Manchmal macht mir das Tempo in unserer heutigen Gesellschaft richtig Angst. Nein, ich meine nicht die immer schnellere Übertragung von Dateien im Internet, nicht das immer schnellere Heranfliegen von exotischen Früchten aus Südamerika, nicht die immer schnellere Berichterstattung in den Online-Portalen der Zeitungen, nicht das immer schnellere Herunterwürgen von Hamburgern am Imbissstand.
Nein, ich meine das Tempo in den Beziehungen zwischen Männlein und Weiblein. Kaum der Wiege entronnen, sind die Mädchen keine Mädchen mehr, sondern junge Frauen, Knaben bereits Männer. Mit 13 – na ja… Mit 16, noch in der Oberstufe, übernachtet man beim Freund/Freundin – mit gütigem Einverständnis der verantwortungsvollen Eltern. Und später mal der, mal diese. Von unerwünschten Babys keine Rede, denn das Kinderkriegen kann mittlerweile medizinisch bewirtschaftet werden. Heiraten? Ja, vielleicht mal mit 30, 40 – ohne Trauschein lebt‘s sich ohnehin einfacher und flexibler.
Daran musste ich denken, als mir letzthin wieder einmal das 2005 erschienene «Lexikon der bedrohten Wörter» des deutschen Journalisten Bodo Mrozek in die Hände fiel. Weil ich davon ausgehe, dass die Seniorweb-Leser eher älteren Datums sind (so wie ich), möchte ich ihnen die treffliche Interpretation des Begriffs «Verlobung» nicht vorenthalten.
«Verliebt, verlobt, verheiratet: Diese durch Kindermund populär gewordene Kausalkette besass noch bis ins 20. Jahrhundert hinein eine gewisse Gültigkeit. Wer heiraten wollte, musste den Antrag auf Zweisamkeit beim sogenannten Brautvater stellen. In einer angemessenen Zeit der Indifferenz, die als Bewährungsprobe in Sachen Sittlichkeit galt, wurde der Lebenswandel der beiden Kandidaten strenger Beobachtung unterworfen.
Währenddessen liessen sich nützliche Formalitäten wie Aussteuer, Hochzeitskutsche und Schrankwand regeln. Erst dann kam es zum Aufgebot, einer öffentlich angeschlagenen Bekanntmachung mit amtlichem Charakter, die den eventuellen Inhabern älterer Rechte an einem der beiden Delinquenten Gelegenheit gab, diese an etwaige frühere Eheversprechen zu erinnern. Verlief diese Ehe auf Probe, öffentlich markiert durch einen Ring am Finger der linken Hand, zufriedenstellend, so durfte die Hochzeitsnacht vollzogen werden.
Heute muten derlei Riten ähnlich modern an wie germanische Sonnenwendfeiern oder Ritterturniere. Wer einen andern begehrt, der tut, wozu er oder sie gerade Lust hat. Letztes Relikt aus alten Tagen ist die Ehe, die immerhin noch ein paar steuerliche Vorteile bringt. Die Verlobung hingegen ist nur noch etwas für die aussterbende Gattung des unverbesserlichen Romantikers. Ein paar soll es ja zum Glück noch geben.»
Bleibt meinerseits noch anzufügen, dass bei einer Auflösung der Verlobung allfällige ausgetauschte Geschenke zurückzugeben waren. Das wäre heute bei all den gemeinsamen Ferien nicht mehr möglich. Gefeiert im Verwandtenkreis wurde in der Regel ebenfalls nicht mehr. Auch wenn Eltern gelegentlich nach der Entlobung vernehmlich aufgeschnauft haben sollen…
Na ja na ja…..die heutige Jugend kennt zwar noch Tugend – jedoch auf ihre eigene Art!