Er wirkt unauffällig im Hintergrund. Jedoch ist sein Anteil am Erfolg der wichtigsten Klavier-Konzerte weltweit nicht zu unterschätzen. Urs Bachmann, Klavierstimmer und Firmengründer erzählt:
«Unsere Unternehmung Gebr. Bachmann in Wetzikon ist die grösste Verleiherin von Tasteninstrumenten in Europa. Wir verkaufen auch, reparieren und stimmen. Unser Instrumentenbestand umfasst etwa fünfzig Flügel, davon zwanzig Konzertflügel, zwanzig Cembalos, fünf Harmonien von Wurlitzer und Rhodes, sieben Celesten und eine Reihe historischer Instrumente.
Urs Bachmann vor einem historischen Instrument beim Gespräch mit Christine Kaiser
Nach über 40 Jahren als Gründer und Chef habe ich meine Firma inzwischen an einen langjährigen Mitarbeiter übergeben und bin zum ersten Mal in meinem Leben als Klavierbauer, Reparateur und Stimmer angestellt, ebenso wie mein Bruder Daniel. Allerdings nicht mehr in Vollzeit, denn ich leiste mir jetzt mehr Zeit für private Projekte. Einen kleineren Teil meiner Arbeitszeit aber verbringe ich immer noch gern in meiner alten Firma, denn meine Finger haben Freude an kniffligen Reparaturen.
Unlängst noch Chef der Gebr. Bachmann, jetzt Angestellter: Urs Bachmann in der Werkstatt.
Stolz bin ich auf den Erwerb und die Renovation eines Bechstein-Flügels aus dem Jahr 1921, der im letzten Jahrhundert in den Ateliers von Bechstein in Berlin für den berühmten Pianisten Wilhelm Backhaus reserviert war. Das Instrument hatte den Zweiten Weltkrieg überlebt, galt aber als verschollen. Anlässlich einer Mitarbeit bei Bechstein entdeckte ich es in den achtziger Jahren in einem Abstellraum voller alter Instrumente. Es stand in der hintersten Ecke.
Eines der historischen Instrumente im Fundus der Firma
In den über 40 Jahren meiner Berufstätigkeit habe ich einen grossen Teil der Musikszene im In- und Ausland kennengelernt, darunter auch Prominente aus der Jazz-, Rock- und Pop-Szene. So habe ich mehrmals die Flügel des britischen Sängers und Pianisten Elton John renoviert. Er spielt auf Steinway und Yamaha. Auch Udo Jürgens und Paul McCartney oder der amerikanische Jazz-Pianist Chick Corea waren meine Kunden.
Wie ein typisches Bachmann-Jahr aussieht, wenn Corona nicht alles ausbremst? Ab Mitte Juni bis Ende September ist bei mir Hauptsaison. Einen ganzen Monat verbringe ich am Musikfestival in Verbier. In zwei Fuhren bringe ich mit unserem Lastwagen dreissig Flügel und je nach Bedarf ein Cembalo sowie eine Pfeifenorgel hoch. Die Instrumente werden für die diversen Konzerte, die Kammermusikproben und die Meisterkurse gebraucht.
Konzertflügel müssen zu Festivals und Konzerten reisen.
All diese Instrumente müssen während des Festivals gestimmt, nachgestimmt und allenfalls gewartet werden. Bei einem solchen Anlass bin ich täglich 15 bis 20 Stunden im Einsatz, denn die Proben beginnen meist schon um acht Uhr morgens.
Das Menuhin-Festival in Gstaad dauert zwei Monate. Für die etwa 65 Konzerte werden in der Regel sechzig Flügel benötigt. Davon verteile ich 15 an verschiedenen Orten im ganzen Saanerland, wo ebenfalls Konzerte stattfinden. Auch dort bin ich präsent. Während man in Verbier mehrheitlich Französisch und Englisch hört, wird in Gstaad vorwiegend Deutsch gesprochen. Auch aktive oder ehemalige Schweizer Bundesräte wie Simonetta Sommaruga oder Johann Schneider-Ammann kommen gern nach Gstaad.
Menuhin-Festival in Gstaad 2018: Hélène Grimaud gibt ein Solokonzert in der Kirche von Saanen. Pressefoto: Gstaad Menuhin Festival / R. Faux
Nach diesen Grosseinsätzen geht es bis Ende November weiter mit zahlreichen Konzerten in der ganzen Welt. Danach fliege ich gern nach Uruguay, wo ich ein Haus besitze, wobei ich – wie überall – Ausschau halte nach jungen Talenten, die man zum Klavierbauer ausbilden könnte. Dort allerdings hatte ich kein Glück. Es gibt auch nur fünf Konzertflügel und fünf Stimmer im Land. Wenn ich also dort bin, revidiere ich zumindest alle Flügel und veranstalte Seminare mit den einheimischen Klavierstimmern.
