rhythmischen, dumpfen Tönen. Die Rollenweiber tanzen, hüpfen und drehen sich um die eigene Achse. Die Rollen erzeugen einen wilden, rasselnden Klang. So geht es minutenlang. Bis die Männer inne halten.

Wenn der Schuppel sich zum Kreis formiert, wird es ganz still, bis das Zauren einsetzt.

Magisch schwingt der Rhythmus nach. Auf dem Platz herrscht Ruhe. Plötzlich aber stimmt einer ein Zäuerli an. Zuerst ein heller Ton in reiner Tenorlage, den die andern abnehmen. Dann im mehrstimmigen Chor, dem die Harmonie wichtig ist, unterstützt vom sonorigen Bass jener Sänger, die „gradhebed“.

Und nach drei dieser Naturjodel-Gesänge beginnt wieder der wilde Tanz der Glocken und Rollen. Nach dem Heidenlärm die Stille – nach dem berührenden Chorgesang das entfesselte Schellen und Rollen.

Das Silvesterchlausen ist ein urtümliches Erlebnis, das unter die Haut geht. 

Dieser Altjahresabend ist stimmig. Die Schuppel feiern zuerst einmal die Zusammenkunft vor dem Ochsen, das zahlreiche Publikum scheint ihnen zunächst egal zu sein. Sie waren den ganzen Tag auf dem „Streech“, dem Gang von Hof zu Hof. Nach der Darbietung draussen sind die Männer durstig und hungrig. Um Mitternacht ist Demaskierung. Es wird gegessen und getrunken und dazwischen gezäuerlet – das ist das Schlusschlausen. Das Brauchtum ist schon alt. „Wir wirten nun seit 42 Jahren und es läuft immer gleich ab. Letztes Jahr waren es 13 Schuppel. Wir rechnen fest damit, dass die Tradition im neuen Jahr weiter geht“, hofft Wirtin Margrit Wild.

Nach Mitternacht brechen wir auf. Das Wunder bleibt. Hier in Stein ist es ausserhalb der Gaststube ruhig und dunkel. Keine langen Kolonnen parkierter Autos von Schaulustigen, die zu Fuss den Silvesterchläusen nachsteigen, wie an bekannteren Zentren des Brauchs. 

Weitere Informationen, ein Video und Tonaufnahmen gibt es hier.

Alle Bilder: © Justin Koller

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2 Kommentare

  1. Ismet Damgaci; )an die werte Redaktion).Doppelt ist nicht mein bescheidener Beitrag, sondern die hochgeschâtzte Reaktion Ihrer hochgeehrten Redaktion.

    Wir feierten jeweils den «Schulsylvester» intensiv. Ich hatte den Vorteil, als Mitglied der Knabenmusik der Stadt Zürich den «Zapfenstreich» zu blasen, was die Mitschüler mit recht viel Applaus beantworteten.

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