Am Abend des 7. Februar 1971 war es so weit. Meine Eltern, meine Schwester, mein Grossvater – wir alle sassen gespannt um das Radio und hörten die längst erwartete Kunde, dass das Frauenstimmrecht in der Schweiz von Volk und Ständen angenommen worden sei. Welch eine Freude. Wofür Frauen wie Emilie Lieberherr, Lilian Uchtenhagen, die Mutter von Verena Grendelmeier, und mit ihnen noch ganz viele andere Frauen, auch Männer, gekämpft hatten, wurde Wirklichkeit.
Ich war damals 27 und hatte gerade das Studium auf dem zweiten Bildungsweg begonnen. Im Dezember hatte mich die Präsidentin der Frauengruppe meiner Partei, dem damaligen Landesring der Unabhängigen, angefragt, ob ich im April für den Kantonsrat kandidieren würde. Ich sagte freudig und sofort Ja, denn das war für mich fast eigentlich selbstverständlich, dass man nun auch als Frau aktiv mitmachen müsse.
So hatte diese Abstimmung im Februar für mich eine doppelte Bedeutung, weil eben der Kanton Zürich schon im November 1970 das Frauenstimmrecht eingeführt hatte und die kantonalen Wahlen bevorstanden. Im April 1971 wurde ich dann tatsächlich mit fünf weiteren Frauen* in den Zürcher Kantonsrat gewählt. Ich war oberglücklich.
An die ersten Sitzungen erinnere ich mich sehr gut: 174 Ratskollegen hörten gespannt auf die Voten dieser quasi neuen Gattung Mensch: uns Frauen! Doch, ich glaube, man behandelte uns als eine wertvolle Rarität. In jeder Kommission musste eine Frau Einsitz nehmen. Im jeweils von Zigarrenrauch qualmenden Sitzungszimmer formulierten wir Frauen unsere Vorschläge zur Lösung eines Problems. Die Atmosphäre hat sich natürlich unterdessen sehr verändert. Heute diskutiert man rauchfrei!!
Überhaupt, die Fortschritte kamen schnell. Sie sind rückblickend sogar enorm. Doch eben nur rückblickend. Eine Freundin von mir wollte vier Jahre nach der Abstimmung eine Arztpraxis mieten, brauchte dazu aber die Einwilligung ihres Mannes, ebenso als sie ein Geschäftskonto auf der Bank eröffnen wollte. Der Mann musste also einverstanden sein, wenn die Frau selbstständig sein wollte.
Dringend war deshalb die Revision des Zivilgesetzbuches. Wir Parlamentarierinnen hielten bei grundlegenden Fragen zusammen, von links bis rechts, einfach alle. Und immer mehr männliche Kollegen machten mit. Auch sie waren überzeugt, dass unsere Gesetze sich den modernen Bedürfnissen anpassen müssten. Das Zivilgesetzbuch, es war in den 80er-Jahren Gegenstand in den eidgenössischen Räten – nicht nur einmal, und auch nicht zum letzten Mal. Wichtige Änderungen standen an im Eherecht, im Scheidungsrecht, im Erbrecht, überhaupt im Familienrecht, auch die Kinderrechte, die Adoptionsgesetze und so weiter. Und schon bald werden wir sogar über die «Ehe für alle» abstimmen. Die Zeit bleibt nicht stehen.
Dass der Mann nicht einfach das Oberhaupt der Familie bleiben konnte, für diese Einsicht brauchte es aber noch Jahrzehnte. Es war eine zähe Frage. Doch die inzwischen notwendigen Anpassungen in der Schulstruktur auf der lokalen und kantonalen Ebene halfen mit, das Leben der Familien zeitgemässer zu organisieren: Zuerst führte man die Blockzeiten in den Schulen ein, dann wuchs die Zahl der Kitas. Und in den vergangenen 20 Jahren wurde es immer selbstverständlicher, dass Kinder aus jedweden Verhältnissen in den Hort gehen nach der Schule. Vermehrt arbeiteten ausser Haus nun eben auch in der Schweiz Frauen aus allen Gesellschaftsschichten, vielleicht nur halbtags oder an einzelnen Tagen, weil sie ja den Haushalt auch noch zu meistern hatten. Und die Verhältnisse haben sich weiterentwickelt. Die strikte Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau wurde immer mehr gelockert.
Heute ist es fast selbstverständlich, dass man in einer Familie die Aufgaben und Verpflichtungen aufteilt. Auch ist es immer weniger eine Prestigefrage, wer was tut. Aber einfach ist es nicht. Ich muss zugeben, dass ich das Organisationstalent von Familien mit Kindern unterschiedlichen Alters bewundere.
Auch die damalige Rollenteilung bezüglich der Themenbehandlung in den Parlamenten kennt niemand mehr: Anfangs der 70er Jahre debattierten vor allem die Männer über den Finanzhaushalt und die Steuerfüsse, über Wirtschaftsfragen, den Nationalstrassen-Bau oder all die Tunnels – einfach über sogenannt harte Dinge, die als prestigeträchtig angesehen wurden.