Über ein gutes Jahr gerechnet, bin ich für etwa 2000 Konzerte im Einsatz und kenne viele Tastenvirtuosen, darunter Martha Argerich, Alfred Brendel oder den chinesischen Pianisten Lang Lang. Im Jahr 2020 allerdings waren es – Corona-bedingt – nur etwa hundert Konzerte, Studienaufnahmen oder Live-stream-Übertragungen, was für die Interpreten enorm anspruchsvoll ist, weil das Publikum fehlt. ‹Stellt euch vor, hinter diesem Vorhang sitzen die Menschen,› suggerierte der ungarische Pianist András Schiff dem Orchester, als er kürzlich ein Konzert in der Genfer Victoria Hall dirigierte. Und tatsächlich, der Qualitätsunterschied zwischen der ersten Probe und der live-Übertragung war hörbar.
Mit András Schiff arbeite ich seit vier Jahrzehnten zusammen. Schiff spielt in der Regel 130 Konzerte im Jahr. Im Jahr 2019 haben wir sechzig Konzerte zusammen gemacht. Dabei spielt er gern auf einem wunderbaren Bösendorfer Flügel aus unserem Bestand. Wir haben einen anderen für ihn in Japan und einen weiteren in Südamerika stationiert. Kürzlich hat er sich privat einen neuen Bösendorfer gekauft. Das Instrument ist wie für ihn gemacht. Er spielt darauf so, wie ich mir erträume, dass Werke von Mozart oder Schubert gespielt werden sollten. Da ich die Klangvorstellung von Schiff so gut kenne und auch weiss, wie er das Pedal einsetzt, stimme ich sein Instrument entsprechend.
András Schiff im Gewandhaus von Leipzig am 3. September 2016. Foto: Alexander Böhm (creative commons)
András Schiff mag zum Beispiel keinen scharfen, aber auch keinen mulmigen Klang. Lang Lang hat eine andere Klangvorstellung. Er mag es brillant, etwas schärfer, härter. Alfred Brendel bevorzugt zwar einen weichen Klang, aber mit Brillanz, damit der Konzertflügel in einem grossen Saal gut bis in die hintersten Reihen zu hören ist. Das gilt auch für den Oboisten und Komponisten Heinz Holliger und für den Geiger Gidon Kremer. Entsprechend kann ich den geeigneten Flügel auswählen und stimmen.
Neben diesen individuellen Klangvorlieben kommt es beim Stimmen eines Konzertflügels auch noch auf weitere Faktoren an. Zum Beispiel: Welche Werke, welches Orchester, welche Solisten? Wird der Flügel solistisch gespielt oder ist er Teil des Orchesters? Wie ist die Akustik des Saals, welche Instrumente kommen zum Einsatz?
Und man muss die beteiligten Blasinstrumente gut kennen. Die Querflöte zum Beispiel kann in den oberen Lagen nicht höher spielen als sie gestimmt ist. Bestimmte Geiger aber spielen an gewissen Stellen gern ein klein wenig höher. Dann darf der Flügel, auf dem die Tonhöhe je nach Kammerton festgelegt ist, nicht allzu stark nach unten abweichen. Das gilt auch für viele Sänger, die ihre Tonhöhe an bestimmten Stellen bewusst anheben und ein klein wenig zu hoch singen. In solchen Situationen kann ich als Stimmer die Oktave ein wenig ’spreizen’». Die Kunst besteht darin, zu wissen, wie viel es verträgt. Das Stimmgerät verwende ich höchstens für die ersten zwei Töne. Den Rest stimme ich nach Gehör, wobei auch die Unter- und Obertöne eine grosse Rolle spielen. Denn je mehr Schwingungen ein Flügel erzeugt, desto besser trägt er im Saal.
Jede Saite kann gestimmt werden. Am Ende wird der Klang geprüft.
Unter meinen neusten Projekten ist das Hotel Candlewood Lodge , das ich in Knysna an der Garden Route in Südafrika erworben habe. Es ist auf europäische Gäste ausgerichtet. Ich möchte daraus ein kleines Musik- und Kulturzentrum machen und habe bereits zwei Flügel hingebracht. Man kann jetzt üben und kleine Konzerte veranstalten. Ein junger Schweizer mit Koch- und Hotelfachausbildung ist als Hotelchef eingesetzt. Alles Weitere hängt nun leider auch von der Pandemie ab.
Zum Schluss ein Beispiel, was ein Musikinstrument bewirken kann: Der betagte ungarische Pianist György Kurtag befand sich zur Kur in Mammern. Doch es ging ihm dort immer schlechter. Da erhielt ich einen Anruf mit der Mitteilung: ’Kurtag braucht ein Klavier’. Sofort brachte ich ihm ein Klavier von Burger & Jacobi. Nach einer Woche konnte Kurtag die Klinik verlassen. Alle sprachen vom ‹magic piano‹. Er hat das Klavier mit nach Budapest genommen. Ich habe es dort schon dreimal gestimmt.»
Fotos: © Christine Kaiser
Titelbild: Urs Bachmann. Foto: © Christine Kaiser