Den Frauen blieben zunächst eher die Erziehungs- und sozialen Fragen. Doch auch da hat sich die Situation gehörig verändert. Unterdessen sind Rätinnen und Räte gleichermassen dazu aufgerufen, Lösungen in den verschiedensten Bereichen zu suchen. Dem kommt entgegen, dass Erziehungs- und soziale Probleme, auch Gesundheitsfragen heute von staatstragender Bedeutung, also, wie man sagt: systemrelevant sind.
Aber Achtung! Wir sind noch nicht am Ziel. Gleichberechtigung, Verhinderung von Gewalt und Diskriminierungen, gleiche Löhne für gleiche Arbeit – das sind alles Bemühungen, die immer wieder nötig sein werden, für uns Frauen, manchmal auch für Männer, für Kinder, für Alte und Junge und andere. Sie wissen, was ich meine! Das Leben ist nie vollkommen.
Wichtig ist, dass wir uns engagieren, dass Männer und Frauen gleichermassen sich interessieren, auch engagieren für unsere Demokratie, die uns Frauen vor 50 Jahren nicht gerade geschenkt, aber (endlich) ermöglicht wurde.
*mit Regula Pestalozzi, Marta Ribi (beide FdP), mit Leni Oertli (EVP) und zwei Landesringkolleginnen: Anny Steyer und Maria Egg-Benes.
Vielen Dank, liebe Frau Barmettler, für das liebe Feedback.
Haben Sie einen frohen Sonntag – herzlichst
Monika Weber
Liebe Grüsse von einem alten Landesringler. Das letzte mal sahen wir uns bei der Beerdigung von Albin Heimann. Kennst Du meine Facebook Gruppe LdU, wo sind die Landesringler? Gruss Jürg Soldan.
So lieb von Dir, lieber Jürg. Schreib mir doch ein Mail und Deine Telephon-Nr., und wir können mal ein bisschen plaudern. Herzlichst
Monika
Vielen Dank für den Bericht. Meine eigene Erfahrung dazu. Am Anfang unserer Ehe war mein Mann noch im Studium, ich habe für den (bescheidenen) Lebensunterhalt gesorgt. Das Steuerformular war aber dann an meinen Mann adressiert. Kurz: er hat mein Einkommen versteuert. Die Gleichberechtigung geht voran, unser Sohn ist in seiner kleinen Familie für das Kind, das Kochen und vieles Andere zuständig. Er ist mit einem kleinen Pensum ausser Haus tätig, damit er beruflich ajour bleibt.
Sehr interessant, liebe Frau Wunderlin, Ihre Geschichte von früher. Und auch die Entwicklung auf heute.
Ja, auch Männer haben oft eine harte Arbeit und brauchen ein unglaubliches Organisationstalent, um alles gut zu machen: Familie, Kinder, Beruf.
Ich wünsche Ihnen alles Liebe – herzlichst
Monika Weber
Liebe Monika Weber,
Mich dünkt, die 50 Jahre seit Einführung des Frauenstimmrechts haben sehr viel gebracht punkto politische, berufliche, familiäre, kulturelle Möglichkeiten für Frauen. Und erfreulicherweise ist bei vielen das Selbstbewusstsein rasant gestiegen. Als Redaktorin beim Tages-Anzeiger habe ich mich immer gern an Sie gewandt – Frau Weber als Kantonsrätin, Nationalrätin, Ständerätin, Stadträtin, aber auch als Konsumentenschützerin und Präsidentin der Zürcher Ballettfreunde. Unsere Gespräche waren stets ergiebig, meist auch locker und lustig.
Schöne Grüsse – und bleiben Sie gesund
So eine Begegnung, liebe Frau Strech, Ihre lieben Worte freuen mich sehr. Schicken Sie mir doch Ihre Mail-Adresse. Das wäre super. Nach dieser Corona-Zeit gibt es vielleicht mal die Möglichkeit für einen Kaffee und ein Austauschen.
Herzlichst
Ihre
Monika Weber monika.weber@bluewin.ch
Du hast diese so wichtige Zeit für die gesellschaftliche Entwicklung bedeutend mitgeprägt, liebe Monika, und mit Deinem Optimismus und Deiner freundlichen Bestimmtheit und engagierten Klugheit mitverändert. Davon zeugt auch Dein Bericht. Wenn man selber, wie auch ich, Zeitzeugin mit entsprechenden Erfahrungen ist, scheint der Blick zurück wie aus dem Mittelalter stammend – so viel wurde schon geschafft und verändert seither und dennoch ist die Gleichberechtigung noch nicht erreicht – aber zumindest in Sicht !
Oberlieb von Dir, liebe Brigitta, und vielen Dank für Deine lieben Zeilen. Du hast ja einen Super-Weg gemacht! Gratuliere!
Allerherzlichst
Monika